Paris setzt Menschenrechts-Konvention teilweise ausser Kraft

Nach den Terroranschlägen von Mitte November beschränkt die französische Regierung die Wirkung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Damit kann sie flächendeckend durchgreifen.

Frankreich bekennt Farbe: Trikoloren sind nach den Anschlägen von Paris wieder gefragt.

(Bild: MICHEL SPINGLER)

Nach den Terroranschlägen von Mitte November beschränkt die französische Regierung die Wirkung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Damit kann sie flächendeckend durchgreifen.

Laut einer Mitteilung des Europarats vom Donnerstag hat Frankreich die Strassburger Institution davon in Kenntnis gesetzt, dass es die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) teilweise ausser Kraft setze. 

Die Einschränkung verleiht der französischen Polizei aussergewöhnliche Vollmachten und schränkt das öffentliche Leben massiv ein. So verbietet die Regierung in Paris vor dem anstehenden Klimagipfel COP21 in der französischen Hauptstadt kurzum eine Demonstration, zu der Hunderttausende von Menschen aus ganz Europa erwartet wurden. 

Zur Begründung heisst es in Paris, die EMRK-Einschränkung sei «nötig, um die Vornahme neuer Terroranschläge zu verhindern». Am 13. November waren in Paris 130 Menschen von islamistischen Terroristen getötet worden.

Polizei nützt Vollmacht grossflächig aus

Artikel 15 der Menschenrechtskonvention erlaubt die Limitierung gewisser Grundrechte, «wenn es die Lage erfordert». Folter, Tod, Sklaverei und Haft ohne Urteil bleiben aber auch dann verboten. Angeordnet hatten die Massnahme bisher erst die Türkei, Georgien, Armenien – und Frankreich 1985 bei einem Aufstand der einheimischen Bevölkerung auf der Pazifik-Insel Neukaledonien. 

Die Aussetzung der EMRK erfolgt im Zuge der Verlängerung des Ausnahmezustandes bis im kommenden Februar. Die französische Polizei nützt ihre Vollmacht, ohne richterliche Ermächtigung vorzugehen, grossflächig aus. Sie nahm bisher mehr als 160 Verdächtige fest – zum Teil nur vorübergehend –, durchsuchte über 1200 Gebäude und Wohnungen und belegte 270 Personen aus dem radikalislamistischen Dunstkreis mit Hausarrest. Laut dem vergangene Woche in Kraft gesetzten Notstandsgesetz ist das zulässig, wenn die Einsatzpolizei «ernsthaft Grund zur Annahme» hat, dass die betreffende Person die öffentliche Ordnung gefährden könnte. 

Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erinnert Frankreich daran, dass diese Polizeieinsätze wirklich nur dann erlaubt seien, «wenn es die Lage erfordert»; ausserdem müssten sie verhältnismässig bleiben. Im Zuge des Ausnahmezustandes erlassen einzelne Lokalbehörden aber auch Weisungen, die kaum mit der Terrorbekämpfung zu begründen sind. In Nordfrankreich etwa hat eine Präfektur den Verkauf von Alkohol zwischen acht Uhr abends und acht Uhr morgens verboten. 

Hartes Vorgehen wird goutiert

In Frankreich hört man kaum Kritik. Der Vater eines im Klub Bataclan umgekommenen Opfers erklärte im Gegenteil, er boykottiere die nationale Trauerfeier mit Präsident François Hollande, weil die Regierung nach den «Charlie»-Anschlägen im Januar zu wenig hart durchgreife.

Zwei Wochen nach den Terroranschlägen scheint dies die öffentliche Meinung zu widerspiegeln. In einer Umfrage billigten 84 Prozent der Franzosen die Lockerung der Notwehrregeln für die Polizei. 91 Prozent heissen die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Terroristen gut. 

73 Prozent billigen auch das Vorgehen von Präsident François Hollande – militärisch in Mali und Syrien, mit der Polizei in Frankreich. Nur vereinzelt vergleichen Kommentatoren seine Reaktion mit der «Patriot Act» von US-Präsident George W. Bush nach den Attacken vom 11. September 2001. Der französische Sozialist steckt sich allerdings keinen Frankreich-Pin an seine Weste. Dafür ruft er sämtliche Franzosen auf, aus Solidarität mit den Opfern am Freitag, 27. November, die rot-weiss-blaue Trikolore in die Fenster und an Balkone zu hängen.

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Alles zu den Anschlägen in Paris lesen Sie in unserem Dossier 

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