Das bisschen Protest hat schon gewirkt: Der Binninger Einwohnerrat hat im Grundsatz beschlossen, dass sich die Gemeinde weiterhin Institutionen wie das Hallenbad oder das Jugendhaus leisten soll. Endgültig ist der Entscheid aber noch nicht.
Bis vor Kurzem war Binningen noch eine glückliche Gemeinde, wir haben es ja geschrieben. Erst Mitte Mai kam die Schocknachricht in Form der angekündigten «Haushaltsüberprüfung», 116 Massnahmen im Umfang von 2,9 Millionen Franken.
In so kurzer Zeit kann aus einem glücklichen Binninger natürlich kein wild entschlossener Klassenkämpfer werden. Entschlossener Einsatz für sein Hallenbad, sein Jugendhaus, seine Bibliothek, seine Ludothek und was sonst noch alles bedroht war, in dem offenbar plötzlich klammen Binningen, liegt aber durchaus drin.
Bereit für ein Kämpfchen
Der Binninger sammelt Unterschriften (über 1500 für die Rettung des Jugendhauses, rund 1000 für das Hallenbad), er nimmt auch mal ein Transparent in die Hand (je jünger er ist, desto lieber, wie es scheint). Gerne trägt er auch mal ein Schwimmflügeli, um seiner Verbundenheit mit dem Hallenbad Ausdruck zu verleihen (diese Form des Protests scheint eher den etwas Älteren zu liegen). Einfach allzu verbissen darf das Ganze nicht sein.
Entsprechend freundlich war die Stimmung vor der mit Spannung erwarteten Einwohnerratssitzung vom Montagabend. Rund 200 Gäste verfolgten nach dem Transparenten-Schwingen auf dem Vorhof auch die Sitzung im Kronenmattsaal.
Es wäre schön, wenn immer so viele Leute kämen, sagte Einwohnerratspräsident Stefan Kaiser zur Begrüssung. Danach bat er die Gäste, nicht gleich laut zu protestieren, falls ihnen eine Äusserung während der Debatte mal nicht passe. Dies im Sinne eines «möglichst reibungslosen Ablaufes».
FDP will alles und nichts
Dann hatten die Parteien das Wort. Christoph Maier forderte im Namen der FDP einerseits einen möglichst hohen Standard im Service Public und andererseits einen möglichst moderaten Steuersatz. Oder mit anderen Worten: alles oder nichts. Immerhin liess er zum Schluss seiner Rede durchblicken, dass sich seine Partei mit einer geringfügigen Steuererhöhung abfinden könnte.
Das waren schon mal neue Töne. 2004 und 2005 hatten die Bürgerlichen eine schrittweise Steuersenkung von 51 auf 46 Prozent der Staatssteuer durchgesetzt und dabei versprochen, «falls nötig … immer bereit zu sein», die Steuern wieder anzuheben. Seither haben sie aber alle Anträge des Gemeinderats auf eine Steuererhöhung abgelehnt.
Auf die Steuerhistorie kam auch Gaida Löhr (SP) zu sprechen. Vor 15 Jahren sei der Steuerfuss in Binningen bei 56 Prozent gelegen – eine Höhe, wie sie auch heute noch in anderen grossen Gemeinden wie Muttenz, Pratteln, Liestal, Allschwil oder Münchenstein üblich sei. Dank ein paar sehr guten Steuerzahlern habe Binningen die Steuern seither senken können. «Das war ein Geschenk. Dass diese goldenen Zeiten irgendwann vorbei sein werden, war immer klar. Das ist jetzt der Fall. Nun müssen wir wieder zurück zur Normalität», sagte Löhr.
Damit war ihre Haltung klar: Die Steuern müssen wieder rauf, nicht nur um ein oder zwei Prozentpunkte, sondern so weit, dass das Jugendhaus, das Hallenbad und das Ferienhaus Wisli nicht aufgegeben werden müssen. Als sie diese Binninger Institutionen ansprach, gab es zum ersten Mal Applaus von den Gästen.
