«Reagieren ist kein Programm. Wir müssen unsere eigenen Themen konsequent bewirtschaften»

Der Basler Nationalrat Beat Jans ist neu Vizepräsident der SP Schweiz – und zeigt sich seiner Partei gegenüber selbstkritisch: Die SP politisiere an der Realität der Menschen vorbei – und brauche deshalb mehr «Basler Erfahrung».

Beat Jans ist selbstständiger Umweltberater und laut eigener Bezeichnung «Berufspolitiker».

(Bild: Nils Fisch)

Der Basler Nationalrat Beat Jans ist neu Vizepräsident der SP Schweiz – und zeigt sich seiner Partei gegenüber selbstkritisch: Die SP politisiere an der Realität der Menschen vorbei – und brauche deshalb mehr «Basler Erfahrung».

Beat Jans hat sich verbissen. Nicht in das Croissant, das vor ihm liegt, sondern in seine politischen Gegner. Wenn Jans über die SVP spricht, geht seine Stimme hoch, seine Augen beginnen zu funkeln. Aber auch bei anderen Themen kommt Jans in Fahrt.

Er ist ein emotionaler Typ. Und er weiss, wie er seine Emotionen einsetzen muss. Kaum ist der Fotograf da, gestikuliert er mit seinen Händen, legt noch mehr Effort in die Mimik – Jans gibt vollen Körpereinsatz.

Bezeichnet sich als «Berufspolitiker»

Seit über 15 Jahren politisiert er. Zuerst als Präsident der SP Basel-Stadt und Grossrat, seit 2010 als Nationalrat. Er bezeichnet sich selbst als «Berufspolitiker» – ein Wort, das andere Nationalräte als Schimpfwort empfinden. Denn zurzeit lebt Jans in erster Linie für die Bundespolitik.

Daneben gibt er eine Vorlesung an der Uni Basel, sitzt in einigen Vorständen und berät Unternehmen punkto Umweltschutz. Im Dezember wurde Jans zudem zum Vizepräsidenten der SP Schweiz gewählt

Herr Jans, ist der Posten als Vizepräsident ein Trostpreis dafür, dass Sie nicht Fraktionspräsident wurden?

Die Enttäuschung war bei mir nicht gross, als es mit dem Fraktionspräsidium nicht geklappt hat. Daher muss ich auch nicht getröstet werden. Im Nachhinein finde ich sogar: Dass ich nun Vizepräsident und nicht Fraktionspräsident bin, ist die bessere Lösung für mich und meine Familie. Denn so habe ich mehr Zeit.

Wo wollen Sie die Partei als Vizechef hinsteuern?

Ich möchte die Basler Erfahrung in die Partei bringen. Das fehlt mir ein wenig in der SP Schweiz. 

Was verstehen Sie unter «Basler Erfahrung»?

Mehrheitsverantwortung zu übernehmen und in diesem Umfeld zu politisieren – und ein gewisses Verständnis dafür, dass wir es besser und anders machen können. In der Basler SP ist dieses Bewusstsein vorhanden, in der SP Schweiz ist dies weniger der Fall.

In Bern ist die SP auch in der Minderheit.

Natürlich. Dennoch finde ich, dass wir als Partei selbstbewusster auftreten müssen – auch in wirtschaftlichen Fragen. Uns würde es guttun, weniger an fundamentalen Fragen herumzustudieren, sondern konkrete Lösungen zu präsentieren. Vielleicht muss auch unsere Sprache einfacher werden.

Das hört sich selbstkritisch an.

Ich bin nicht Vizepräsident geworden, weil ich alles auf den Kopf stellen möchte oder den Zustand der Partei schlecht finde. Aber manchmal geht mir unsere Politik zu sehr an der Realität der Menschen vorbei. Viele machen sich Sorgen um den Job oder die Vorsorge. Wir müssen den Leuten zeigen, dass wir hier sind und Lösungen bereit haben. Das finde ich viel wichtiger, als sich mit fundamentalen Fragen auseinanderzusetzen. Im Moment habe ich das Gefühl, dass die SP bei den brennenden Themen keine prägende Rolle spielt. Ich hoffe, dass ich mit meinem Rucksack aus Basel mithelfen kann, dies zu ändern.

Dem «Tages-Anzeiger» sagten Sie, dass die SP «oft zu wenig konsequent» sei: So wurden im Abstimmungskampf die eigenen Themen zu wenig bewirtschaftet.

Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr verzetteln. Denn wenn man seine eigenen Themen zu wenig pusht, besteht die Gefahr, dass man von anderen vor sich hergetrieben wird.

Konkret: Die SP wehrt die Vorstösse der SVP ab und vergisst dabei ihre eigenen Schwerpunkte?

Diese Gefahr besteht. Das Aufkommen der SVP mit ihren ausländerfeindlichen und isolationistischen Gedanken hat mich wie viele in der SP extrem politisiert. Aber reagieren ist kein Parteiprogramm. Wir müssen unsere eigenen Themen konsequent bewirtschaften – denn davon gäbe es genug. Im Wahlkampf habe ich immer wieder die Frage gehört: «Was macht ihr eigentlich noch für uns?» Das hat mich enorm beschäftigt, denn wenn diese Frage gestellt wird, dann machen wir offensichtlich etwas grundlegend falsch. Ich hoffe, wir schaffen es, den Leuten wieder das Gefühl von Heimat zurückzugeben.

