Kommt die Einheitskasse beim Volk nicht durch, werden die Prämien Jahr für Jahr noch weiter steigen, warnt SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr vom Initiativkomitee.
Frau Fehr, mögen Sie den Ausdruck Einheitskasse?
Ich spreche lieber von einer öffentlichen Krankenkasse, so heisst ja auch unsere Initiative. Der Begriff öffentliche Krankenkasse zeigt präziser, was wir fordern. Wir wollen eine öffentliche Versicherung – wie die AHV und Suva – welche das Wohl der Versicherten in den Mittelpunkt stellt.
«Wir sind keine Einheitsmenschen», sagen die Gegner der Initiative. Wollen Sie ein sozialistisches Gesundheitssystem, das alle gleich macht?
Richtig, wir sind keine Einheitsmenschen! Damit hat unsere Initiative aber nichts zu tun. Die heutige Situation ist folgende: Über 60 private Krankenversicherungen veranstalten einen teuren bürokratischen Pseudowettbewerb. So kann es nicht weitergehen! Wir wollen eine öffentliche Krankenkasse, welche die Grundversicherung übernimmt. Tiefere Kinderprämien, Franchisenrabatte und Hausarztmodelle bleiben bestehen. Und bei den Zusatzversicherungen ändert sich nichts.
Sie sprechen von Pseudowettbewerb und der Jagd nach guten Risiken. Das sind doch marktwirtschaftliche Mechanismen. Wettbewerb schafft doch auch niedrige Prämien für die Versicherten.
Das ist Humbug. In der Grundversicherung müssen alle Krankenkassen die genau gleichen Leistungen anbieten. So ist das Gesetz. Und das ist richtig so: Sonst bekommen wir eine Zweiklassenmedizin. Wir haben also einen Pseudowettbewerb, welcher Millionen verschlingt. Heute versuchen die Kassen, die «teuren Fälle» abzuschrecken. Für kranke und alte Menschen bedeutet dieser Kassendschungel: fiese Schikanen und unfaire Tricks. Das wollen wir ändern.
Die Initiativ-Gegner behaupten, die öffentliche Krankenkasse würde teurer als die jetzigen Kassen. Werden die Prämien wirklich sinken, wenn wir die öffentliche Krankenkasse haben?
Es ist klar, dass die Manager der Krankenkassen mit allen Mitteln versuchen, die Stimmberechtigten zu verunsichern. Sie wollen so ihre überrissenen Saläre und Boni sichern. Unsere Aufgabe ist es, klar aufzuzeigen, weshalb eine öffentliche Krankenkasse die Prämienexplosion stoppen kann. Heute verschleudern die privaten Kassen rund 325 Millionen unserer Prämien für Werbekampagnen und Wechselkosten. Mittel- und langfristig sind die Aussichten für uns Prämienzahlende dank der öffentlichen Krankenkasse gut: Dank Förderung von koordinierten Versorgungsprogrammen und Prävention beträgt das Einsparpotenzial zusätzlich rund zwei Milliarden Franken – das sind rund zehn Prozent der Kosten.
Das klingt gut – ist aber sehr optimistisch. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die öffentliche Krankenkasse wirklich nachhaltige Behandlungsprogramme und Prävention fördert?
Wir sehen bei der Suva, wie das geht. Sobald eine Versicherung höhere Risiken nicht mehr über Risikoselektion loswerden kann, beginnt sie, sich so um diese zu kümmern, dass deren Kosten langfristig sinken. Zuerst durch Prävention und dann durch gute, und zwar langfristig gute Behandlungsprogramme. Diese Strategie machte es der Suva möglich, die Prämien in den letzten Jahren zu senken. Für diese verantwortungsbewusste Politik sorgt auch die Zusammensetzung der Leitungsgremien. Analog zur Suva ist bei der öffentlichen Krankenkasse geplant, dass Bund und Kantone, die Leistungserbringer und die Patienten, etwa Vertretungen der Lungenliga oder andere Gesundheitsligen, zusammen die Leitung übernehmen. Damit ist gewährleistet, dass wir die Kosten im Griff behalten.
Im Abstimmungskampf sind Sie David gegen den übermächtigen Kassen-Goliath. Fühlen Sie sich manchmal etwas machtlos gegenüber den millionenschweren Krankenkassen?
Wir finden es falsch, dass die Kassen mit unseren Prämien die millionenschwere Nein-Kampagne finanzieren: Klar wären uns gleich lange Spiesse im Abstimmungskampf lieber. Aber wir haben die Unterstützung von Hunderten von Ärztinnen und Ärzten. Wir bekommen jeden Tag Rückmeldungen von verärgerten Versicherten und haben unzählige Freiwillige, die sich engagieren wollen.
Die Prognosen verheissen nichts Gutes. Glauben Sie noch daran, dass die Initiative angenommen wird?
Momentan ist die Zustimmung zur öffentlichen Krankenkasse gross. Deshalb bin ich optimistisch.
Was passiert wenn die Bevölkerung Nein sagt? Haben die Versicherer dann einen Freipass, ihre Interessen im Parlament durchzusetzen?
Sicher ist, dass dann die Prämien Jahr für Jahr weiter explodieren. Zu rechnen wäre auch mit einer weiteren Sabotage gegen das neue Aufsichtsgesetz. Ebenso könnte die Umsetzung des verschärften Risikoausgleichs durch die Kassen bekämpft und damit hinausgezögert werden. Es ist uns in der Vergangenheit jeweils nur unter dem Druck einer anstehenden Initiative gelungen, die Kassen einigermassen zu disziplinieren. Ohne diesen Druck wären die Prämien heute noch viel höher, und das Aufsichtsgesetz hätte nicht einmal die ersten Hürden genommen. Ein Nein zu unserer Initiative gäbe den Kassenlobbyisten wieder ein paar Jahre Zeit, ihre Macht weiter auszubauen. Jedoch, auch wenn ein Nein vordergründig für die Kassen eine Sieg wäre: Auf lange Sicht kann sich die Kassenlobby – welche übrigens bürgerliche Politikerinnen und Politiker mit hochbezahlten Verwaltungsratssitzen auf ihre Seite zieht – nicht zurücklehnen, denn ihre Politik wird den Ärger der Leute auf die Krankenversicherungen und die Prämienexplosion nicht aus der Welt schaffen.
Die Initiative für sechs Wochen Ferien, die 1:12-, die Mindestlohn-Initiative – alles linke Kernanliegen, die vom Volk abgeschmettert wurden. Eine erneute Blamage kann sich die SP nicht leisten.
Unsere Volksinitiative ist breit abgestützt. Im Trägerverein sind neben der SP diverse Konsumentenschutz-Organisationen und Berufsverbände. Auch die bürgerliche EVP hat die Ja-Parole beschlossen. Diese Initiative geniesst bis weit in die politische Mitte Sympathien, denken wir nur an den langjährigen FDP-Präsidenten Franz Steinegger oder die Aargauer Ständerätin Christine Egerszegi. Unterstützt wird die Initiative von allen, welche wieder das Patientenwohl in den Mittelpunkt stellen wollen und nicht das Profitstreben von privaten Versicherungen.