Riesen-Wunschkarte an Baschi Dürr: Aktivisten fordern mehr Menschlichkeit bei Härtefällen

Aktivisten haben Baschi Dürr eine überdimensionale Wunschkarte überreicht. Darin fordern sie, dass Härtefallgesuche von Sans Papiers humaner beurteilt werden.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Aktivisten haben Baschi Dürr eine überdimensionale Wunschkarte überreicht. Darin fordern sie, dass Härtefallgesuche von Sans Papiers humaner beurteilt werden.

Zwischen 40 bis 50 Personen haben sich am frühen Nachmittag des 21. Januar vor dem Stadthaus Basel versammelt, um ihren Namen auf ein Schriftstück zu setzen, das wie eine überdimensionale Grusskarte aussah. Auch Passanten hinterliessen ihre Unterschrift darauf, bevor maskierte Aktivisten die Riesenkarte an der Spitze ihres Zuges vor das Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) an der Spiegelgasse trugen. Der Regierungsrat und Vorstehende des JSD, Baschi Dürr, nahm die Wunschkarte entgegen.

Bei der Aktion handelte es sich um eine Initiative von Basler Bürgerinnen und Bürgern, die sich unter dem programmatischen Namen «Nicht ohne unsere Freund*innen» gemeinsam für die Rechte und Anerkennung von Sans Papiers einsetzen. Acht in Basel wohnhafte Sans Papiers hatten Ende 2014 anonymisiert vorläufige Gesuche für eine Aufenthaltsbewilligung eingereicht – acht von ihnen erhielten eine Absage.




Rund 50 Personen trugen die Wunschkarte vom Basler Stadthaus zum Justiz- und Sicherheitsdepartement. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Diese Abweisungen erstaunten Fabrice Mangold, einen der Initianten von «Nicht ohne unserer Freund*innen»: «Diese acht Gesuche stammen explizit von Fällen, denen wir hohe Chancen für eine positive Rückmeldung eingeräumt hatten.»

Entscheidungskriterien mit Spielraum

Was das heisst, erklärt ein Blick in das Ausländergesetz Art. 30, Abs. 1 Bst. b.: «Schwerwiegenden persönlichen Härtefällen» könne eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden, heisst es dort, wenn die Kriterien gemäss Artikel 31. der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit erfüllt sind. Die Kriterien betreffen:

  • die Integration 
  • die Respektierung der Rechtsordnung 
  • die Familienverhältnisse 
  • den Willen zur Teilhabe am Wirtschaftsleben und zum Erwerb von Bildung 
  • die Dauer der Anwesenheit in der Schweiz 
  • den Gesundheitszustand
  • die Wiedereingliederungschancen im Herkunftsland

Eine kampagnenbegleitende Broschüre stellt die acht Sans Papiers vor. Ihre Biografien und Lebensumstände legen nahe, dass sie die aufgeführten Kriterien erfüllen. Es sind Menschen, die aufgrund einschneidender Schicksalsschläge oder existenzbedrohender Umstände ihre Heimat in Bolivien, Serbien, Brasilien oder Kamerun verlassen mussten und in der Schweiz ein neues Leben aufbauten. Und das bereits vor vielen Jahren. Sie sprechen Deutsch und haben sich gut integriert.




Die Sympatisanten unterschrieben für eine «menschliche Beurteilung von Härtefallgesuchen». (Bild: Hans-Jörg Walter)

Obwohl die zitierten Kriterien in solchen Fällen den kantonalen Ämtern einen gewissen Entscheidungsspielraum einräumen, hat das in erster Instanz zuständige Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt die zur Vorprüfung eingereichten anonymen Gesuche zurückgewiesen. «Nicht ohne unsere Freund*innen» kritisieren die Entscheidung als zu restriktiv.

Kritik an restriktiver Gesetzesauslegung

«In Diskussionen rund um das Thema Sans Papiers wird gerne auf die Härtefallregelung verwiesen, um zu zeigen, dass wir ja keine Unmenschen sind», sagte Mangold in einer Ansprache vor dem JSD. «In der Praxis legen die meisten Kantone die Regeln aber sehr restriktiv aus; nur selten werden Gesuche mit Empfehlung zur Annahme an die letztlich entscheidende Instanz, das Staatssekretariat für Migration in Bern weitergeleitet.»

«In Diskussionen rund um das Thema Sans Papiers wird gerne auf die Härtefallregelung verwiesen, um zu zeigen, dass wir ja keine Unmenschen sind»


Fabrice Mangold

Laut einer Studie der Eidgenössischen Komission für Migrationsfragen von 2010 entspreche das Staatssekretariat für Migration (SEM) den Empfehlungen der kantonalen Migrationsämter in 80 Prozent der Fälle. Entsprechend entscheidend ist für die Gesuchsteller daher eine Zu- oder Absage in erster Instanz.

Im März 2016 wollen die acht Sans Papiers ihre definitiven Gesuche beim Justiz- und Sicherheitsdepartement einreichen. Nach Jahren der Unsicherheit wagen sie damit den Schritt aus der Anonymität. Werden ihre Gesuche dann ein zweites Mal negativ bewertet, müssen sie die Schweiz innerhalb kurzer Zeit verlassen.

Justizdirektor Baschi Dürr versicherte den Anwesenden, dass jedes der angekündigten Gesuche «von den Fachleuten des Migrationsamtes mit aller Sorgfalt geprüft werde», wies aber darauf hin, dass es schliesslich eben der Bund und nicht der Kanton sei, der eine Zu- oder Absage erteile. Auf der Wunschkarte hatten die Aktivisten darum geben, den Spielraum bei der Beurteilung von Härtefallgesuchen menschlich zu nutzen.




Die Masken endlich ablegen können – der Wunsch vieler im verdeckten lebenden Sans Papiers in Basel. (Bild: Daniel Faulhaber)

Sans Papiers Schweiz schätzt die Zahl der in der Schweiz lebenden Migrantinnen und Migranten ohne geregelten Aufenthaltsstatus auf zwischen 90’000 und 200’000. In Basel leben – ebenfalls nach Schätzungen – ungefähr 5000 Sans Papiers.

Anonymisierter Antrag. Sans Papiers haben in Basel die Möglichkeit, dem Amt für Migration einen anonymisierten Antrag auf Bleiberecht zur Vorabklärung zu schicken. Diese Möglichkeit existiert nicht in allen Kantonen und soll die Persönlichkeitsrechte der Personen schützen.
Härtefallregelung: Wird ein ordentlicher Antrag auf Bleiberecht vom Amt für Migration in Basel negativ bewertet, gelangt er automatisch in eine «Härtefallkommission», die den Fall gemäss Art. 30, Abs. 1 Bst. b des Ausländergesetzes nochmals bearbeitet.

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