Dem Ex-Basler Ivan Rakitic mit seinem Sevilla FC gelang, was dem FC Basel versagt blieb: der Triumph gegen den FC Valencia. Und dies in der Nachspielzeit. Der Siegestaumel erinnert an ein legendäres Spiel im Uefa-Cup, als Sevilla mit einem verrückten Tor der Einzug ins Viertelfinal gelang.
Die Stimme überschlug sich, die Hände zitterten noch, er brachte kaum einen vollständigen Satz heraus. Unai Emery, Trainer des Sevilla FC, stammelte davon, dass so etwas nur verstehen könne, wer es erlebt habe, dass es in so einem Moment nur um das Hier und Jetzt gehe, dass dann alles andere egal sei, sogar der Finalgegner in der Europa League. Und dann beschwörte der 42-Jährige mit seinem eleganten Klubanzug und dem Erscheinungsbild eines amerikanischen Basketballtrainers das Übersinnliche: «Das», sagte er dreimal, «das war der Geist von Palop.»
Andrés Palop, 40, Ersatztorwart von Bayer Leverkusen, hat vor anderthalb Wochen sein Karriereende bekannt gegeben. In Deutschland wird das kaum wahrgenommen worden sein, in Spanien würdigten ihn die Zeitungen in extenso. Palop war dritter Keeper beim EM-Titel 2008, aber berühmt gemacht hat ihn vor allem eine Szene aus dem Jahr davor. Achtelfinale im Uefa-Cup, ein qualvoller Auftritt im winterlichen Donezk, Sevilla war praktisch ausgeschieden, als der Torwart bei einem Eckball in der vierten Minute der Nachspielzeit in den Strafraum kam und den Ausgleich köpfte.
Seitdem verstehen sich die Andalusier als Könige des stilvollen Leidens. Im Finale derselben Edition parierte Palop im Elfmeterschiessen gegen Espanyol Barcelona drei von vier Strafstössen und bescherte Sevilla den zweiten Titel in Folge. Mittlerweile nennt sich der Wettbewerb Europa League, aber an Sevillas Identität als Überlebenskünstler hat sich wenig geändert. Nicht einmal die Bayern zu ihren wildesten Immer-weiter-Zeiten flirteten ähnlich lustvoll mit dem Abgrund. Diese Saison wurde im Achtelfinale das Hinspiel zuhause 0:2 gegen den Lokalrivalen Betis verloren, im Rückspiel gelang die Egalisierung, dennoch liess man es auf ein Elfmeterschiessen ankommen, in dem Betis nur einen verwandelten Strafstoss vom Weiterkommen entfernt war. Mehr Drama geht nicht, dachten sie in Sevilla. Und dann kam die Nacht von Valencia.
Dramatische Wende
Das Estadio Mestalla hatte erst vor drei Wochen eine denkwürdige Aufholjagd erlebt, als Valencia den FC Basel nach einer 0:3-Hinspielniederlage mit 5:0 nach Verlängerung niederkämpfte. Nun dauerte es bloss 26 Minuten, ehe Féghouli und Jonas das 0:2 von letzter Woche aus Sevilla egalisiert hatten. Wo in der Champions League mangels epischer Handlungsstränge inzwischen vor allem über Ballbesitzquoten und Pressingzonen debattiert wird, gibt es in der Europa League noch die Europacup-Liturgie der alten Schule zu bestaunen. Ein Stadion mit Patina, fanatische Zuschauer, die Irrationalität von Nächten unter Flutlicht. Als Verteidiger Mathieu in der 69. Minute einen Abpraller zum 3:0 unter die Latte drosch, schien das nächste Wunder vollbracht. Auch weil es danach kaum noch Fussball gab: ständig lagen Valencia-Spieler am Boden, mehrfach warfen die Balljungen einen zweiten Ball auf den Platz, um jegliche Angriffsbemühungen der Gäste zu unterbinden.
In der vierten Minute der Nachspielzeit erkämpfte Sevilla wenigstens noch mal einen Einwurf. Der 1,98 Meter grosse Abwehrspieler Fazio verlängert, von hinten kommt Stephen M’bia, Kopfball, Tor. Tor – Sevilla ist weiter. Nur der Fussball kann binnen von Sekunden derart extrem die Gefühle auf den Kopf stellen. Seit einer Stunde haben sie gefeiert, jetzt schiessen den Valencia-Fans die Tränen in die Augen. Derweil Emery über den Platz fegt, wie von allen guten Geistern verlassen. Beziehungsweise: den bösen.
Persönliche Genugtuung
Für den Trainer ist es ein ganz besonderer Moment, denn da dieses Spiel wirklich alles hat, fehlt auch nicht das Element einer persönlichen Revanche. Emery arbeitete zwischen 2008 und 2012 in Valencia, er schaffte in wirtschaftlich schwierigen Zeiten dreimal in Folge den Einzug in die Champions League und wurde dennoch nie geliebt. Entlassen und kühl verabschiedet von den Fans wird in Valencia über den manischen Taktiker bis heute gelästert, er könne zwar im Kopf jeden Spielzug programmieren, aber keine grossen Spiele gewinnen. «Es war manchmal unerklärlich, aber die Schlüsselpartien verloren wir mit Unai immer», sagte Mathieu noch vor dem Rückspiel. Nun, womöglich lag es mehr an den Spielern als am Trainer.
Auf den Tribünen waren immer noch verheulte Gesichter zu sehen, als Sevillas Spieler in minutenlanger Trance einen Erfolg zelebrierten, mit dem nicht mal sie, die Comeback-Könige, noch gerechnet hätten. «Keiner von uns kann in Worte fassen, was hier passiert ist», sagte Kapitän Ivan Rakitic, der Ex-Basler, während Siegtorschütze M’bia weinend vom glücklichsten Tag seines Lebens sprach und Valencias jetziger Coach Juan Antonio Pizzi den Last-Minute-Schock irgendwie einzuordnen versuchte. «Es war nicht das erste Mal und wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Das ist Fussball.»