Er war wohl der letzte grosse Optimist im Parlament. Mit Otto Ineichen stirbt einer jener Politiker in Bern, die immer noch ernsthaft daran glauben, mit einer guten Idee die Dinge verändern zu können.
Das öffentliche Betrauern hat schon Stunden nach Otto Ineichens Tod vom Mittwochmorgen begonnen. Per Medienmitteilung, per Newsportal, per Twitter, per Facebook tun die Menschen, was sie immer tun, wenn ein Kollege unerwartet verstirbt (und es war unerwartet, auch wenn Ineichen in zwei Tagen bereits 71 Jahre alt geworden wäre). Sie preisen den Toten und lassen den Rest beiseite. Heute ist er der grosse und liebenswürdige Freund, der leidenschaftliche Politiker und grosse Macher.
Um diese Art der Anerkennung innerhalb des politischen Betriebs zu erhalten, dafür musste Ineichen erst sterben. Zu seinen Lebzeiten wurde er menschlich von seinen Kollegen zwar geschätzt, politisch aber höchstens belächelt. Otto Ineichen war keiner von ihnen. Zu reich, zu unkonventionell, zu originell, zu gutgläubig.
Nicht parteikonform
Legendär in diesem Zusammenhang war ein Auftritt von Ineichen vor ein paar Monaten in der FDP-Fraktionssitzung. Weil die Unterschriftensammlung zur etwas wirren Bürokratie-Initiative der FDP zu scheitern drohte, verteilte Ineichen an der Sitzung eigenhändig Unterschriftenbögen und drohte mit dem Austritt aus der Fraktion, sollte es die Partei nicht schaffen, die nötigen Unterschriften zusammenzubringen. «Es gibt einige Leute in der Partei, die offensichtlich zu bequem sind für eine Unterschriftensammlung auf der Strasse», sagte er damals der BaZ.
Ineichen eckte häufig an in der eigenen Partei, wich häufig von der Linie ab. Und wirkte dabei immer etwas ungläubig. Als er sich vor einem Jahr zusammen mit dem Basler Nationalrat Peter Malama als einer der wenigen Freisinnigen für einen Atomausstieg und die Energiewende aussprach, konnte er kaum glauben, dass seine Fraktionskollegen nicht ebenfalls zu seiner Überzeugung gekommen waren.
Kein Gedanken an Konsequenzen
Ineichen kümmerte sich nicht um Abhängigkeiten, politische Konsequenzen oder Ranküne – er glaubte immer nur an die gute Idee. An seine Idee etwa, Jugendlichen mit der Organisation «Speranza» einen Ausbildungsplatz in einem Unternehmen zu finden. Oder sein Einsatz beim Aufbau von günstigen Kinderkrippen; ein Projekt, das er nicht mehr vollenden konnte.
Bei seinen Engagements konnte er nur selten auf die Unterstützung der etablierten Politik zählen. Man liess ihn gewähren, schaute ihm belustigt zu, half ihm aber nicht. Trotz seines guten Rufes in der Öffentlichkeit (er gewann den «Prix Jeunesse» von der Jugendsession 2009 und wurde 2010 zum Politiker des Jahres gewählt) blieb er in der Politik ein Aussenseiter. Häufig sass er während den Sessionen draussen in der Wandelhalle, in der grossen Pranke ein viel zu kleines Mobiltelefon und sah viel finsterer drein, als man das von ihm kannte. «Dort drin», sagte Ineichen im Herbst während eines Gesprächs mit der TagesWoche, «dort drin herrscht der Lethargismus. Kein Mut, keine Visionen, kein Risiko. Das sind alles Bedenkenträger!» Man müsse weg von der Mittelmässigkeit, «es ist diese Mittelmässigkeit, die die Schweiz lähmt.»
Und dann begann er zu erzählen, von seinen Plänen und Projekten und Visionen und Ideen. Es waren gute Ideen und es waren schlechte Ideen.
Aber es waren vor allem: Ideen.
Quellen
Die Medienmitteilungen der FDP und der Jungfreisinnigen zum Tod von Otto Ineichen
Ineichens Auftritt vor seiner Fraktion beim vermeintlichen Scheitern der Bürokratie-Initiative