Pappdeckel-Affäre: Was der Staatsrechtler zum Polizeieinsatz sagt

Der Basler Staatsrechtler Markus Schefer vermutet den Staatsschutz hinter dem Polizei-Einsatz. Die Polizeiaktion auf dem Messeplatz ist für ihn «klar erklärungsbedürftig».

«Diese Antworten reichen nicht aus»: Markus Schefer, Professor für Strafrecht an der Uni Basel, über die Stellungnahme von Polizeikommandant Gerhard Lips und Re­gierungsrat Baschi Dürr zum Polizei-Einsatz auf dem Messeplatz. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Der Basler Staatsrechtler Markus Schefer vermutet den Staatsschutz hinter dem Polizei-Einsatz. Die Polizeiaktion auf dem Messeplatz ist für ihn «klar erklärungsbedürftig».

Unbeteiligte, die sich auf dem Polizeiposten nackt ausziehen müssen, Studenten, die auf dem Polizeiquartier ohne Erklärung fotografiert und erst nach mehreren Stunden wieder ent­lassen werden. Der Einsatz der Polizei auf dem Basler Messeplatz vom vergangenen Freitag wirft Fragen zur Rechtmässigkeit des Vorgehens auf.

Der verantwortliche Regierungsrat ­Baschi Dürr bezeichnet den Einsatz im TagesWoche-Interview als korrekt. Dennoch sorgt das Vorgehen in der Öffentlichkeit für  Unverständnis und offene Fragen. Wer diesen nachgeht, landet rasch in den Hinterzimmern der Demokratie: bei Staatsschutz und Nachrichtendienst. Markus Schefer, Professor für Strafrecht an der Universität Basel, vermutet, dass die Polizei von dieser Seite entscheidende Informa­tionen erhalten habe.

«Bei diesem Einsatz kommt sehr viel ­zusammen. Anders kann ich mir das Vorgehen der Polizei nicht erklären», sagt Schefer.  Um die Verhältnismässigkeit des Einsatzes zu überprüfen, müsse man wissen, ob und welche Informationen die Po­lizei vom Staatsschutz erhalten habe. Doch genau damit gibt es ein Problem: Die Po­lizei ist nicht berechtigt, darüber Auskunft zu geben.

Kein Gericht kann die Offenlegung solcher Informationen verlangen. «Hier stösst die Rechtsstaatlichkeit an ihre Grenzen. Es fehlen Mechanismen, um solche Vorgänge zu überprüfen. Es bräuchte wirksame und unabhängige Kontrollmechanismen. Das Missbrauchspotenzial ist beträchtlich.» 

Für den Staatsrechtler ist der Einsatz der Polizei an der Messe «klar erklärungsbedürftig». Die Stellungnahme von Polizeikommandant Gerhard Lips und Re­gierungsrat Baschi Dürr genügt Schefer nicht. «Diese Antworten reichen nicht aus. Es wäre wünschenswert, wenn da noch mehr kommt.»

Die drängendsten Fragen im Überblick:

Ein Grossteil der Kontrollierten musste sich auf dem Polizeiposten nackt ausziehen. Ist das erlaubt?

Gemäss Schefer ist  es nicht zulässig, dass sich Personen bei einer Kontrolle generell nackt ausziehen müssen. Ein Leit­urteil des Bundesgerichts (6B_391/2013) hält fest, eine Leibesvisitation sei nur rechtmässig, «wenn sie dringend erforderlich und durch die Bedeutung der Übertretung gerechtfertigt ist, was nur in Ausnahmefällen zutreffe». In der Regel können Verdächtige vor Ort über den Kleidern auf Waffen oder andere Gegenstände durchsucht werden.

Das Bundesgericht schreibt in seinem Urteil zu einem Mann, der sich der Auf­forderung, die Hände aus der Hosentasche zu nehmen, widersetzt hat: «Die auf der Po­lizeiwache durchgeführte Leibesvisi­tation, bei welcher sich der Privatkläger habe nackt ausziehen müssen, sei mit Blick auf den konkreten Tatvorwurf (Nichtentfernen der Hände aus den Hosentaschen) nicht angezeigt, unangemessen, unverhält­nismässig und damit missbräuchlich gewesen.»

Unter welchen Umständen darf  die Polizei Personenkontrollen auf dem Revier vornehmen?

Dasselbe Bundesgerichtsurteil hält eindeutig fest, eine Person zur Identi­fizierung mitzunehmen sei nur dann rechtsmässig, wenn der Betroffene seine Personalien vor Ort nicht bekannt gibt oder es begründeten Verdacht zur Annahme gibt, dass die Papiere gefälscht sind. Markus Schefer nennt als weiteren möglichen Grund, wenn vor Ort eine Kontrolle nur ­unter Gefahr möglich wäre. Dass die Polizei zahlreiche Teilnehmer vor Ort auf dem Messeplatz kontrolliert und dennoch mitgenommen hat, ist für ihn unverständlich. «Liegt kein begründeter Straftatsverdacht vor, dürfen diese Personen nach ­erfolgter Kontrolle nicht auf den Posten mitgenommen werden.» Gemäss Aussagen der Betroffenen wurden zudem zahlreiche Personen über mehrere Stunden auf dem Polizeiposten festgehalten. Gemäss Bundesgericht handelt es sich dabei um einen mittleren bis schweren Eingriff in die Grundrechte.

Die Polizei hat einen Grossteil der 34 zur Kontrolle mitgenommenen Personen fotografiert. Ist sie dazu berechtigt?

Das ist erlaubt, wenn eine Identitätsfeststellung auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich ist. Oder wenn andere Rechtsgrundlagen eine Registrierung vorsehen (§ 39 Abs. 2 Polizeigesetz). Besteht kein hinreichender Grund, die Betroffenen zu fotografieren, sind die Bilder durch die Polizei selber zu vernichten und entsprechende Registraturhinweise zu löschen. Gemäss dem kantonalen ­Datenschutzbeauftragten Beat Rudin haben die Betroffenen das Recht, von der Kantonspolizei zu erfahren, ob – und wenn ja–, welche Daten über sie bearbeitet werden. Werden Personendaten widerrechtlich bearbeitet, dann können sie verlangen, dass sie vernichtet werden.

Regierungsrat Baschi Dürr sagt im Interview mit der TagesWoche, «wir wollen zu dieser Thematik keine Veranstaltung». Kann ein Regierungsrat Themen definieren, zu denen er keine Veranstaltung wünscht und bei denen er die Bewilligungspflicht strenger durchsetzt?

«Nein», meint Markus Schefer, «die Regierung darf nicht bestimmen, welche Themen auf öffentlichem Grund thematisiert werden und welche nicht.»

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