Wenn das Kunstmuseum im März dieses Jahres die grosse Picasso-Ausstellung eröffnet, lebt auch die Legende vom Basler Bilderkauf 1967 wieder auf.
Es war eine Stunde nach Mitternacht, der 20. April im Jahre 1967 eben erst eine Stunde alt, als eine Maschine der schweizerischen Charter-Fluggesellschaft Globe-Air auf dem Flug von Bombay nach Basel in Nikosia (Zypern) hätte zwischenlanden sollen. Das Wetter war schlecht, die Sicht auch. Zwei Mal versuchte der Pilot vergeblich zu landen, beim dritten Versuch zerschellte die Maschine mit 128 Menschen an Bord an einem Hügel.
Die Schweizer Zeitungen berichteten auf den Frontseiten über das Unglück, besonders ausführlich die Basler Blätter, von denen es damals mehrere gab. Von einer der «grössten Katastrophen in der Geschichte der Luftfahrt» schrieben die «Basler Nachrichten». 124 Menschen, darunter mehr als die Hälfte aus Deutschland und 25 aus der Schweiz, starben, nur vier überlebten. Von besonderem Interesse war das Unglück in Basel, weil die Fluggesellschaft hier domiziliert und ein wichtiger Verwaltungsrat und Aktionär ein Hiesiger war: Peter G. Staechelin.
Der Flugzeugabsturz in Zypern sollte in den folgenden Monaten eine Reihe von Ereignissen auslösen, die schliesslich zu einer der Legenden führten, von der so viele Basler erzählen, wenn sie von der angeblichen Besonderheit ihrer Stadt und von den goldenen Sechzigern schwärmen. Damals, als die grosse Zeit des Theaters und des FC Basel, die einander gegenseitig befruchteten, anhob, als Kult-Regisseur Werner Düggelin bald nach Basel kommen sollte und FCB-Trainer Helmut Benthaus schon da war.
Damals nämlich, acht Monate nach dem Globe-Air-Absturz in Zypern, stimmten die Basler Stimmberechtigten dem Kauf von zwei Picasso-Bildern, «Deux Frères» und «Arléquin assis», für sechs Millionen Franken zu. Die Abstimmung interessierte nicht nur in der Stadt. Die ganze Schweiz wartete gespannt auf das Resultat, das Ausland nahm das Ergebnis zur Kenntnis, der «Spiegel» berichtete in einer Mischung aus Belustigung und Erstaunen unter dem Titel «Urnen überall»: «Für den Ankauf der Picasso-Bilder ‹Sitzender Hanswurst› und ‹Die beiden Brüder› wollen 32 118 Basler und Baslerinnen sechs Millionen Steuer-Franken ausgeben.
Zurück zum Absturz in Zypern: Er löste nicht nur Leid und Trauer bei den Hinterbliebenen aus, sondern er führte auch zum ersten Grounding einer schweizerischen Fluggesellschaft, der Globe-Air. Ihre finanzielle Basis war schon längere Zeit schwach, sie flog immer wieder operationelle Verluste ein, der Direktor war in unlautere Geschäfte verwickelt, und so bedeutete die Katastrophe im April 1967 das Ende. Noch bevor im Oktober des selben Jahres der Konkurs angemeldet und die 90 Angestellten entlassen wurden, musste der Hauptaktionär, Peter G. Staechelin, für finanzielle Forderungen geradestehen, die seine Möglichkeiten überstiegen.
Jedenfalls seine flüssigen Mittel. Doch er besass noch andere Werte: Peter G. Staechelins Grossvater war in den 1870er-Jahren vom badischen Istein als mittelloser Maurer nach Basel gezogen, wo er sich im damaligen Bauboom entschieden nach oben arbeitete, zum Unternehmer und Finanzmann wurde. 1890 übergab er die Immobilien- und Finanzfirma Staechelin & Co seinem Sohn Rudolf, der sich überaus für Kunst interessierte und zwischen 1914 und 1930 eine bedeutende Sammlung moderner Kunst anlegte, die er in seiner Villa im Gellert und im Schloss Ebenrain in Sissach, das ihm ebenfalls gehörte, an die Wände hängte. Zu seinen Werken gehörten unter anderen die beiden Picassos, aber zum Beispiel auch Vincent van Goghs «La Berceuse».
Das erste Bild geht weg
Der durch den Globe-Air-Konkurs mittellos gewordene Peter G. Staechelin hatte im Sommer 1967 also kein Geld mehr, aber millionenteure Kunst, auch wenn sie mittlerweile im Kunstmuseum hing. Sein Vater hatte die Sammlung in eine Stiftung überführt und die Familie übergab die Bilder sukzessive dem Kunstmuseum Basel als Leihgabe und damit ein Stück weit der Öffentlichkeit. Trotzdem verkaufte Staechelin als Erstes Van Goghs «La Berceuse» einem ausländischen Interessenten für 3,2 Millionen, der das Werk vier Wochen später für 4,5 Millionen weiterverkaufte (heute im Metropolitan Museum of Art, New York). Die Basler Kunstwelt war entsetzt, denn irgendwie ging man davon aus, dass eine Familienstiftung solche dem persönlichen Interesse eines Familienmitglieds dienende Verkäufe verhindern sollte.
