Pressefreiheit ist kein Freibrief für Hetze – zum Urteil im Fall «Weltwoche»/Gut

Philipp Gut beruft sich vor Gericht auf den Quellenschutz statt Beweise vorzulegen – warum das in diesem Fall in einem Rechtsstaat nicht geht.

Weltwoche Redaktor Philipp Gut vor dem Bezirksgericht in Zuerich am Dienstag, 28. Juni 2016. Weltwoche Redaktor Philipp Gut muss beweisen, dass seine Vorwuerfe gegen die Professoren Philipp Sarasin und Svenja Goltermann der Wahrheit entsprechen. Gut warf und wirft Philipp Sarasin vor, er habe schon vor dem Berufungsverfahren zur Neubesetzung des Lehrstuhls fuer Geschichte der Neuzeit an der Uni Zuerich eine Liebesbeziehung mit Svenja Goltermann unterhalten, jener Frau also, die den Lehrstuhl schliesslich erhielt. Sarasins Vergehen: Er habe das Verhaeltnis gegenueber den Verantwortlichen der Uni verschwiegen und sei in jenem Berufungsverfahren auch nicht in den Ausstand getreten. (KEYSTONE/Walter Bieri)

(Bild: Keystone / Montage: Hansjörg Walter)

Philipp Gut beruft sich vor Gericht auf den Quellenschutz statt Beweise vorzulegen – warum das in diesem Fall in einem Rechtsstaat nicht geht.

Im Blog «Geschichte der Gegenwart», der von HistorikerInnen und SozialwissenschaftlerInnen der Universitäten Zürich und Basel herausgegeben wird, hat die Mitherausgeberin Svenja Goltermann, unter der Rubrik «jetzt aber!» am 25. Januar 2016 ihre Erfahrungen mit der «Weltwoche» dargestellt.

Der Text ist so aufgebaut, dass man als Leser Zusammenhänge mit der Achtung der Frau als öffentlich handelnder Person und sexistischen Männlichkeitsritualen gegen «Frauen» wahrnehmen kann.

Frau Goltermann hat den Text offensichtlich auch aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen mit üblen Nachreden und Unterstellungen, welche die «Weltwoche» im Herbst 2014 mit einer gezielten Kampagne sowohl gegen sie als wissenschaftlich arbeitende Historikerin als auch als berufene Professorin für neue Geschichte an der Universität Zürich, welche bloss aufgrund korrupter Tätigkeit ihres angeblich zum Zeitpunkt der Berufung «ausgewiesenen» Liebhabers, des Historikers Philipp Sarasin, zu Stande gekommen sei, geschrieben. Man kann den Grad der Verletzung, den sie verarbeiten musste, bei der Lektüre durchaus erkennen.

Frau Professor im Shitstorm

Frau Goltermann jammert nicht. Sie beschreibt dafür unter anderem die Sprache, welche die «Weltwoche» ihr gegenüber angewandt hat, den Stil, den der Journalist Gut, Vizechefredaktor der «Weltwoche», gegen sie und Sarasin in Szene gesetzt hat.

Weiter beschreibt sie, was ihr mit «der Presse» überhaupt widerfahren ist. Man nennt dieses «Phänomen» beschwichtigend «Shitstorm». Im Fall von Frau Professor Goltermann und Herrn Professor Sarasin – ich benenne die beiden hier bewusst mit ihrem Berufstitel, und zwar deshalb, weil die «Weltwoche» im Hinblick auf diese Berufsbezeichnung eine Kaskade von absolut unbewiesenen Unterstellungen und anmassenden (weil bewusst auf Niedermachen angelegten) Tätigkeitsbeurteilungen gegenüber den beiden erfunden hat – war der Shitstorm allerdings vor allem einer von zürcherischen Presseorganen inszenierter.

Weit geöffnetes Verleumdungstor

Der Angriff von Gut und der «Weltwoche» auf institutionelle Abläufe an der Universität Zürich landete vor Gericht. Geklagt haben Frau Goltermann und Herr Sarasin, aber auch der Historiker Tanner, welche in den Artikeln von Gut angegriffen wurden. Die Klagen sind eingereicht worden, weil die «Weltwoche» in aufgebauschten Bildern (Titelblatt) und Texten, in denen viel behauptet, aber nichts belegt wurde, in reisserischer Sprachgestaltung «Stimmung» erzeugt hat, welche zielgerichtet gegen die Klägerin und die Kläger publiziert wurde.

Das Bezirksgericht Zürich hat Gut wegen übler Nachrede verurteilt. Jedes andere Urteil wäre nach dem bekannt gewordenen winkeladvokatisch inszenierten Anonymisierungsversuch der «Weltwoche» über ihre «Beweise», die keine waren und sind, für Nichtjuristen unverständlich und Rechtsgrundsätzen widersprechend gewesen.

Dass sich Gut auch vor Gericht auf den von ihm angeblich seinen Informanten zugesicherten «Quellenschutz» berufen hat, stellt im Zusammenhang mit seinen massiven Unterstellungstexten gegen Frau Goltermann und Herrn Sarasin nichts anderes als ein weiteres, von diesem üblen Nachredeverursacher weit geöffnetes Verleumdungstor dar.

