Der Präsidentschaftskandidat der Muslimbrüder erklärt sich zum Wahlsieger. Der regierende Militärrat wird aber die Macht nicht aus den Händen geben.
Um kurz vor 1 Uhr in der Nacht stehen die Resultate fest. Im Wahlbüro im Giza-Gymnasium gibt der vorsitzende Richter nach drei Stunden angestrengter Zählung bekannt, dass Ahmed Shafiq 1775 Stimmen und Mohammed Morsi 1165 erhalten hat, 161 waren ungültig. Bei den Frauen im Nebenzimmer lag Shafiq noch deutlicher vorne. In der ersten Runde im Mai hatte hier in diesem Kairoer Wohngebiet der Mittelschicht der linke Revolutionskandidat Hamdin Sabahi gewonnen. Die Beteiligung war praktisch unverändert.
Die Beobachter der beiden Kandidaten geben die Resultate unverzüglich an ihre Zentralen weiter. Keine drei Stunden später erklären die Muslimbrüder Morsi zum Sieger, mit rund 52 Prozent der Stimmen. Bei früheren Urnengängen haben ihre Zahlen gestimmt. Die Wahlkommission wird die offiziellen Resultate erst am Donnerstag bekanntgeben, wenn alle Einsprachefristen abgelaufen sind.
Noch in der Nacht kündigte Morsi an, er werde der Präsident aller Ägypter sein. Auch die Jugendbewegung des 6. April gratulierte ihm bereits, und erinnerte ihn an seine Zusagen für ihre Unterstützung, einen zivilen Staat aufzubauen und eine breit abgestützte Regierung zu bilden.
Verfassungsdekret zementiert Macht der Generäle
Die Kampagnen-Manager von Shafiq, dem ex-Premier und ehemaligen Luftwaffengeneral, der als Kandidat der Armee galt, protestieren kurz und bleiben dann auffallend ruhig. Auch im Wahllokal sind alle froh, die Hitzeschlacht überlebt zu haben. Die Resultate regen niemanden auf. Nur gerade einige Hundert Morsi-Anhänger feiern in den Morgenstunden des Dienstag auf dem Tahrir-Platz, denn zu feiern gibt es nicht viel.
Noch bevor die Wahllokale geschlossen wurden, hat der regierende Militärrat (Scaf) eine Verfassungsdeklaration veröffentlicht, die garantiert, dass die Macht in den Händen der Armee bleibt und der Präsident eine Marionette der Generäle wird. Die für den 1. Juli geplante Übergabe der Macht an eine gewählte, zivile Autorität ist damit vor allem eine symbolische. Und auch die Frage, wer von den beiden Kandidaten tatsächlich Staatsoberhaupt wird, hat viel von ihrer Brisanz verloren.
Der neue Präsident wird nicht der Armee vorstehen. Der Scaf behält das Recht Gesetze zu erlassen, die Budgethoheit und wird den Prozess der Ausarbeitung einer Verfassung dirigieren. Diese Arbeit soll im Laufe einer Woche beginnen und in drei Monaten abgeschlossen sein. Erst nach einem Referendum über das neue Grundgesetz werden dann Parlamentswahlen ausgeschrieben, die waren notwendig geworden sind, nachdem das Verfassungsgericht am letzten Donnerstag die Volkskammer für illegitim erklärt hatte. Gewählt werden kann also frühestens im Spätherbst.
Showdown zwischen alten Rivalen
Mit der Verfassungserklärung haben die Generäle einen weiteren Fehdehandschuh Richtung Islamisten geworfen und einen Showdown zwischen diesen beiden seit Jahrzehnten erbitterten Rivalen eingeleitet. Die Führung der Muslimbrüder hat sofort harsch auf die Beschlüsse der Generäle reagiert und erklärt, der Scaf sei dazu nicht berechtigt. Sie kündigte landesweite Proteste an, die ersten sollen bereits am Dienstag stattfinden. Die Sicherheitskräfte haben den Schutz strategisch wichtiger Einrichtungen verstärkt.
Kritik kam aber auch aus Kreisen der Revolutionsanhänger. Im Gegensatz zum blutigen Armeeputsch 1990 in Algerien, sie dies ein Coup mit juristischen Mitteln gewesen, befand der Politologe Ammar Ali Hassan. Der liberale Oppositionelle Mohammed el-Baradei sprach von einer Militarisierung des Staates und einem Rückschritt für die Revolution. Für viele Shafiq-Wähler ist das Vorgehen der Generäle allerdings eine Beruhigung. Für sie wäre insbesondere die Kontrolle der Armee durch einen Muslimbruder eine Horrorvorstellung gewesen.