Heute feiert der serbische Staat im Staate seine Unabhängigkeitsfeier und ignoriert damit eine Entscheidung des bosnischen Verfassungsgerichts in Sarajevo. Die Kriegsverbrechen, auf denen die Republika Srpska gründet, werden nicht thematisiert.
Ein Spaziergang durch die 200’000-Einwohnerstadt Banja Luka führt an der Christ-Erlöser-Kathedrale vorbei, die im Zweiten Weltkrieg zerstört und bis 2004 wieder aufgebaut wurde. 15 Minuten entfernt liegt am Fluss das römische Kastell, in Nachbarschaft zur Ferhadija-Moschee, die im letzten Bosnienkrieg demoliert und bis 2014 wieder aufgebaut wurde.
Zwischen diesen beiden Gotteshäusern befindet sich das Regierungsviertel Banja Lukas, von dessen Fahnenstangen das Rot-Blau-Weiss der Republika Srpska weht. Die Flagge Bosnien und Herzegowinas wird man hier vergeblich suchen.
Banja Luka ist die Hauptstadt eines Staates im Staate, der am 9. Januar 1992 ausgerufen wurde. Mit der Unterzeichnung des Friedensabkommen von Dayton wurde die serbische Entität am 14. Dezember 1995 in ihren heutigen Grenzen anerkannt. Der Staat im Staate macht 49 Prozent des Territoriums aus, auf denen rund 1,3 Millionen der 3,8 Millionen Einwohner des Landes leben.
Sarajevo wollte Feier verbieten
Der Spaziergang führt auch an Landkarten vorbei, auf denen die Umrisse der Republika Srpska zu sehen sind – doch nirgends die des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowinas. Zumindest die serbischen Busunternehmen scheinen die Unabhängigkeit des Teilstaates anerkannt zu haben: Wer eine Fahrkarte für den Bus aus Belgrad nach Banja Luka kauft, muss bei der Bestellung auf Republika Srpska klicken, nicht auf Bosnien und Herzegowina.
20 Jahre nach Kriegsende werden heute die Feierlichkeiten für die Unabhängigkeit der Republika Srpska begangen. In den vergangenen Monaten gab es Streitigkeiten um diese Feier. Das Verfassungsgericht des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina wollte sie verbieten, was zu grossen Unstimmigkeiten in der serbischen Bevölkerung geführt hat.
Die Menschen fühlen sich von Sarajevo bevormundet – von den Institutionen eines Staates, deren Existenz den meisten ein Ärgernis ist.
Von Serbien unterstützt
Trotz der Entscheidung des Verfassungsgerichts findet die Feier statt und der Premierminister des Nachbarlandes Serbien, Aleksandar Vučić, nimmt an den Feierlichkeiten teil. Das bringt ihm den Vorwurf ein, die Entscheidung des Gerichts und die territoriale Integrität Bosnien und Herzegowinas nicht anzuerkennen. Auf diese Vorwürfe reagierte der Premier in einem Interview mit «Radio Free Europe»: «Serbien respektiert Bosnien und Herzegowina und wünscht die besten Beziehungen.»
Merkwürdig ist dagegen der zweite Teil seiner Antwort: «Wir haben keine Sekunde darüber nachgedacht, die territoriale Integrität Bosniens anzugreifen. Wenn wir das wollten, hätten wir es längst machen können.»
Ohne die militärische Unterstützung aus Serbien im Bosnienkrieg, würde es die Republika Srpska heute in dieser Form nicht geben. Die serbische Bevölkerungsmehrheit im Teilstaat ist Ergebnis von Vertreibungen und Massakern während des Bosnienkriegs. In weiten Teilen des Teilstaates gab es vor dem Krieg keine serbische Bevölkerungsmehrheit. Das wird an den Feierlichkeiten freilich unerwähnt bleiben.
«Dodik selbst versucht seine Macht zu erhalten, indem er in regelmässigen Abständen Bedrohungen für die serbische Bevölkerung heraufbeschwört.»
Milorad Dodik, der Präsident der Republika Srpska, erklärte gegenüber der Zeitung «Srpski Glas»: «Die Serben wären ohne die Republika Srpska nicht 20 Jahre lang hier geblieben, weil sie Bosnien und Herzegowina nicht anerkennen», und führte weiter aus: «Bosnien und Herzegowina ist kein Staat». Vor einer Woche erklärte er gegenüber «Sputnik» zudem: «Die Republika Srpska ist weder das Resultat des Krieges noch eines Genozids, wie aus Sarajevo immer behauptet wird.»
Dodik selbst versucht seine Macht zu erhalten, indem er in regelmässigen Abständen Bedrohungen für die serbische Bevölkerung heraufbeschwört, vor denen vermeintlich nur er sie retten kann. Auch die politischen Eliten der Bosniaken profitieren von dieser Strategie, weil sie gegenüber ihrem eigenen Klientel auf die bösen Serben verweisen können, welche die territoriale Integrität Bosnien und Herzegowinas infrage stellen.
Neben der weit verbreiteten Vetternwirtschaft ist diese «Schuld-sind-immer-die-anderen»-Rhetorik die Grundlage für den Machterhalt der ethnonationalistischen Parteien in Bosnien und Herzegowina. Das Motto lautet: «Teile das Land und herrsche».
Opferdiskurs im Teilstaat
Laut dem Friedensvertrag von Dayton sollte sich die Republika Srpska in den Gesamtstaat eingliedern und Vertriebenen eine Rückkehr in ihre alte Heimat ermöglichen, doch beide Punkte werden von der Regierung der Republika Srpska boykottiert.
Im Teilstaat hat sich zudem ein Opferdiskurs festgesetzt, demnach sind die bosnischen Serben die grossen Verlierer des Krieges und hatten am meisten unter ihm zu leiden. Die Selbstinszenierung als die eigentlichen Opfer des Bosnienkrieges funktioniert nur dadurch, dass eigene Verbrechen geleugnet oder relativiert werden. Die Psychologie dieses Staates im Staate ist eine der Verdrängung und der Selbstviktimisierung.
Die Leugnung und Rechtfertigung der Kriegsverbrechen hat viele Stimmen: «Ja Srebrenica war schlimm, aber niemals wurden da 8000 Menschen ermordet.» Und: «Wir wollten in Jugoslawien weiterleben, die haben den Krieg angefangen.», «Wir wurden vertrieben.», «Das in Sarajevo, das war eine ethnische Säuberung gegen die Serben.»
«Eine stärkere Integration der Republika Srpska in den Gesamtstaat lässt sich nicht erzwingen.»
Den Soldaten der Armee der Republika Srpska wird heute gedacht, ihren Opfern nicht. Man mag das widerlich finden, muss aber auch einsehen, dass sich eine stärkere Integration der Republika Srpska in den Gesamtstaat nicht erzwingen lässt. Die meisten bosnischen Serben in diesem Landesteil wünschen keine stärkere Integration in den Gesamtstaat und viele würden sich lieber heute als morgen aus Bosnien und Herzegowina verabschieden.
Gebe es hier ein Referendum über die Unabhängigkeit des Landesteils, der Grossteil der Bevölkerung würde zustimmen. Die heutige Feier zum Jahrestag der Republika Srpska wird sicher nicht die letzte gewesen sein.