Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe droht Putin Ankara mit «ernsten Konsequenzen». Die türkische Regierung hingegen verteidigt den Abschuss.
Mit dem Abschuss eines russischen Militärflugzeugs durch türkische Kampfjets hat sich der Syrienkonflikt am Dienstag gefährlich verschärft. Erstmals kamen zwei ausländische Mächte wegen Syrien in direkte militärische Konfrontation. Die Regierung in Ankara verteidigte den Abschuss und beantragte ein Sondertreffen der Nato. Die russische Regierung sprach von einem «sehr ernsten Zwischenfall». Präsident Wladimir Putin sagte, die Türkei habe Russland mit dem Abschuss einen «Dolch in den Rücken gestossen». Putin beschuldigte die türkische Regierung, sie mache sich zum «Helfer von Terroristen».
Der Abschuss könnte zu neuen Spannungen im ohnehin schwierigen Verhältnis des Westens zum Kreml führen. Russland hat wegen seines militärischen Engagements, aber auch als Mitglied des UNO-Sicherheitsrates eine Schlüsselrolle bei einer Lösung des Syrienkonflikts. Offen war zunächst, ob ein für diesen Mittwoch geplanter Besuch des russischen Aussenministers Sergei Lawrow in Istanbul stattfinden wird. Mittlerweile wurde das Treffen abgesagt.
Türkei verteidigt den Abschuss
Über den Hergang des Zwischenfalls gibt es unterschiedliche Darstellungen. Nach einer Erklärung des türkischen Generalstabs wurde das Kampfflugzeug von zwei F-16-Jets der türkischen Luftwaffe am Dienstagmorgen abgeschossen, nachdem es die Grenze zur Türkei überflogen habe. Das russische Flugzeug habe sich fünf Minuten lang im türkischen Luftraum aufgehalten und nicht abgedreht, obwohl es zehn Mal gewarnt worden sei. Der Generalstab veröffentlichte Radar-Aufzeichnungen, aus denen hervorzugehen scheint, dass der russische Jet über Syrien kreiste und dann bei der Provinz Hatay in den türkischen Luftraum eindrang. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu verteidigte den Abschuss. Seine Regierung behalte sich bei Grenzverletzungen jede notwendige Massnahme vor, so der türkische Premier.
Dagegen erklärte das russische Verteidigungsministerium, das Militärflugzeug, das in einer Höhe von 6000 Metern flog, sei zu keinem Zeitpunkt in den türkischen Luftraum eingedrungen. Auch Präsident Putin unterstrich, die Maschine sei in Syrien im Einsatz gewesen und habe keine Gefahr für die Türkei dargestellt.
«Wir werden derartige Verbrechen nicht erlauben.»
Die brennende Maschine stürzte etwa vier Kilometer von der Grenze entfernt auf syrischem Gebiet ab. Wie der Nachrichtensender CNN Türk meldete, katapultierten sich die beiden Piloten mit ihren Schleudersitzen aus dem brennenden Jet. Einer von ihnen sei von syrischen Rebellen gefangengenommen worden. Das Schicksal des anderen war zunächst unklar. Nach unbestätigten Berichten soll er ums Leben gekommen sein. Russische Kampfhubschrauber kreisten über der Absturzstelle.
Der russische Präsident Putin kündigte an, der Abschuss werde «ernste Konsequenzen» für die Beziehungen zwischen Moskau und Ankara haben. «Wir verstehen, dass jeder seine eigenen Interessen hat, aber wir werden derartige Verbrechen nicht erlauben», sagte Putin am Rande eines Treffens mit dem jordanischen König Abdullah in Sotschi.
Diametral unterschiedliche Ansichten
In der Bewertung des Syrienkonflikts sind Russland und die Türkei in wichtigen Punkten diametral unterschiedlicher Ansicht. Während die türkische Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges auf einen Sturz von Staatschef Assad hinarbeitet, stützt Russland, das im syrischen Tartus seine einzige Marinebasis im Mittelmeer unterhält, das Regime in Damaskus seit Ende September auch militärisch. Das wird zu einer immer grösseren Belastung für die zuvor guten türkisch-russischen Beziehungen. Beide Länder arbeiten vor allem in der Energiepolitik eng zusammen, so bei der Planung von Gas-Pipelines.
In Ankara gibt es die Befürchtung, dass die russischen Luftangriffe einen neuen Flüchtlingsstrom auslösen werden. In den vergangenen Tagen sind nach türkischen Angaben bereits fast 2000 Turkmenen vor den Kämpfen aus ihren Dörfern geflohen und haben in der Nähe der Grenze zur Türkei Zuflucht gesucht. Sie leben dort in Zelten.
Die Türkei hat Moskau wegen der russischen Militäreinsätze in Syrien bereits mehrfach scharf kritisiert. Dabei geht es auch um die bis zu 200’000 in Syrien lebenden Turkmenen, Nachfahren ethnischer Türken, die nach dem Zusammenbruch des Osmanenreichs in Syrien verblieben.