Passivrauchen: Subversion auf höchstem Niveau

Der Bundesrat lehnt die Volksinitiative «Zum Schutz vor Passivrauchen» eigentlich ab. Aber nur eigentlich. Innenminister Alain Berset (SP) argumentiert im besten Sinne der Lungenliga.

Bundesrat Alain Berset äussert sich gegen die Volksinitiative zum Schutz vor Passivrauchen. (Bild: Keystone)

Der Bundesrat lehnt die Volksinitiative «Zum Schutz vor Passivrauchen» eigentlich ab. Aber nur eigentlich. Innenminister Alain Berset (SP) argumentiert im besten Sinne der Lungenliga.

Der Innenminister versprach «neue wissenschaftliche Erkenntnisse» und zeigte schwungvoll auf seinen Nebenmann, Pascal Strupler, Direktor des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Über 30 Studien würden national und international den erfolgreichen Kampf gegen das Passivrauchen dokumentieren, sagte dieser und zitierte jene drei aktuellen Untersuchungen, die sich mit der Situation in der Schweiz befassen. Genf: minus 19 Prozent Spitaleinweisen, die mit Raucherleiden zu tun haben und minus 7 Prozent Herzinfarkte im untersuchten Zeitraum; Graubünden: minus 21 Prozent Herzinfarkte; Tessin: minus 15 Prozent Spitaleinweisungen. «Das sind alles direkte Auswirkungen des neuen Bundesgesetzes», sagte Strupler.

Was er nicht sagte, und worauf er erst nach Nachfrage eines Journalisten aus der Romandie einging: In jenen drei Kantonen wurde vor zwei Jahren nicht das vergleichsweise lockere Bundesgesetz umgesetzt, sondern eine strengere Variante, die die Lungenliga mit ihrer Volksinitiative «Zum Schutz vor Passivrauchen» schweizweit verankern möchte. «Das ist halt so im Föderalismus. Und das wollen wir schützen», sagte der BAG-Direktor.

Unsere föderalistische Schweiz

Das vor zwei Jahren verabschiedete Bundesgesetz sieht verschiedene Ausnahmen vor, die mit der aktuellen Initiative, über die am 23. September abgestimmt wird, wieder abgeschafft werden sollen: Betriebe mit einer Grösse bis 80 Quadratmeter dürfen als reine Raucherbetriebe geführt werden und auch bediente Fumoirs sind zulässig. Es ist den Kantonen bis heute noch selber überlassen, ob sie das Bundesgesetz strenger auslegen wollen. Dies hat zu einer Vielzahl von verschiedenen Lösungen in den Kantonen geführt. «Es war ein Kompromiss, den wir vor zwei Jahren erreicht haben», sagte Berset, «und es wäre zu früh, wenn wir das Gesetz schon wieder ändern würden.»

Berset im Dilemma

Im Parlament wurde die Vorlage von der bürgerlichen Mehrheit klar abgelehnt, SP und Grüne unterstützen die Volksinitiative. Bereits zum zweiten Mal nach der Managed Care Vorlage muss Alain Berset nun eine Vorlage vertreten, zu der er persönlich wohl eine andere als Meinung als die Mehrheit von Parlament und Bundesrat hat. Ob er denn, ähnlich wie bei der Managed-Care-Vorlage, seine Meinung tatsächlich geändert habe, wollte ein Journalist vom Innenminister wissen. Berset wich aus, redete über den gutschweizerischen Kompromiss und über die Fortschritte im Kampf gegen das Passivrauchen in den vergangenen zehn Jahren. Und dann verwies er noch einmal auf die Studien, die eindrücklich zeigen würden, dass das Gesetz nütze. Jene Studien, mit denen auch die Lungenliga wirbt. Aber für die Annahme der Initiative.

Quellen

Studie Graubünden

Studie Bellinzona

Pressemitteilung EDI

Übersichtsseite Passivrauchen Bundesamt für Gesundheit

Website der Befürworter

Website der Gegner

Parodie-Website der Lungenliga

Die Abstimmung im Parlament bei Politnetz

Dossier Passivrauchen im Parlament

Artikelgeschichte

In einer ersten Version entstand der Eindruck, Alain Berset habe bereits als Parlamentarier über die Passivrauchen-Vorlage abgestimmt. Dieser Eindruck ist falsch: Berset war schon Bundesrat, als die Vorlage im Ständerat debattiert wurde.

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