Staatspräsident Giorgio Napolitano steht kurz vor dem Rücktritt und stellt Italien vor eine Belastungsprobe. Auch die EU blickt mit Bangen nach Rom.
Italiens Premier Matteo Renzi ist an diesem Dienstag in Strassburg, um vor dem EU-Parlament eine Rede zum Abschluss der italienischen EU-Ratspräsidentschaft zu halten. Anschliessend werden die Gedanken des Ministerpräsidenten rasch wieder nach Rom schweifen. Denn dort stehen hitzige Wochen bevor. Bereits für Mittwoch wird der altersbedingte Rücktritt von Staatspräsident Giorgio Napolitano erwartet.
Napolitano wird im Juni 90 Jahre alt, sein zweites Mandat nahm er im April 2013 nur unter der Bedingung an, dass die Parlamentarier in Rom endlich die Reformen umsetzen, über die sie seit Jahrzehnten diskutieren. Die Parteien, darunter auch das Bündnis des wegen Steuerhinterziehung verurteilten Silvio Berlusconis, waren damals so zerstritten, dass sie sich nicht auf einen Nachfolger einigen konnten und den auch international angesehenen Senior trotz seines hohen Alters anflehten, ein zweites Mal anzutreten.
Napolitano, der in knapp neun Jahren Amtszeit bei ständig wechselnder Regierungen als Garant der Stabilität galt, hatte seinen Rücktritt in der Neujahrsansprache angekündigt. Sein Entschluss legt auch nahe, dass der Staatspräsident Italien und die Regierung Renzi mit ihren Reformschritten nun auf dem richtigen Weg sieht.
Eine Probe für das Parlament
Dennoch ist das Land in einer sensiblen politischen Situation. Unstabile Verhältnisse wie etwa in Griechenland, wo am 25. Januar gewählt wird, kann sich die EU in der viertgrössten europäischen Volkswirtschaft nicht zusätzlich erlauben, der Euro wäre in Gefahr. Wenn nun aber für einige Wochen der höchste Mann im Staat wegfällt, verliert Italien vorübergehend auch seinen ruhenden Punkt.
Premier Renzi will nun mit dem Wahlgesetz und der Verfassungsreform zwei Pfeiler seiner Reformbemühungen noch vor der richtungsweisenden Wahl des neuen Staatspräsidenten festigen. Dabei machen ihm wie bei der Arbeitsmarktreform vor allem Widerstände aus der eigenen Partei zu schaffen. Anschliessend wird die Suche nach Napolitanos Nachfolger das Parlament auf eine Probe stellen, an der die Abgeordneten vor zwei Jahren noch kläglich gescheitert waren.
Es soll kein Technokrat sein
15 Wahlgänge der Parlaments-Vollversammlung bedurfte es bis zur Wiederwahl Napolitanos. Zuvor wurde unter anderem die Wahl von Romano Prodi, Ex-Premier und ehemaliger Vorsitzender der EU-Kommission, boykottiert. Prodi fehlten 101 Stimmen aus der eigenen Demokratischen Partei (PD). Dennoch gehört sein Name auch jetzt wieder zu den Kandidaten, denen Chancen eingeräumt werden, da sein Profil scheinbar perfekt auf die Anforderungen passt. Gesucht wird ein erfahrener Politiker, der international angesehen ist und wirtschaftspolitische Kompetenz hat.
Die Chancen des EZB-Präsidenten Mario Draghi gelten als gering, seit Premier Renzi ankündigte, einen Politiker und keinen Technokraten in das Amt bringen zu wollen. Renzis PD hat zwar am meisten Stimmen im Parlament. Sie muss sich aber zur Wahl des künftigen Staatspräsidenten mit Berlusconis Forza Italia oder Beppe Grillos 5-Sterne-Bewegung abstimmen, deren Stimmen für die absolute Mehrheit notwendig sind. Ab dem 4. Wahlgang kann der Staatspräsident in Italien mit dieser Mehrheit von der Vollversammlung von Senat, Abgeordnetenhaus und einigen Regionalabgeordneten bestimmt werden.
Ob die von Flügelkämpfen gezeichnete PD aus ihren Fehlern gelernt hat, wird sich ab Ende Januar zeigen. Dann stehen die ersten Wahlgänge zur Bestimmung des Napolitano-Nachfolgers an. Können sich die Parteien erneut nicht rasch auf einen Kandidaten einigen, sind Neuwahlen und ein institutionelles Chaos nicht ausgeschlossen.