Performance am Rheinbord erinnert an das Schicksal von Flüchtlingen

Am letzten Tag des Monats, jeweils pünktlich um zwölf Uhr mittags, gehen am Rheinbord momentan seltsame Dinge vor sich. In weisse Laken gehüllte Gestalten liegen regungslos am Ufer.

Mit einer Performance wollen Kaserne und Roxy jeden Monat auf Flüchtlinge aufmerksam machen, die auf der Flucht ihr Leben lassen.

(Bild: Daniela Gschweng)

Am letzten Tag des Monats, jeweils pünktlich um zwölf Uhr mittags, gehen am Rheinbord momentan seltsame Dinge vor sich. In weisse Laken gehüllte Gestalten liegen regungslos am Ufer. Das Ganze ist, man ahnt es, eine politische Performance.

Mit der Kunstaktion «Just one Minute», zu der Kaserne Basel und das Theater Roxy am Dienstag, 30. Juni, zum zweiten Mal einluden, wollen die Organisatoren an das Schicksal der Flüchtlinge sowie an den hundertfachen Tod im Mittelmeer erinnern. Begleitend wurden Passanten aufgefordert zu einer Schweigeminute.

Ähnlich wie andere Organisationen wie Greenpeace oder das «Zentrum für politische Schönheit» will die Performance Kontraste aufzeigen, den Tod im Mittelmeer sichtbar und begreifbar machen.

Erinnerung an die Toten im glücklichsten Land der Welt

Auslöser für «Just one minute!» war eine drastische Ambivalenz. Zum einen die Flüchtlingskatastrophe vom 19. April, bei der mindestens 700 Menschen starben. Zum anderen kürte der World Happiness Report die Schweiz wenige Tage später zum glücklichsten Land der Welt.

Initiatorin der Kunstaktion ist die Schauspielerin und Performancekünstlerin Beatrice Fleischlin, die sich auch in anderen Projekten mit der Flüchtlingsthematik befasst. Am 30. April wurde «Just one Minute!» auf dem Luzerner Jesuitenplatz uraufgeführt und ist danach in andere Städte weitergewandert. Am jeweils letzten Tag des Monats soll in Basel bis auf Weiteres performt werden.

Kurz nach Mittag geht es los

Am Treffpunkt vor der Kasernen-Buvette herrscht am heutigen Dienstagmittag bestes Wetter und eine in Anbetracht des Themas fröhliche Stimmung. Eine kleine Gruppe, eingeladen per Facebook, trifft sich, um eine Stunde still am Rheinbord zu liegen, bedeckt mit einem weissen Laken.

«Wenn die Ersten kollabieren, hören wir auf», witzelt eine Frau. Geplant war eine Stunde, sofern die Hitze das zuliess. Nach einem letzen Schluck Wasser einigt man sich auf einen Schattenplatz einige Meter weiter. Kurz nach Mittag geht es los.

«Wir laden Sie ein, eine Schweigeminute für jene abzuhalten, welche auf dem Weg in eine glücklichere Zukunft ihr Leben verloren haben.»

Yves Regennass, Dramaturg des Theaters Roxy, deckt die sechs Teilnehmer, die sich in einer Reihe ans Rheinbord gelegt haben, mit weissen Laken zu. Anschliessend stellt er ein Schild auf, das die Installation erklärt. «Wir laden Sie ein, eine Schweigeminute für jene abzuhalten, welche auf dem Weg in eine glücklichere Zukunft ihr Leben verloren haben», steht unter anderem darauf.

So, stellt man sich beim Lesen kurz vor, muss es an manchen Tagen an den Stränden von Lampedusa aussehen.

Die Reaktion lässt nicht lange auf sich warten. Die Reihe in Laken gehüllter Körper fällt auf. Die ersten Passanten bleiben stehen, lesen die Erklärung der Performance-Gruppe, halten inne, fragen nach. Andere richten den Blick konzentriert geradeaus und gehen zügig vorbei.

«Sind das Puppen?»

Ein Jugendlicher nimmt beim Vorbeilaufen die Baseballkappe ab. Ein Gruppe Jogger passiert die Szenerie, ohne langsamer zu werden, nur Zentimeter den Köpfen der liegenden Menschen vorbei.

«Sind das Puppen?», fragt jemand. «Ufwache!», scherzt ein anderer. «Die schlafen nur», sagt eine Gruppe Teenies.

Ein Radfahrer hält an und starrt minutenlang auf das Schild. Andere diskutieren, lachen oder bleiben kurz stehen. 

«Erschrocken bin ich schon», sagt ein Fussgänger. Das Schild zur Aktion hat er erst nach den Körpern gesehen. «Aber ich dachte mir, dass es nichts Schlimmes sein kann. Sonst wär hier mehr Action.»

«Schon makaber», sagt seine Begleiterin. Die zugedeckten Körper wecken negative Assoziationen bei ihr. Die Aktion findet sie aber gut.

Etwas lebhafter wird es, als die Polizeistreife vorbeifährt und nach der Bewilligung fragt. Derjenige, der sie beantragt hat, ist nicht persönlich anwesend, was kurz für Verwirrung sorgt und einige Zuschauer anzieht.

Performance am Rheinbord: Für einige Aufmerksamkeit bei den Passanten sorgte die vorbeifahrende Polizeistreife.  

Performance am Rheinbord: Für einige Aufmerksamkeit bei den Passanten sorgte die vorbeifahrende Polizeistreife.   (Bild: Daniela Gschweng)

Nach einer Stunde ist die Performance vorbei. «Aufwachen!», heisst es für die Teilnehmer unter den Laken – diesmal im Ernst. Die schütteln sich zunächst ein wenig desorientiert. Eine Stunde ist lang, wenn man nichts sieht und nicht weiss, wie spät es ist.

Wie man sich so gefühlt hat, so als Toter, frage ich. «Ziemlich ausgeliefert», sagt eine Teilnehmerin. «Wenn dir die Leute so nahe kommen, ist das schon seltsam.»

«Du hörst alles», sagt eine andere. «Wie die Leute über dich sprechen, wie sie kommentieren.» Sie erzählt von der letzten Performance im Mai. Da waren es viele Kinder, die wissen wollten, was mit den Menschen unter den Laken ist. Genervt habe sie aber auch heute vor allem die x-fach wiederholte Bemerkung: «Die schlafen nur.»

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«Just one Minute» findet bis auf Weiteres jeweils am letzten Tag des Monats am Rhein vor dem Kasernengelände statt. Teilnehmen kann jeder (FB-Link). Der nächste Termin ist am 31. Juli.

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