Heimat – ein SVP-Wort.

Genau das ist das Problem. Wir Linken dürfen uns nicht von den Begriffen Freiheit und Heimat distanzieren, sondern müssen sie selber definieren. Diese Begriffe werden zu sehr von den rechtspopulistischen Kräften in diesem Land vereinnahmt. Die SVP profitiert extrem von den Globalisierungsängsten, die in jedem von uns stecken. Auch wenn ihre Antworten die Probleme nicht lösen: Die Leute haben das Gefühl, bei der SVP würden sie Schutz finden. Ich möchte den Leuten klarmachen, dass das Heimatgefühl eigentlich mit ganz anderen Sachen zu tun hat.

Bei der Durchsetzungsinitiative zeigt sich einmal mehr, dass Wirtschaftsverbände nur gegen SP-Initiativen kämpfen, bei der SVP halten sie sich zurück. Warum ist das so?

Wegen der Verfilzung. Die SVP hat es geschafft, in all diese Gremien hineinzukommen. Beim Gewerbeverband stellt sie das Präsidium, bei anderen Verbänden sind die personellen Verflechtungen auch relativ stark. Das ist der einzige Grund.

Die SP verpasst es hingegen, stärker mit der Wirtschaft zusammenzuarbeiten.

Das stimmt. Vielleicht wurde es auch zu wenig versucht – zum Beispiel bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Ich bin schockiert, wie sich Economiesuisse in dieser Sache verhält.

Warum?

Economiesuisse propagiert seit Längerem eine Umsetzung via Schutzklausel. Nun soll diese Schutzklausel auch ohne Zustimmung von Brüssel eingeführt werden. Das finde ich grob fahrlässig.

Es ist doch ein legitimer Anspruch des Dachverbands, die angenommene SVP-Initiative so umzusetzen, dass die Wirtschaft keinen Schaden erleidet.

Aber das erreicht man doch nicht mit einem Alleingang. Es gäbe auch noch eine andere Lösung. Die heisst «Rasa-Initiative» («Raus aus der Sackgasse», Anm. der Red.). Diese ist bereits eingereicht. Aber Economiesuisse killt diese Initiative, indem sie den Leuten weismacht, man könne die Masseneinwanderungsinitiative einfach so umsetzen. Damit gaukelt der Verband etwas vor, was er gar nicht beurteilen kann. Das ist hochriskant. Economiesuisse setzt mit diesem Vorgehen die Bilateralen aufs Spiel.

Dahinter steckt doch eine klare Abwägung: Die Rasa-Initiative ist chancenlos, also muss eine andere Lösung her.

Wieso soll Rasa keine Chance haben? Die Situation hat sich geändert seit dem 9. Februar 2014. Erstens sind einige Leute, die damals noch ein Zeichen setzen wollten, aufgewacht. Zweitens hat Brüssel ziemlich klare Signale ausgesendet. Nämlich: Eine EU-kompatible Lösung gibt es nicht. Vor diesem Hintergrund macht eine Neubeurteilung des Verfassungsartikels absolut Sinn. Nun vertritt Economiesuisse die Meinung: Umsetzung und Bilaterale erhalten – das geht. Genau das hat übrigens auch Christoph Blocher vor der Abstimmung 2014 gesagt. Ich glaube, diese inhaltliche Annäherung hat auch mit personellen Verflechtungen zu tun.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft, haben Sie Ambitionen auf das Parteipräsidium?

Nein. Die habe ich nicht. Ich denke nicht in solchen Karriereschritten. Für das Amt als Vizepräsident habe ich mich beworben, weil ich mich nach meinem guten Wahlresultat in der Pflicht fühlte, mehr Verantwortung wahrzunehmen – Erfolg verpflichtet. Ich habe grossen Respekt vor diesem Amt.

Kommt eine Ständeratskandidatur in ein paar Jahren für Sie infrage?

Das fände ich einen spannenden Job.

Da sind Sie in der SP nicht der Einzige. Ihre Kollegin Eva Herzog will ebenfalls.

Und sie wäre eine hervorragende Kandidatin! Sie hätte vermutlich auch die besseren Wahlchancen als ich. Letztlich muss die Partei entscheiden, wer der beste Kandidat dafür ist.

Warum hätte sie bessere Wahlchancen?

Sie ist bekannter als ich, ihre Ergebnisse bei den Regierungsratwahlen waren historisch gut. Für mich ist das ein klarer Hinweis darauf, dass sie populär ist und gute Wahlchancen hätte.

Und Sie könnten ja für die Regierung kandidieren.

An eine Regierungsratskandidatur denke ich im Moment nicht. Dieses Jahr kommt es sicher nicht infrage.

Aber vielleicht in vier Jahren?

Was dann ist, kann ich jetzt noch nicht sagen.

Beat Jans ist seit 2010 für die SP Basel-Stadt im Nationalrat. Von 2000 bis 2005 war er Präsident der Basler SP. Jans ist selbstständiger Berater im Bereich Umweltschutz und Kommunikation. Zudem ist der 51-Jährige Dozent an der Uni Basel. Zuvor arbeitete er bei Pro Natura. Beat Jans ist verheiratet, Vater zweier Töchter und lebt im Kleinbasel.




Am 5. Dezember wählten die SP-Delegierten Beat Jans zum Vizepräsidenten der SP Schweiz. (Bild: Nils Fisch)

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