Ebenfalls beklatscht wurde Anand Jagtap (Grüne), der den Antrag auf Rückweisung der gesamten Haushaltüberprüfung an den Gemeinderat stellte. Seine Partei stehe «ohne Wenn und Aber» zum Service Public der Gemeinde und halte das Sparpaket für ein «buntes Sammelsurium» verschiedenster Vorschläge, das sich politisch unmöglich durchsetzen lasse. Selbstverständlich unterliess es Jagtap nicht, dem Gemeinderat einen Rat zu geben, auf welche Bereiche er seine Sparbemühungen konzentrieren müsste: auf den Strassenbau zum Beispiel oder die Parkraumbewirtschaftung.
«Das Bad retten! Und das und das und das auch noch!»
Die Bürgerlichen dagegen wollten sich vorerst nicht in die Karten blicken lassen und sich über das Schicksal der einzelnen, umstrittenen Institutionen äussern. Noch gebe es viele offenen Fragen, die Details müssten in der Geschäfts- und Rechnungsprüfungskommission (GRPK) besprochen werden, sagten Christoph Anlieger (SVP), Alexander Huber (CVP) und Markus Ziegler (FDP).
Anderer Meinung war der Parteilose Stefan Glaser. Er stellte den Antrag, über das Hallenbad abzustimmen: «Dieses Bad muss gerettet werden!»
Der nächste Antrag kam sofort – von Simon Abt (SP): Das Jugendhaus, die Ferienlagerhäuser Wisli und Adelboden, das Klassenmusizieren und das Gartenbad Bottmingen müssten ebenfalls gerettet werden.
Und, ja, die Erwachsenenbildung müsse auch beibehalten bleiben, forderte danach eine weitere Einwohnerrätin, zu einem Zeitpunkt, als die Debatte allmählich etwas wirr wurde. War nun die Rede von fünf, sechs oder gar noch sehr viel mehr Punkten?
Offenbar reichte das nette Protestchen schon, um ein paar Politiker zum Einknicken zu bringen
Egal, die Grundsatzfrage lautete nun: Geht das – einzelne Punkte aus dem Sparpaket herauszugreifen? Oder wäre es nicht seriöser, alle 116 Massnahmen erst im Detail zu beraten und erst danach über jede einzelne abzustimmen?
Nein, meinte die klare Mehrheit des Binninger Einwohnerrates. In einer Grundsatzabstimmung sprach sich die deutliche Mehrheit für einen Erhalt des Hallenbades, des Jugendhauses, des Ferienheims Wisli, das Klassenmusizieren, die Erwachsenenbildung und die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Bottmingen und Oberwil beim Gartenbad Bottmingen aus. Im Widerspruch zu ihrer vorhergehenden Aussage, seriöse Entscheide könnten erst nach einer seriösen Abklärungen gefällt werden, stimmte nun auch die Fraktion der CVP und der Grünliberalen genau gleich wie die SP, die Grünen und die Parteilosen Ja.
Zufrieden auf dem Heimweg
Offenbar reichte das nette Protestchen schon, um ein paar Politiker zum Einknicken zu bringen und die Mehrheitsverhältnisse zu drehen.
Ganz gerettet sind die umstrittenen Institutionen damit aber noch nicht. Trotz des Grundsatzentscheides wird sich die GRPK nun nochmals mit allen 116 Massnahmen auseinandersetzen und zuhanden des Einwohnerrates und des Gemeinderates eine Empfehlung erarbeiten. Zum Thema werden dabei auch Steuererhöhungen – und wohl auch zum Streitpunkt.
Zumindest an diesem Abend gingen aber die meisten zufrieden nach Hause. Die lustigen Protestierer, weil sie einen ersten, wahrscheinlich wegweisenden Sieg erreicht haben, die Politiker, weil sie dem Volk eine Freude bereitet hatten. Da wars ihnen wahrscheinlich auch egal, dass das Dilemma der Binninger Politik weiter besteht: Die Steuern spürbar erhöhen, das passt der Mehrheit nicht. Das Angebot spürbar abbauen, will sie aber offenbar auch nicht.
Gut möglich, dass die wieder gefundene Zufriedenheit in Binningen nicht allzu lange anhalten wird.