Richter Rosas fragwürdiger Kampf gegen die angebliche Kuscheljustiz

Die Basler Zeitung fuhr eine Kampagne gegen die angeblich viel zu milde Baselbieter Staatsanwaltschaft. Ihr Kronzeuge: Strafgerichtspräsident Enrico Rosa. Möglicherweise ist es aber in erster Linie er, der einen erheblichen Fehler gemacht hat.

Richter Enrico Rosa als willkommener Aufhänger in der BaZ-Kampagne gegen die angebliche Kuscheljustiz. Hier ein Auszug aus dem am 20. August 2012 erschienenen Interview mit ihm.

Die Basler Zeitung fuhr eine Kampagne gegen die angeblich viel zu milde Baselbieter Staatsanwaltschaft. Ihr Kronzeuge: Strafgerichtspräsident Enrico Rosa. Möglicherweise ist es aber in erster Linie er, der einen erheblichen Fehler gemacht hat.

Der Fall war perfekt für die «Basler Zeitung» (BaZ), ihren rechten Chefredaktor und seine rechten Hintermänner.

Der Angeklagte: ein Ausländer, Roma sogar.

Die Staatsanwaltschaft: zurückhaltend.

Der Strafgerichtspräsident: ein Hardliner, der an einem sogenannten Kriminaltouristen ein Exempel statuieren wollte. Als Grüner noch dazu politisch völlig unverdächtig. Der perfekte Kronzeuge für die Behauptung, unsere Justiz sei viel zu lasch.

Die doppelte BaZ

Vor Gericht stand am Dienstag in der vergangener Woche zwar nur  M. J., ein ganz «gewöhnlicher Dieb» aus Frankreich, wie die BaZ selbst schrieb. Umso ungewöhnlicher war dafür ihr eigener Auftritt: Den ganzen Tag über verfolgte Reporter Mischa Hauswirth die Verhandlung, als Mann fürs Grobe. Am späteren Nachmittag begab sich dann auch noch der Chef persönlich nach Liestal: Markus Somm, er, der Mann der grossen Worte.

Schon nach rund einer halben Stunde hatte er genug gesehen, um, zurück im vornehmen Büro, so zu tun, als hätte er tief in die Seele des 21-jährigen Angeklagten geblickt. In seinem Leitartikel schreibt Somm, er habe fast Mitleid gehabt, als der Angeklagte bei den Ausführungen des Gerichts immer unruhiger wurde, offenbar auch weil er kein Wort verstand. Der Mann schien zu verzweifeln,  kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen. «Mit Schaum vor dem Mund», wie Somm befürchtete.

Allerdings nur kurz. Dann merkte er: Alles nur Theater. Das Schauspiel eines «Kriminalschauspielers», der «alle Register» zog, so Somm.

Fast noch irritierender ist seine zweite angebliche Erkenntnis: Jene nämlich, dass die Baselbieter Justiz total versagt. Der Prozess sei absurdes Theater gewesen, schreibt Somm, Verteidigung und Anklage hätten sich darin zu überbieten versucht, den «Delinquenten möglichst zu schonen». Seine Folgerung: Wer von der Baselbieter Staatsanwaltschaft angeklagt wird, braucht keine Verteidigung.

Starke Worte. Und der Höhepunkt einer mehrtägigen Kampagne. Am Tag nach dem Prozess darf erst einmal Hauswirth verkünden: «Roma-Einbrecher soll den Rechtsstaat spüren.» Und: «Gericht urteilt härter als Staatsanwaltschaft.» Zwei Jahre unbedingt statt zehn Monate. Für zwei recht dilettantisch ausgeführte Einbrüche.

Kampagne kommt ins Rollen

Am folgenden Tag fährt die BaZ noch grösser ein – mit Frontaufhänger, Tageskommentar «Da ist was faul im Staate», Reaktionen «Hartes Urteil wird begrüsst» und einem etwas umständlichen und eher schwer verständlichen Interview mit Gerichtspräsident Enrico Rosa. Daraus liess sich aber immerhin noch ein griffiger Titel auf der Front ableiten: «Richter fordert härtere Gangart.»

Schliesslich folgte Somms Geschoss, am Samstag.

Eine perfekt inszenierte Kampagne. Etwas gar perfekt vielleicht sogar. Und möglicherweise auch am Thema vorbei. Denn faul ist in dem Fall nicht unbedingt «der Staat» und die Staatsanwaltschaft, wie im BaZ-Kommentar behauptet, sondern eventuell vielmehr das Gericht, das dem Angeklagten einen fairen Prozess garantieren müsste.

«Ein Richter muss unvoreingenommen sein; ein Urteil offen und nicht vorherbestimmt, das verlangt die Verfassung», sagt Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht. «Ein Gericht darf darum keinesfalls schon im Voraus wissen, dass das Urteil besonders hart oder besonders mild sein wird und darum gewisse Medien auf den Prozess aufmerksam machen», sagt er. Richter, die sich daran nicht halten, seien befangen. «Dagegen kann sich der Angeklagte auch nach dem Urteil noch wehren – mit einer Beschwerde ans Kantonsgericht», sagt Schefer.

