Die Separatisten in der Ostukraine festigen ihre Macht. Vor allem ältere Menschen versprechen sich von ihnen soziale Sicherheit wie zu Sowjetzeiten. Kiew kann sich einen Bürgerkrieg nicht leisten und wird die besetzten Gebiete so schnell nicht zurückerobern. Doch ohne Geld aus Moskau können die «Volksrepubliken Donezk und Lugansk» nicht überleben. Eine Analyse.
Mehr als eine Stunde haben Svetlana und Alexander Konstantinow in der Schlange gestanden, bevor sie ihr Kreuz auf den Wahlzettel setzten. Am Sonntag stimmte das Ehepaar für Alexander Sachartschenko als «Premierminister» der selbsternannten «Volksrepublik Donezk».
Der 38-jährige Separatistenführer war schon vorher «Staatsoberhaupt» und wurde am Montag mit 79 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Einen Gegenkandidaten gab es nicht. Das stört Alexander und Svetlana allerdings wenig. «Wir wollen nur von der Ukraine unabhängig sein», sagen die beiden.
Mangel an Demokratie
Die Separatisten in der Ostukraine festigen ihre Macht. Mit Hilfe Russlands bauen die Milizen De-facto-Staaten auf, ähnlich wie das Gebiet Transnistrien, das sich 1991 von der Republik Moldau abspaltete und international nicht anerkannt ist.
Mit den Wahlen wollen die Separatisten im Volk den Anschein von Legitimität erwecken. Aber die Abstimmungen dienen auch einem anderen Zweck: Sie sollen für Ordnung unter den Separatisten sorgen. Denn aufseiten der Separatisten kämpfen höchst unterschiedliche, teils verfeindete Gruppen: Ukrainer, Russen, Kosaken sowie Freischärler aus dem Kaukasus.
Auch die Bataillone, in denen sich prorussische Kämpfer zusammengeschlossen haben, sind zerstritten. «Zurzeit herrscht in den Kommandos komplette Anarchie», sagt der Kiewer Politologe Wadim Karasiow. Ein dem äusseren Anschein nach demokratisch gewählter Führer soll die bewaffneten Separatisten zusammenschweissen.
Wer seine Stimme abgab, durfte Gemüse zum Schnäppchenpreis kaufen.
Mit wirklicher Demokratie hatten die Wahlen am Sonntag aber nichts zu tun: Wie bei der Wahl zum «Premierminister» gab es auch bei der Wahl zum «Parlament» der Separatisten, dem Volksrat, keine Opposition. Zur Wahl standen mit «Republik Donezk» und «Freier Donbass» lediglich zwei Parteien, die zudem als gleichgeschaltet gelten. Weitere Parteien wurden nicht zugelassen, nicht mal separatistische wie «Oplot» oder «Noworossija».
Wie viele Bürger am Sonntag in Lugansk und Donezk abgestimmt haben, ist unklar. In der «Volksrepublik Donezk» hätten knapp 1,2 Millionen Menschen ihr Kreuz gesetzt, behauptet Wahlleiter Roman Lijagin. Und tatsächlich standen in Donezk Hunderte vor Wahllokalen Schlange.
Viele Ostukrainer unterstützen die Seperatisten
Das liegt auch daran, dass in Lugansk und Donezk nur 448 Wahllokale geöffnet hatten – viermal weniger, als bei früheren Wahlen unter der ukrainischen Regierung. Wer seine Stimme abgab, durfte zudem Gemüse zum Schnäppchenpreis kaufen: Kartoffeln, Zwiebeln und Karotten gab es für die Wähler für umgerechnet fünf Cent pro Kilo.
Tatsache ist aber auch: Viele Ostukrainer, vor allem Ältere, unterstützen die Separatisten. Auf Plakaten in Donezk versprechen sie soziale Sicherheit, Arbeit sowie Bildung und werben für einen «Staat ohne Oligarchen». Das weckt im Volk Erinnerungen an die Sowjetunion. Damals sei vieles besser gewesen, meinen Alexander und Svetlana Konstantinow, beide 48 Jahre alt.
«Wir hatten Arbeit und waren abgesichert. Es gab nicht diesen Bandenkapitalismus wie in der Ukraine», sagt Alexander. Der IT-Ingenieur wünscht sich den Anschluss der Ostukraine an Russland. «Laut Pass bin ich Ukrainer, aber laut Nationalität Russe», sagt er.
Kiew sind die Hände gebunden
Der Regierung in Kiew entgleitet die Ostukraine immer mehr. Zwar leitete Kiew ein Strafverfahren gegen die Organisatoren der Pseudowahlen ein. Vor dem Gefängnis aber brauchen sich die Separatistenführer nicht zu fürchten. Die Ukraine kann die Separatistengebiete kaum zurückerobern, solange die Separatisten Nachschub aus Russland bekommen.
Einen Militäreinsatz mit weiteren Opfern unter Zivilisten und Soldaten kann sich Präsident Petro Poroschenko nicht leisten. Er setzt auf Stabilität und ist zudem von einem günstigen Gasliefervertrag abhängig, den die Ukraine mit Russland geschlossen hat.
Schulen und Kindergärten haben seit Monaten kein Geld mehr aus Kiew erhalten und Schulden in Höhe von umgerechnet vier Millionen US-Dollar angehäuft.
Die «Volksrepubliken» hängen am Tropf Russlands. Ohne Geld aus Moskau werden die Separatisten ihre Versprechen von sozialem Wohlstand nicht einhalten können. Rentner in Donezk erhalten ihre Pensionen noch immer von der Regierung in Kiew. Sie müssen in ukrainisch-kontrolliertes Gebiet fahren, um dort ihr Geld bei der Post abzuholen.
Schulen und Kindergärten dagegen haben seit Monaten kein Geld mehr aus Kiew erhalten und Schulden in Höhe von umgerechnet vier Millionen US-Dollar angehäuft. Mit der Wirtschaft in Donezk sieht es ebenfalls düster aus. Ausländische Firmen machten dicht, die Fabriken von «Metinvest», dem grössten Stahlkonzern der Region, stehen still. Separatisten plündern Autohäuser und Firmen, um an Fahrzeuge und Computer zu kommen.
Wirtschaftlich überleben könnten die Separatisten nur, wenn sie weitere Teile der Gebiete Lugansk und Donezk erobern. Derzeit attackieren die Separatisten die südostukrainische Stadt Mariupol, die über einen Industriehafen verfügt und wo grosse Industriebetriebe produzieren. «Wir betrachten das ganze Gebiet als unser Territorium», sagt Separatistenführer Sachartschenko.