Politiker müssen mit dem Volk diskutieren – online

Ob Rassismusdebatte oder Streit um die Stadtentwicklung: Die Basler Politikerinnen und Politiker entziehen sich der Diskussion in Onlineforen und Blogs. Die Bevölkerung wird bei der Meinungsbildung allein gelassen.

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(Bild: KIN CHEUNG)

Ob Rassismusdebatte oder Streit um die Stadtentwicklung: Die Basler Politikerinnen und Politiker entziehen sich der Diskussion in Onlineforen und Blogs. Die Bevölkerung wird bei der Meinungsbildung allein gelassen.

Wer früher ein «volksnaher» Politiker oder eine «volksnahe» Politikerin war, tummelte sich jassend an einem Stammtisch oder höflich Prosecco nippend an Apéros und Vernissagen, um dem Volk den Puls zu fühlen. Hier konnten die Politikerinnen und Politiker die Volksstimme hören, erfahren, wo der Schuh drückt und wo die Volksseele aufjault.

Der Stammtisch als Umschlagsplatz von Meinungen und politischen Gesinnungen hat im urbanen Raum vermutlich grossmehrheitlich ausgedient. Nicht einmal mehr Revolutionen und Aufstände (Arabischer Frühling) werden in Hinterzimmern ausgeheckt: Die Aktivisten suchen sich Öffentlichkeit via Twitter, Facebook und Blogs.

Das scheint unseren lokalen Politikerinnen und Politikern entgangen zu ein. Auch im Fall der kürzlich vom Basler Präsidialdepartement lancierten Rassismus-Kampagne oder in der Debatte rund um die Stadtentwicklung sucht man deren Stimmen vergeblich im virtuellen Raum.

Politiker verbreiten leere Floskeln und bewegen sich weit weg von der Alltagsrealität.

Gut, einige wenige angefragte Politcracks haben mit ein paar wohl gemeinten Rassismus-Sätzen das Terrain politisch korrekt abgesteckt:

«Die Würde des Menschen ist unantastbar. Anstand hat keine Hautfarbe, kein Geschlecht und keine Religion.» Anita Fetz, Ständerätin

«Wir wollen Haltung einnehmen für die Offenheit, für die Basel so bekannt ist. Haltung einnehmen für durchlässige Grenzen und gegen Abschottung. Haltung einnehmen für das Wohl und die Fürsorge von Menschen, die in grösster Not aus kriegsversehrten Ländern hierher zu uns kommen.» Guy Morin, Regierungspräsident

«Ich gehöre zu einer Partei, die national auch mal laut auftritt, bekenne mich aber klar zur Offenheit Basels. Ich schätze unsere guten Verbindungen zu den Nachbarn und bin stolz auf die Leistungen unserer Wirtschaft, die nur mit der Unterstützung durch Fachkräfte aus über 100 Ländern möglich ist.» Patrick Hafner ist SVP-Bürgerrat der Stadt Basel.

Das sind mit Sicherheit gut gemeinte und prägnante und volksnahe Sätze. Aber es sind auch Floskeln. Von Politikern schnell hingeworfen, weit weg von der gelebten Alltagsrealität.

Die Kampagne «Basel zeigt Haltung» hat ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung gesetzt. Die TagesWoche hat die Thematik in einer Reihe von weiterführenden Beiträgen aufgegriffen: Antisemitismus, Islamophobie, Rassismus wurden breit diskutiert.

Dabei haben sich TagesWoche-Leserinnen und -Leser wiederholt sehr engagiert gezeigt und die recherchierten Artikel der Redaktion mit zusätzlichen Informationen und weiterführenden Aspekten ergänzt. Es fand ein eigentlicher Disput statt, und der Diskurs zeigte auf, wozu das Netzwerk und die Community fähig wären.

Der aktuelle Rassismus-Diskurs bleibt irgendwo im kleinen Leserkreis stecken.

Vielleicht ist der Begriff eines «Thinktank» etwas hoch gegriffen, aber zeitweise hatten die qualifizierten und weiterführenden Beiträge der Leserinnen und Leser diese Qualität. Der Auseinandersetzungen in den Kommentarspalten funktionierten wie eine Art Denkfabrik, die das Potenzial hatte, die öffentliche Meinung zum Thema zu differenzieren und zu qualifizieren. Der aktuelle Rassismus-Diskurs bleibt aber irgendwo im kleinen Kreis stecken.

Es enttäuscht mich, dass kaum Stimmen aus der Politik in den Onlinedebatten zu vernehmen sind. Die Aussagen von Guy Morin als Regierungspräsident, Anita Fetz als Ständerätin und Patrick Hafner als SVP-Bürgerrat in der TagesWoche sind austarierte Politstatements, bestens geeignet für die Wahl- und Parteipropaganda. Sie bieten aber nichts Handfestes für den Alltag. Ich sehe in ihnen keinen politischen Mehrwert.

Politiker melden sich nicht, sie diskutieren nicht mit dem Volk.

Oder der Basler Grosse Rat mit seinen 100 Mitgliedern. Bei einer Bevölkerungszahl des Kantons von rund 196’050 repräsentiert jedes Ratsmitglied knapp 2000 Personen. Aber wo bleiben diese Stimmen, wenn es um Meinungsbildung geht? Der Landrat im Kanton Baselland besteht aus 90 Politikerinnen und Politkern. Hat der Kanton Baselland mit 279’038 Einwohnerinnen und Einwohnern kein Rassismusproblem?

Ich erfahre von diesen 190 aktiven und gewählten Politikerinnen und Politikern nichts über ihre Positionen. Sie melden sich nicht, sie diskutieren nicht mit dem Volk. Sie artikulieren sich auch nicht in den entsprechenden Foren und Blogs. Politikerinnen und Politiker benutzen die Zeitungen. Sie deponieren ihre Positionen für Propaganda in eigener Sache und entschwinden anschliessend im geschützten Raum ihrer Links-Rechts-Mitte-Parteien. Sie weichen dem Streitgespräch aus. Das Volk wird bei der Meinungsbildung alleine gelassen.

Ein paar versprengte Blogger führen den wichtigen und notwendigen Rassismus-Diskurs quasi stellvertretend. Die politisch relevanten Exponenten aller Schattierungen bleiben aussen vor. Es ist wie Schattenboxen oder Luftgitarrespielen.

Damit akzeptieren wir die Politikerinnen und Politiker stillschweigend als Stichwortlieferanten. Im Gegenzug übernehmen wir aktiv die Rolle des debattierenden Fussvolkes. Mich stört diese Trennung, und mich stört, dass ich mit klischierten politischen Statements gefüttert werde. So funktioniert Politik im Social-Media-Zeitalter nicht mehr.

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