Ägyptens Geschäfte müssen künftig abends um zehn Uhr schliessen. So will die Regierung Strom sparen. Ladenbesitzer und Konsumenten können dem Projekt nichts Positives abgewinnen.
Kairo schläft nie. Schlangen vor populären Fastfood-Restaurants um Mitternacht, Verkehrsstaus um zwei Uhr oder Shoppingtouren der ganzen Familie in den Nachtstunden gehören in der 18-Millionen-Metropole zum alltäglichen Bild. Erst kürzlich wurde die ägyptische Hauptstadt auf der Internetplattform «Badoo» weltweit zur lebhaftesten 24-Stunden-Stadt gewählt. Damit soll jetzt Schluss sein.
Die Regierung von Hisham Kandil hat verfügt, dass ab Anfang November die Läden um zehn Uhr abends und Restaurants und Kaffees um Mitternacht schliessen müssen. Ausnahmen gibt es für Touristenregionen und Geschäfte, deren Kunden hauptsächlich Touristen sind.
Mehr Kinder und mehr Ehestreit
Als Begründung führt die Regierung an, auf diese Weise könne Strom und damit auch Subventionen auf Elektrizität gespart werden. Ägypten verbraucht zurzeit mehr Strom als es produziert. In den Sommermonaten kam es deshalb regelmässig zu längeren Stromausfällen, auch in den vornehmeren Quartieren Kairos. Die Verbrauchsspitze liegt aber abends zwischen acht und zehn Uhr. Die Logik der Regierung ist für die Konsumenten deshalb nur schwer nachvollziehbar. Kandil hat kürzlich im Interview mit einer lokalen Zeitung den Beschluss als Teil mehrerer Massnahmen dargestellt, um die Kontrolle der Strasse zeitgemäss zu gestalten, etwa auch eine geordnete Reinigung und Abfallbeseitigung zu ermöglichen.
Hani Hamoudi in seinem Geschäft mit Souvenirs am Rande des Tahrir-Platzes hat eine endlose Liste von Gründen, weshalb er diese Idee einen Unsinn findet. Die Sperrstunde laufe den Gewohnheiten der Ägypter in diesem Land mit vielen heissen Monaten zuwider. Das soziale Leben spiele sich vor allem nachts ab. Viele hätten kleine Wohnungen und brauchten die Stadt als Treffpunkt. Wenn man sie zuhause einsperre, gebe es noch mehr Kinder und noch mehr Streit zwischen Eheleuten, findet der Ladenbesitzer. Dunkle Strassen wären eine zusätzliche Gefahr für die Sicherheit, merken vor allem Frauen an.
Betroffene übergangen
Schwer wiegt auch das Argument, die Sperrstunde könnte die Arbeitslosigkeit, die nach der Revolution bereits auf historische 12,6 Prozent geklettert ist, noch erhöhen und die Wirtschaftskrise verschärfen. Geschäfte, die jetzt 24 Stunden offen halten, würden nur noch zwei statt drei Schichten arbeiten und entsprechend weniger Personal beschäftigen. Hamoudi weiss um diese Gefahr. Er spürt vor allem die Flaute im Tourismus und hat bereits 18 seiner einst 20 Angestellten entlassen müssen. Unter den Touristen sind es vor allem jene aus den arabischen Ländern, die die Nacht zum Tag machen. «Den Menschen geht es immer schlechter, in einigen Monaten werden sie hungern», warnt der Geschäftsbesitzer.
Was er über die geplante Einführung der Sperrstunde weiss, weiss er aus Zeitungen und Fernsehen. Eine offizielle Benachrichtigung, wie er sich zu verhalten hat, hat er keine erhalten. Auch in der amtlichen Gazette wurde noch nichts publiziert. «Den Medien trauen wir ebenso wenig wie der Regierung. Die redet viel und tut nichts», sagt Hamoudi und hofft, dass das Projekt das Schicksal früherer Versuche, den Ladenschluss zu regeln, erleidet; das heisst von den Behörden nicht durchgesetzt werden kann und einfach versandet. Die Vereinigung der Handelskammern hat den Entscheid der Regierung abgelehnt und verlangt, dass darüber zuerst mit den Betroffenen diskutiert und sozial verträgliche Lösungen gesucht werden. Erste Geschäftsbesitzer haben bereits gehandelt und Klagen gegen die zuständigen Minister eingereicht, weil der Entscheid ihre Interessen schädige.