Die Folgen einer Pressefreiheit ohne Beweispflicht: Willkür und Hetze wären keine Grenzen mehr gesetzt.

Man sollte sich diese von vielen Rechtsnationalisten nicht nur in der Schweiz angewandte Taktik von Zeit zu Zeit vor Augen führen:

Indem ich als Journalist üble Nachreden mit unbewiesenen, ehrabschneidenden, rufschädigenden Inhalten gegen Individuen veröffentliche und zu meinem eigenen Schutz vor strafrechtlichen Folgen behaupte, den Informanten der Nachredeinhalte absolute Anonymität zugesichert zu haben, versuche ich, die journalistische Pflicht, öffentlich gemachte Vorwürfe gegen Personen oder Einrichtungen beweisen zu müssen, zu umgehen.

Man stelle sich die Folgen vor, sollte sich derartig als «Freiheit» deklarierte Publizität ohne Beweispflicht rechtlich durchsetzen! Der Willkür, der Hetze gegen alles und jedes wäre keine Grenzen mehr gesetzt. 

Im Umkehrschluss dieser «Weltwoche»-Behauptung bedeutet das nichts anderes, als dass «Pressefreiheit» auch dann gelte, wenn Pressemacher, unter anderem auch publizitäts-veranwortliche Redaktoren, jemanden mit offensichtlich, womöglich mit bewusst frei erfundenen üblen Nachreden fertig machen wollen. «Pressefreiheit» decke Verleumdungen, decke Hetze und Xenophobie (gegen «Ausländerinnen») und so weiter jenseits jeglichen faktischen Nachweises des Behaupteten.

Freiheit zum Rufmord?

Man darf nach dieser («Weltwoche»-) Lesart also beleidigen, verleumden, pressegesteuerte Hetzjagden gegen Individuen unternehmen, weil die Presse unbeschränkt frei sei, koste es Individuen den Ruf oder gar das Leben?

Übertreibung?

Nein.

Es ist die Beschreibung jener Übereinstimmung von politischer Hetze in Werbekampagnen, welche die SVP seit der Parteimachtübernahme durch Blocher Wahl um Wahl, Abstimmungskampf um Abstimmungskampf inszeniert, mit dem von Blocher, Tettemanti und vermutlich noch ein paar weiteren Financiers aus dem sozialstaatsfeindlichen Politiklager bezahlten Journalismus in der Deutschschweiz, namentlich und immer wieder in schwülstigem Stil vorgebracht in der «Basler Zeitung» oder in Form von «hartem» verbalen Dreinschlagen in der «Weltwoche».

Das Recht auf Einseitigkeit und Einfalt ist in der Schweiz geschützt. Geschützt ist aber ebenso die Würde des Menschen.

Dieser Journalismus hat selbstredend das Recht auf freie Meinungsäusserung. Er hat das Recht auf Irrtum und Korrektur. Er hat das Recht, für seine Arbeiten die «Pressefreiheit» zu fordern. Er hat das Recht auf parteiische Einseitigkeit und Einfalt, sogar auf Hetze und durchaus auch auf Geschichtsbilderfälschung. Dieses Recht ist in der Schweiz geschützt.

Geschützt ist aber ebenso die Würde des Menschen. Geschützt ist das Individuum vor Verleumdung und übler Nachrede jenseits, also ausserhalb beleg- respektive beweisbarer Fakten zur Person.

Problematisch für die Auslegung eines Begriffs wie «Pressefreiheit», aber auch eines solchen namens «Meinungsfreiheit» wird es, wenn unter diesem Rechtsschutz des Rechtsstaates gegen Individuen oder gegen Betreiber von Institutionen des öffentlichen Rechts, genauso wie gegen Betreiber von Institutionen privatrechtlicher Grössenordnung, mit «Enthüllungen» über Verhalten, Tätigkeiten, kriminelle Energien, welche strafrechtliche Folgen haben (müssten), vorgegangen respektive journalistisch operiert wird.

Wahrheit und Wahrhaftigkeit

«Enthüllungen», die diesen strafrechtlich zu verfolgenden Bereich berühren, und die als «wahre Faktendarstellungen» publiziert werden, müssen belegbar sein.

Öffentlich publizierte Enthüllungen über Personen müssen schlicht richtig und wahrhaftig sein. «Wahrhaftigkeit» ist nicht dasselbe wie «Wahrheit». Wahrheit steht oft im Plural. Für viele Phänomene menschlichen Tuns gibt es oft mehrere Aspekte von Wahrheiten. «Wahrhaftigkeit» hingegen bedeutet, dass sich ein Enthüller, auch ein Berichterstatter oder eine redaktionsexterne Journalistin nicht in Vermutungen, sondern in nachweisbaren Gefilden aufhalten und die Fakten zwecks Nachweisbarkeit offen darstellen muss.

Anders gesagt:

Man kann auch als Journalist oder als Medienunternehmung nicht einfach irgendwelche Behauptungen ohne Wahrheitsnachweis über Individuen oder Körperschaften in die Welt setzen. Die Unversehrtheitgarantie – und im übrigen zusätzlich auch die Berücksichtigung der «Würde» – des Individuums ist in allen demokratisch verfassten Rechtsstaaten ein erstrangiges Verfassungsgut.

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