Am «Gedenkanlass» für Verdingkinder und andere «Opfer administrativer Zwangsmassnahmen» hagelte es in Bern Entschuldigungen und viel Betroffenheit. Konkret blieb der Anlass jedoch allgemein und unverbindlich.
«Es war genau wie damals bei Widmer-Schlumpf in Hindelbank», sagte ein sichtlich enttäuschter Betroffener im Pensionsalter nach dem Anlass vor dem Berner Casino draussen: «Allenthalben Entschuldigungen – aber sonst nur lauter Unverbindlichkeiten.» Im Berner Frauengefängnis Hindelbank hatte sich die damalige Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf schon 2010 bei willkürlich eingesperrten Frauen «entschuldigt». Doch im Gesetz, welches dieses Unrecht danach legal anerkennen sollte, steht jetzt eigens ein Artikel, der jegliche Entschädigung kurzerhand ausschliesst.
Erschütternde Berichte der Opfer
All die Verdingkinder, die im letzten Jahrhundert noch bis weit nach dem Krieg auf Bauerhöfen in der Schweiz Zwangsarbeit leisten mussten, waren in diesem Gesetz vergessen worden. Jetzt hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga auch die 10 000 Überlebenden dieses Unrechts an einem musikalisch umrahmten «Gedenkanlass» in Bern «von ganzem Herzen um Entschuldigung» gebeten.
Sie war dabei die letzte in einer ganzen Reihe von Entschuldigern – von einem Regierungsrat als Vertreter der Kantone, Gemeinden und Städte über den Präsidenten der Bischofskonferenz, Markus Büchel, der die Kirchen repräsentierte, bis zum Präsidenten des Bauernverbandes, CVP-Nationalrat Markus Ritter. Doch im Kontrast zu den teils erschütternd konkreten Berichten der Opfer, die zuvor zu hören gewesen waren, blieben alle Vertreter der Täterschaft eher vage und sprachen in Passivsätzen.
Runder Tisch statt mutige Taten
Bischof Büchel meinte gar: Die begangenen Vergehen und Verbrechen lasteten «schwer auf den Kirchen» – gerade so, als ob sie die Opfer wären. Und als Bauernpräsident Ritter jene Ausnahmefälle betonte, in denen Verdingkinder auf Bauernhöfen «korrekt behandelt wurden», erntete er empörte Zwischenrufe und Pfiffe aus dem Publikum.
Applaus erntete hingegen Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Doch auch ihre lange erwartete Rede blieb im Passiven und Unverbindlichen. «Das ist ein wichtiger Tag – weil Sie wichtig sind», sagte sie den im nur schummrig beleuchteten Saal versammelten Opfern zwar. Täter und institutionelle Tatorte zu benennen vermied aber auch sie. In ihrer Sprachregelung sind die Täter «Akteure». Und diese sollen jetzt mit den überlebenden Opfern an einen «runden Tisch» sitzen. Die Justizministerin will nicht etwa das Unrecht oder die Strafteten aufklären – sondern bloss «die Thematik» historisch und rechtlich «aufarbeiten lassen». Was immer das heisst.
«Finanzielle Fragen» statt klare Antworten
Historiker sind seit Jahrzehnten schon daran diese Geschichte aufzuarbeiten. Zur Forderung der 10’000 überlebenden Opfer nach Wiedergutmachung sagte die Bundesrätin bloss: «Darüber hinaus stellen sich finanzielle und möglicherweise auch noch weitere Fragen.» Dass jetzt ein Gesetz auf dem Tisch liegt, das diese «finanziellen Fragen» längst abschlägig beantwortet hat, verschwieg sie.
Dafür geben die ehemaligen Verdingkinder, die inzwischen gut organisiert sind, dazu neue Antworten: Um die Not der Überlebenden zu lindern, könnte doch der Bund aus seinem Milliarden-Budget für die Schweizer Landwirtschaft jedes Jahr ein paar Millionen in einen «Verdingkinder-Fonds» geben, fordern sie. Ein Anwesender brachte es so auf den Punkt: «Direktzahlungen für Verdingkinder, statt für Grossbauern!»