Hightech passt nicht in das gängige Bild vom Bauernhof, dabei wird sie längst landauf, landab eingesetzt. Wie, das zeigt der Besuch auf einem Hof im Fricktal. Hier entscheiden die Kühe selbst, wann gemolken wird.
Daniel Amsler sitzt am Esstisch und schaut auf sein Handy. Dort steht, dass sich Holiday gerade melken lässt und aus welcher Zitze wie viel Milch kommt. Um zu erfahren, was im Stall vor sich geht, muss der Bauer nicht einmal in der Nähe des Hofes sein. Per App könnte Daniel Amsler den Roboter auch selbst steuern: Ein Klick und Holiday kriegt einen Spritzer Wasser ab.
Mit dem App auf dem Handy lässt sich der Melkroboter aus der Ferne steuern. (Bild: Basile Bornand)
Der Bauernhof von Jolanda und Daniel Amsler-Bürge liegt oberhalb von Hornussen im Fricktal. Seit über einem Jahr ist der neue Stall in Betrieb und mit ihm der Melkroboter – einer von rund 500 in der Schweiz. Die Familie Amsler hat ihren Roboter Fredl getauft. 250’000 Franken hat sie das automatische Melksystem gekostet. Eine Investition, die nicht nur das Leben der Tiere, sondern auch jenes der Bauernfamilie verändert hat.
Die neue Selbstbestimmung der Kühe
Im Stall bewegen sich die Kühe frei. «So können sie das Sozialleben untereinander besser ausleben», erklärt Daniel Amsler. Welche Kuh wo schläft und wann sie an die frische Luft gehen – das ist den Herdentieren selbst überlassen. Der Bauer kommt auch nicht mehr zweimal täglich zum Melken. Die Veränderung bedeute für die Kühe weniger Stress, sind sich die Bauern sicher. «Früher haben sie geschissen vor Aufregung, wenn jemand den Stall betrat», sagt Jolanda Amsler. Heute verrichteten die Tiere ihre Notdurf deutlich entspannter.
Im neuen Stall auf dem Hof der Amslers sind die Kühe nicht mehr angebunden. Das Sozialleben könnten sie so besser ausleben, sagt der Bauer. (Bild: Basile Bornand)
Der Melkroboter hat etwas von einem Käfig. Trotzdem bilden sich manchmal Schlangen davor. Die Kühe stehen an fürs Melken, weil immer nur eine rein darf. Die Erklärung für den Drang in den Käfig folgt, nachdem sich das Tor geschlossen hat. Vor dem Kopf der Kuh prasselt dann das Kraftfutter in den Trog.
Das Kraftfutter locke die Kühe zum Melken, sagt Jolanda Amsler. Der Speiseplan ihrer Milchkühe sieht 20 Prozent Kraftfutter vor, der Rest ist Heu und Mais. Dass die Kühe selbst das Bedürfnis verspüren, gemolken zu werden, sei gleichwohl ein Faktor.
Nur eine Kuh aufs Mal kann Fredl, der Roboter, melken. Sein wichtigstes Instrument ist der bewegliche Melkarm. (Bild: Basile Bornand)
Manche Kühe lassen sich mitten in der Nacht melken, andere stehen bis zu zwölf Mal täglich vor dem Melkroboter an. Dieser erkennt das Tier am Chip, den es um den Hals trägt. Der Roboter merkt sich, welche Kuh gemolken werden kann und ob sie die Dosis Kraftfutter schon überschritten hat. Ist die Milch abgepumpt, wird sie in den grossen Tank oder in die Tröge für die Kälber geschleust.
Aber Fredl kann noch mehr. Er erstellt Statistiken über die Milchwerte jeder einzelnen Kuh, ja sogar über jede einzelne ihrer vier Zitzen. Die Werte vergleicht er mit jenen der restlichen Herde. Ungewöhnliches fällt dem Roboter auf. Dann klingelt das Telefon im Wohnhaus neben dem Stall und eine Roboterstimme meldet, was Sache ist.