Doch die nach einem alten Recht gegründete Stiftung liess eben dies zu, wie die «Basler Nachrichten» der verdutzten Leserschaft damals erklärten: «Unter drei Voraussetzungen kann die Staechelin-Stiftung Bilder veräussern: Wenn ein Familienmitglied in eine Notlage gerät, wenn die Ausbildung eines Nachkommen gefährdet ist und wenn eine angemessene Aussteuer eines Nachkommen nicht aufgebracht werden kann.» Da Punkt eins zweifellos zutraf und das Ausmass der Notlage nicht absehbar war, war die Kunstwelt nicht nur entsetzt, sondern auch alarmiert. Es sickerte durch, dass als Nächstes die beiden Picassos zum Verkauf gedacht waren.
Alle an einem Tisch
Der Direktor des Kunstmuseums, Franz Meyer, setzte alle Hebel in Bewegung, um Kunstfreunde, Regierungsräte und Vertreter der Staechelin-Stiftung an einen Tisch und alle zusammen zu einer Vereinbarung zu bringen, die dann so aussah: Die Stiftung verzichtete auf eine Versteigerung der beiden Picassos und bot sie der Stadt für 8,4 Millionen Franken an. Rechnet man diesen Geldwert auf die heutige Zeit um, entspricht das einer Summe von über 30 Millionen (der Kunstwert der beiden Bilder wäre noch weitaus höher).
6 dieser 8,4 Millionen wollte die Basler Regierung aus der Staatskasse beisteuern, 2,4 Millionen sollten private Spender aufbringen. Schaut man sich die damaligen Zeitungen an, beschäftigte der Kauf von zwei Picasso-Bildern nur den kunstsinnigen Teil der Bevölkerung. Grosszügig bewilligte der Grosse Rat am 12. Oktober den Kredit mit nur vier Gegenstimmen. Der Basler Verkehrsverein, der Kunstverein, der Künstlerverein und andere Organisationen warben um Spenden, um die nötigen 2,4 Millionen zusammenzubringen, und sie bereiteten einen Aktionstag, das sogenannte Bettlerfest am 25. November 1967, vor.
Garagist Lauper, der Ruhestörer
Doch da platzte der parteilose Garagist Alfred Lauper in den Frieden und sammelte innert Kürze die notwendigen Unterschriften für ein Referendum. Lauper war ein um sein Geld geprellter Globe-Air-Kleinaktionär, der andere Prioritäten setzte als den Erhalt moderner Kunst im Museum. Es war um die Ruhe geschehen in dieser Stadt, wie ein Blick in die Zeitungsarchive zeigt. Die anberaumten Ständeratswahlen, das Abrutschen der Kantonsfinanzen in die roten Zahlen, die Unlust der Frauen, erstmals an Ständeratswahlen teilzunehmen, der Entscheid des Bundesrats, das vom Basler Polizeidepartement verordnete Parkverbot in der Freien Strasse aufzuheben, der herbstliche Kriechgang des FC Basel, der doch eben im Sommer seit 14 Jahren wieder Meister geworden war – all das wurde nebensächlich.
Die Redaktoren der Zeitungen, die allesamt für den Bilderkauf waren, schrieben sich die Finger wund, begründeten die Notwendigkeit des Kaufs, liessen Experten zu Worte kommen, veröffentlichten Spendenbarometer. Doch noch heftiger schrieb die Leserschaft. Ihre Leserbriefe nahmen mehr Platz ein als die redaktionellen Beiträge. Und hier zeigt sich die Kluft in der Stadt: «Rettet Picasso», «Wir brauchen diese Bilder nicht», «Es geht um unsere Liebe zur Kunst», «Durch Kunsthandel und Spekulation hochgesteigert», man solle erst Spitäler, Altersheime, das Heuwaage-Viadukt finanzieren, die ums Geld gebrachten Globe-Air-Aktionäre, die entlassenen Globe-Air-Angestellten entschädigen … Es gab Kunstverständige, die darlegten, dass Picasso überschätzt sei.
Was Referendumsführer Alfred Lauper übersah: Er gab nicht nur den Picasso-Verächtern eine Stimme, er mobilisierte auch die Befürworter. Mit «I like Pablo»-Ansteckknöpfen gingen sie durch die Stadt, warben für das Bettlerfest, das am 25. November stieg. Von Suppe mit Wurst aus der Militärküche vor der Hauptpost bis zu Dutzenden von Ständen rings ums Kunstmuseum und in dessen Innenhof, an denen nun wirklich alles zu haben war, was irgendwie an Kunst oder Picasso erinnern konnte. Es wurde alles in Fronarbeit hergestellt und dargeboten. Die ganze Schweiz schaute nach Basel, St. Gallen sicherte eine Spende zu, Baselland überwies – ohne angefragt worden zu sein – 80 000 Franken, Binningen 2000 Franken und so weiter. Der legendäre Zürcher Stadtpräsident Sigi Widmer liess verlauten, dass er ans Bettlerfest komme, obwohl er am Abend an einer Zürcher Jungbürgerfeier teilzunehmen habe.