Womit sich die zentrale Frage stellt, wer die Medien – Telebasel und speziell die BaZ – auf den Prozess aufmerksam gemacht hat, damit das Blatt mit einem Aufgebot aufmarschieren konnte wie sonst höchstens bei einem Jahrhundertprozess.

Richter Rosa erklärt sich

Rosa selbst beantwortet diese Frage am Telefon zuerst nur ausweichend. Verhandlungen seien öffentlich, die Termine würden frühzeitig im Internet angekündigt.

Nach mehrmaligem Nachhaken räumt er dann aber ein, Journalisten auch schon ganz generell auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht zu haben, einen Prozess zu verfolgen. Auch gegen Einbrecher.

Schliesslich lässt uns Rosa per Mail auch noch eine weitere Stellungnahme zukommen – eine «zusammengefasste und abschliessende». «Die Deliktsform der Einbruchdiebstähle tangiert das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung», erklärt er darin. Und weiter: «Die Presse hat diese Thematik seit geraumer Zeit aufgenommen und wiederholt Fragen zur Behandlung solcher Fälle durch die Justiz aufgeworfen. Auf mehrfache Anfrage der Presse zu diesem Thema, habe ich auf die entsprechenden anstehenden Verhandlungen gemäss Verhandlungskalender verwiesen.»

Ob das die ganze Wahrheit ist? Markus Somm verweigert jeglichen Kommentar zum Fall, BaZ-intern heisst es aber, Kontakte zum Richter hätte es schon vor ein paar Wochen gegeben; dabei sei der Prozess gegen M.J. angesprochen worden. Das ermöglichte es der Redaktion schon anfangs vergangener Woche zu planen, wie die «ganze Geschichte etwas grösser» gefahren werden könnte.

Am Mittwoch nahm die Kampagne dann tatsächlich Fahrt auf. Und schon am Donnerstag gab die BaZ im Kommentar überraschend offen zu: «Die Öffentlichkeit war gesucht. Regionale Medien waren aus Gerichtskreisen eigens auf den Prozess aufmerksam gemacht worden, bei dem das Strafgericht eine deutlich höhere Strafe aussprach als von der Staatsanwältin gefordert.»

Was ist  von einem solchen Urteil zu halten? Eine klare Antwort darauf liefert der Blogger Manfred Messmer, der als Erster öffentlich die Vermutung geäussert hat, Richter Rosa habe eine Kampagne losgetreten.

Messmer spricht darum von einem «Schauurteil».

Ein harter Vorwurf. Trifft er zu, so ist Richter Rosa zumindest bei vergleichbaren Fällen kaum mehr tragbar.

Was treibt Strafgerichtspräsident Enrico Rosa an? Diese Frage stellt man sich auch in Juristenkreisen eingehend. Eine mögliche Erklärung wird im Clinch gesehen, in dem sich Richter Rosa seit Längerem mit der neu formierten Staatsanwaltschaft befindet.
Probleme gabs dem Vernehmen nach vor allem im vergangenen Jahr, als er das Zwangsmassnahmengericht leitete. Interessanterweise handelte er sich dabei den Ruf ein, sehr liberal zu sein. Er habe jeweils penibel auf die Grundrechte der mutmasslichen Straftäter geachtet und diese Rechte teilweise auch sehr weit gefasst, wie sowohl von Anwälten als auch aus dem Umfeld der Staatsanwaltschaft zu vernehmen ist.
Deutlich schärfer war dann der Bericht einer Fachkommission mit den Strafgerichtsgerichts-Präsidenten Adrian Jent und Enrico Rosa und dem früheren Zuger Justizdirektor Hanspeter Uster über die Tätigkeit der seit anfangs 2011 komplett neu organisierten Staatsanwaltschaft. Kritisiert wurde darin in erster Linie die angeblich fehlende Effizienz. Die Vorwürfe sorgten im Baselbiet bereits für einigen Wirbel, nachdem dieser Bericht Telebasel zugespielt worden war.
In der vergangenen Woche erreichte die Auseinandersetzung nun die nächste Stufe, indem Rosa den Medien im Gerichtssaal vorführte, wie schludrig die Staatsantwaltschaft angeblich arbeitet. Ein heikles Vorgehen, wie Rosa offenbar auch selbst merkt. Im Interview mit der BaZ sagt er jedenfalls: «Es ist nicht Sache des Gerichts, die Arbeit der Staatsanwaltschaft zu beurteilen. Es gilt hier die Gewaltentrennung. Aber ich erachte es als wichtig, dass man bei der Rechtsprechung hinschaut.»

 

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