Hat eine Kuh erst kürzlich gekalbt, fliesst ihre Milch direkt vom Roboter in die Kannen für die Kälber und nicht in den grossen Tank. (Bild: Basile Bornand)
Eine solche Technologie braucht Wartung. Alle drei Monate kommt deshalb ein Techniker auf den Hof. Und eine Hotline der Herstellerfirma ist 24 Stunden erreichbar. Auf die Software von Fredl können die Hersteller auch aus der Ferne zugreifen.
«Ihr Roboterbauern!»
Weil sie sich für diese Art von Landwirtschaft entschieden, mussten sich Jolanda und Daniel Amsler schon einige Sprüche anhören. «Roboterbauern» sei bei den Berufskollegen ein beliebter Übername. «Manche denken, wir hätten jetzt nichts mehr zu tun», sagt Jolanda Amsler. Aber auch mit dem Roboter sei der Sieben-Tage-Beruf nicht Geschichte. Nur liege es jetzt drin, hin und wieder eine Stunde länger zu schlafen.
Die Kälber wollen Daniel und Jolanda Amsler weiterhin selbst tränken – obwohl es auf dem Markt auch dafür eine Maschine gibt. (Bild: Basile Bornand)
Bevor sie Fredl kaufte, war die Bauernfamilie gesundheitlich und finanziell angeschlagen. Der Druck der Milchwirtschaft und die Arbeitsbedingungen auf dem Hof forderten ihren Tribut. Deshalb sahen sich die Amslers gezwungen, etwas zu verändern. Sie kehrten der Milchwirtschaft aber nicht den Rücken, wie es in den letzten Jahren viele andere Bauern taten. Insgesamt investierten sie über eine Million Franken in den Hof, den sie nur so für zukunftstauglich hielten. «Wenn man bauert wie früher, dann kann man zwar davon leben, aber man kann sich nicht mehr weiterentwickeln», sagt Jolanda Amsler.
Von YouTube in den Stall nebenan
Es war der Architekt, der die Idee mit dem Roboter einbrachte. «Gahts no?», war damals die erste Reaktion von Jolanda Amsler. Das Paar kannte Melkroboter erst aus YouTube-Filmen. Das Argument, dass der Stall weniger Platz brauche, stimmte sie aber um. Neun Monate lang studierten sie an jedem Detail des Stalles herum: Das grosse Geburtsabteil, der automatische Mistschieber oder die Einrichtung, welche die Wärme der frischen Milch zur Erwärmung von Wasser nutzt.
Jederzeit können die Kühe auf die Terrasse vor dem Stall. Die grossen Fenster lassen sich im Sommer dauerhaft öffnen. (Bild: Basile Bornand)
Heute kommen im neuen Stall 50 Kühe unter – bis auf 60 wollen die Bauern noch aufstocken. 430’000 Liter Milch produzieren sie im Jahr. Die Amslers gehören damit zu jenem Drittel der Schweizer Milchproduzenten, das am meisten produziert. Gleichzeitig sinkt der Milchpreis: 52 Rappen pro Liter erhielten sie derzeit, erzählt das Bauernpaar. Das seien 10 Rappen weniger als noch vor einem Jahr.
Business mit wenig Nostalgie
Immer mehr Bauern flüchten vor diesem unsicheren Markt. Vor zehn Jahren habe es in Hornussen noch acht Milchproduzenten gegeben, erinnert sich Jolanda Amsler. Heute sind es noch zwei. «Entweder man springt auf den Zug oder man gibt auf.»
Die Amslers haben ihre Entscheidung getroffen. Auf dem Hof oberhalb von Hornussen wird Milchwirtschaft mit Hightech kombiniert. Der Bauer wird dabei immer mehr zum Manager. «Landwirtschaft im heutigen Umfeld ist sehr anspruchsvoll, das sagen wir auch unseren Lehrlingen», sagt Daniel Amsler. Mit dem nostalgischen Bild, das man den Konsumenten vorgaukle, habe sie nichts mehr zu tun. Nichtsdestotrotz glaubt er fest an die Zukunft seines Berufes: «Bauer, das ist die schönste Arbeit, die es gibt.»