Zwei Erfolge
Das Fest war ein Erfolg. «Ganz Basel am Bettlerfest» titelten die «Basler Nachrichten». Zusammen mit den grossen Spenden der Wirtschaft (1,5 Millionen) kamen 2,5 Millionen zusammen, 100 000 Franken mehr als nötig. Sie konnten vom grossrätlichen Kredit abgezogen werden. Und auch die Abstimmung wurde zum Erfolg. Am 17. Dezember hiessen die Stimmenden den Picasso-Kredit mit 32 118 Ja gegen 27 190 Nein gut. Wildfremde Leute sollen sich nach Bekanntgabe des Resultats auf dem Marktplatz um den Hals gefallen sein.
Über die Aussichten, eine ähnliche Abstimmung nochmals zu gewinnen, schrieb Kunstmuseums-Direktor Franz Meyer später in seinen Erinnerungen: «Ist es aber nicht erstaunlich, dass die (…) eher klassisch wirkenden Picasso-Bilder sowohl für die Jugend als auch für das (…) Bürgertum der Stadt die Rolle von Exponenten neuen Geists spielen konnten? Man muss daran erinnern, dass die Basler Ereignisse vor 1968 stattfanden: gerade die Jugend wäre in den darauffolgenden Jahren kaum mehr auf so ausgesprochene Establishment-Werte zu verpflichten gewesen. Das Jahr 1967 jedoch, das gehörte gerade noch zu einer Zeit optimistischer Fortschrittsgläubigkeit.»
Am Abend des 17. Dezember feierte auch Franz Meyer – in der Kunsthalle. Mitten im Trubel wurde er ans Telefon gerufen. Picassos Frau Jacqueline bat ihn, umgehend in des Künstlers Villa in der südfranzösischen Provence zu kommen. Picasso habe eine Überraschung für ihn. Meyer, völlig überrascht, bat, den Termin um ein paar Tage zu verschieben. «Wenn Sie warten, könnte er seine Meinung ändern», erwiderte Jacqueline Picasso. Kunstmuseumsdirektor Meyer flog anderntags, und am 21. Dezember stand auf den Frontseiten der Zeitungen: «Picasso schenkt Basel vier eigene Werke.»
Ein Buch für PicassoWie bedankt man sich bei einem weltberühmten Künstler, der alles hat, dem man nichts mehr geben kann?Mit etwas Einzigartigem. Die Basler Regierung entschied sich, nachdem Pablo Picasso dem Basler Kunstmuseum vier Werke geschenkt hatte, den Fotografen Kurt Wyss damit zu beauftragen, ein Buch zusammenzustellen. Es sollte die Volksabstimmung zu den beiden Picasso-Bildern dokumentiert werden – ein Unikat aus vielen Fotografien, aus Abstimmungszetteln, aus Zeitungsartikeln und vielem anderen mehr aus jenem Basler Winter 1967.Das so entstandene Buch gefiel Maja Sacher, die dem Museum ebenfalls einen Picasso geschenkt hatte, so gut, dass sie sich als Dank ebenfalls ein Exemplar wünschte. Und weil Picassos Unikat nun plötzlich keines mehr war, schuf Kurt Wyss für sich selbst ein drittes. Diese Fassung dient nun als Vorlage für ein Faksimile, das in einer Stückzahl von 150 von Hans Furer vom Verein der Freunde des Kunstmuseums vor der kommenden Picasso-Ausstellung im Kunstmuseum herausgegeben wird.Auf Initiative von Kurt Wyss, Hans Furer, Nikolaus Sturm und Ruedi Bienz entsteht so eine Reproduktion eines historischen Zeitdokuments. Laut Hans Furer ist das Faksimile wie die ganze Picasso-Geschichte ein Beweis dafür, «dass Initiative und Bereitschaft, für etwas einzustehen und dafür zu kämpfen, sich lohnen können».TagesWoche-Abonnenten und -Abonnentinnen können den Faksimile-Band «I like Pablo» zu einem Vorzugspreis von 250 Franken (statt 290 Franken) per Email beziehen: martina.berardini@tageswoche.ch
Quellen
«Nafea. Die Sammlung Rudolf Staechelin Basel» von Hans-Joachim Müller (Wiese Verlag: Basel, 1990). Im Anhang der Bericht des ehemaligen Direktors Franz Meyer mitgenauen Informationen über die Verkäufe der Familienstiftung Staechelin nach dem Globeair-Absturz. Ebenfalls im Buch: Ein Bericht von Ruedi Staechelin über die Ereignisse aus Sicht der Familie Staechelin und über die Zukunft der Leihgaben im Kunstmuseum.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.01.13