Das französische Parlament leitet am Freitag eine Verfassungsrevision ein, um den Terrorismus besser zu bekämpfen. Das Projekt von Präsident Hollande stösst aber zunehmend auf Widerstand.
Es war am 16. November, kurz nach den mörderischen Terroranschlägen von Paris mit 130 Toten. François Hollande hatte in Versailles die beiden Parlamentskammern vereint und hielt eine starke Rede. Er appellierte an die nationale Einheit und sagte den Feinden der Republik den Kampf an: Terroristen sollten in Zukunft ihre französische Staatsbürgerschaft verlieren.
Die Massnahme war hochsymbolisch – und sie war beim rechten Front National abgekupfert. Egal, Hollande war stolz auf seinen Erfolg vor über 900 Parlamentariern: Die Hände an der Hosennaht, das Kinn gereckt, genoss er den tosenden Applaus auch von Seiten der Rechtsopposition.
Ausgebürgert werden können nur in Frankreich geborene Jugendliche, die von ihren Eltern den algerischen, tunesischen oder marokkanischen Pass erhielten.
Bald drei Monate sind seither ins Land gezogen – und Hollande wäre froh, wenn er diese vermaledeite Idee nie lanciert hätte. Das Problem beginnt damit, dass Frankreich die internationale Konvention zur Verhinderung von Staatenlosen unterzeichnet hat. Hollandes Projekt kann also nur Doppelbürger betreffen. In Frankreich sind sie mit 3,3 Millionen sehr zahlreich: Es sind meist jene Einwandererjugendlichen, die bei ihrer Geburt in Frankreich Franzosen wurden, von ihren Eltern aber auch den algerischen, tunesischen oder marokkanischen Pass erhielten. Ausgebürgert werden können nur sie; alle anderen Franzosen würden nach Hollandes Absicht zu Staatenlosen.
Es dauerte einige Zeit, bis diese Einsicht bis in die Pariser Politkreise vordrang. Sogar Premierminister Manuel Valls, der Falke in der Sozialistischen Partei, ging vor Weihnachten auf Distanz zu der Massnahme und sagte vor Journalisten: «Der Verlust der französischen Staatsbürgerschaft hält doch keinen Terroristen davon ab, sich in die Luft zu sprengen.»
Der Staatspräsident im Umfrageloch
Justizministerin Christiane Taubira meldete grundsätzlich Einspruch an: Die «déchéance» (Aberkennung) der Staatszugehörigkeit visiere faktisch nur jene Maghrebiner an, die heute schon unter dem Generalverdacht stünden, potenzielle Jihadisten zu sein. In der Tat verstärkt der Ausbürgerungsplan wohl nur das Gefühl jugendlicher Moslems, in Frankreich speziell behandelt, stigmatisiert und damit diskriminiert zu werden. Damit verbreitert er den Nährboden, auf dem verhängnisvolle Ressentiments gegen die Nation wachsen – und das ist das Gegenteil von Terrorbekämpfung.
Hollande hält aber an seinem Ansinnen fest. Er hofft zweifellos, mit einem harten Kurs aus seinem chronischen Umfrageloch zu kommen. Ende letzten Jahres hatten sich in einer Umfrage 85 Prozent der Franzosen für die Ausbürgerung von Terroristen ausgesprochen.
Taubira hat vor Wochenfrist den Hut genommen, da sie die Ausbürgerung mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren kann, wie sie in einem neuen Buch darlegt. Der neue Justizminister Jean-Jacques Urvoas schluckt seinen vormaligen Widerstand gegen die «déchéance» ebenso herunter wie Valls.
Hollande kann jetzt nicht mehr zurückkrebsen, obwohl die nötige Dreifünftel-Mehrheit für die Verfassungsänderung sehr unsicher ist.
Hollande setzte bisher auf die Unterstützung durch die Rechte. Die oppositionellen Republikaner zögern aber mehr und mehr. Ihr Vorsteher Nicolas Sarkozy bleibt zwar wie Marine Le Pen für die Ausbürgerung. Prominente Republikaner wie Alain Juppé oder François Fillon sind jedoch dagegen; auch Parteivize Nathalie Kosciusko-Morizet sagt, der geplante Verfassungsartikel sei «unnütz» und schaffe überdies «zwei Kategorien von Bürgern – die einen wären von der Ausbürgerung bedroht, andere nicht.»
Noch härtere Worten sind im Regierungslager zu hören. «François, jetzt reicht es», wetterte Linkenchef Jean-Luc Mélenchon mit Verweis auf das sakrosante Gleichheitsgebot. «Man kann über alles diskutieren, aber verändere nicht die Identität der französischen Republik!»
Hollande kann jetzt nicht mehr zurückkrebsen, obwohl die nötige Dreifünftel-Mehrheit im «Kongress» (Nationalversammlung und Senat) für die Verfassungsänderung sehr unsicher ist. Der Staatschef liess deshalb eine unverfänglichere Formulierung ausarbeiten – die aber in der Sache auf das Gleiche hinausläuft: In letzter Konsequenz können nun einmal bloss Doppelbürger eine Staatszugehörigkeit verlieren, wenn sie nicht apatrid werden sollen.
Nationaler Ausnahmezustand in der Kritik
Die Parlamentsdebatte ab Freitag droht deshalb zu einem Fiasko für Hollande zu werden. Er weiss zwar die öffentliche Meinung hinter sich, könnte aber im Parlament eine empfindliche Schlappe erleiden. Im nahenden Präsidentschaftswahlkampf wäre das für seine Stellung im linken Lager verheerend.
Zumal auch sein zweites Projekt, die Verlängerung des nationalen Ausnahmezustandes, auf zunehmende Kritik stösst. Am Donnerstag verurteilte Amnesty International die «brutalen» Methoden der Polizei, die nächtens Famlienwohnungen heimsuche und «Frauen und Kinder traumatisiert und stigmatisiert». Dabei hätten die bisher 3242 Hausdurchsuchungen nur gerade vier Terrorismus-Verfahren ausgelöst.
Hollandes formelle Absicht ist es, neben der Möglichkeit der Ausbürgerung auch das Ausnahmerecht genauer in der Verfassung zu umschreiben. Die vom Präsidenten angestrebte, bis in den Europarat umstrittene Verlängerung des Notrechts um weitere drei Monate kommt erst Mitte Februar vors Parlament.
Nun rächt sich für Hollande, dass er zunehmend Ideen der Rechten aufgreift, statt eigene Vorschläge zu prüfen und einzubringen. Dabei hatten ihm Abgeordnete beider Lager den Weg vorgezeigt: Viel gescheiter wäre es, Terroristen die Bürgerrechte zu entziehen oder sie definitiv des Landes zu verweisen. Man kann gespannt sein, wie sich der wendige Politprofi im Elysée-Palast aus dieser Affäre ziehen wird.