Damit hatten die Grenzgänger nicht gerechnet: Am Montagmorgen wurden sie in Basel mit Blumen empfangen. Doch die symbolische Aktion der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz zum Jahrestag der MEI-Abstimmung ändert nichts daran, dass es Grenzgänger schwer haben.
Rosen sollen es richten. Auf den Tag genau ein Jahr nach der Annahme der SVP-Initiative gegen die Masseneinwanderung (MEI) wollen sich Aktivisten der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz (Nebs) bei den Grenzgängern bedanken. «Die Menschen in diesem Land profitieren von einer erfolgreichen Schweiz mit hohem Wohlstand und tiefer Arbeitslosigkeit», steht auf den Handzetteln, welche sie am Montagmorgen an den Grenzübergängen in Weil am Rhein, bei Riehen und am Badischen Bahnhof verteilen. «Wir heissen sie daher immer noch herzlich willkommen.» Zum Zettel erhalten die Grenzgänger eine weisse Rose.
«Es ist sympathisch zu sehen, dass es Leute gibt, die sich für eine andere Meinung einsetzen», sagt Safaie Alireza, der im Achter-Tram von Weil nach Basel fährt. «Zur Arbeit», wie die meisten im Tram. Vermutlich, weil er sich vor allem in den Städten bewege, habe er in seinem Umfeld nach der Abstimmung keine Veränderung festgestellt. Aber nach dem 9. Februar 2014 habe sich dennoch eine gewisse Verunsicherung eingestellt: «Das werde ich langfristig auch in meiner persönlichen Planung berücksichtigen.» Der gut bezahlte Arbeitsplatz in Basel ist nicht viel wert, wenn die Arbeitserlaubnis einem von der SVP geforderten Kontingent zum Opfer zu fallen droht.
«Als Deutsche ist man sonst nicht sehr willkommen. Das war schon vor der Abstimmung so.»
Ähnlich tönt es bei vielen Grenzgängern, die an diesem Morgen mit Nebs-Rosen in der Hand den Zoll passieren. «Ich finde die Aktion toll, heute fühle ich mich willkommen», sagt Silvia Emmi, die ebenfalls aus Weil zur Arbeit nach Basel pendelt. Das sei nicht immer so: «Als Deutsche ist man sonst nicht sehr willkommen. Das war schon vor der Abstimmung so.» Dass der Urnengang, der für die Schweiz so wegweisend scheint, schon ein Jahr her ist, war Emmi gar nicht bewusst.
Viel eher als für die Grenzgänger markierte der 9. Februar für die Schweizer Aussenpolitik ein Fanal. Die Nebs geht es mit den Rosen deshalb nicht nur um Versöhnung. Diese könnte sie alleine gar nicht leisten. «Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass eine Umsetzung der Initiative unter Beibehaltung der Bilateralen Verträge nicht möglich ist», sagt Nebs-Generalsekretär Lukas Schürch. Darauf habe seine Organisation schon vor der Abstimmung hingewiesen.
MEI und Bilaterale vertragen sich nicht
Tatsächlich versucht der Bundesrat gerade genau dies in Brüssel zu erreichen: Eine Umsetzung der angenommenen Initiative unter Beibehaltung der Bilateralen Verträge. Doch die EU hat bereits sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie in dieser Hinsicht zu keinerlei Konzessionen bereit ist.
Schon letzten Sommer hatte die damalige EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton in einem Schreiben an Aussenminister Didier Burkhalter erklärt, es gäbe keinen Verhandlungsspielraum. Im Dezember bekräftigten die Aussenminister der EU diese Position, ohne sie gross zu diskutieren. Letzte Woche förderte das Gespräch zwischen Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga und EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker sehr weit auseinander liegende Positionen zutage, wie Sommaruga verlauten liess.
Und Bundesrätin Doris Leuthard musste sich von EU-Energiekommissar Miguel Arias Cañete «harte Bedingungen» für eine Teilnahme der Schweiz am EU-Strom-Binnenmarkt diktieren lassen. Zuletzt sprach sich nach Bundesrat Didier Burkhalter auch Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf für eine neue Abstimmung zum Verhältnis mit der EU aus – als Ausdruck ihrer persönlichen Haltung, wie sie erklärte. Doch in der Regierung scheint sich die Einsicht durchzusetzen, dass die Bilateralen Verträge mit dem neuen Verfassungsartikel nicht zu halten sind.
Persönliche Kontakte wirken
Schürch von der Nebs geht deshalb davon aus, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Eine Umsetzung der Initiative mit den entsprechenden Folgen. Dies kann eine Kündigung der Bilateralen Verträge bedeuten. Oder eine Klärung des Verhältnisses zur EU unter Anerkennung des Nutzens, den die Schweiz aus den bestehenden Verträgen zieht.
Damit sich Grenzgänger aus den Nachbargemeinden willkommen fühlen, braucht es indes weder Verhandlungen noch täglich weisse Rosen. Aber – das hat die Aktion der Nebs gezeigt – der Umgang mit und persönliche Kontakte zu den Grenzgängern können in dieser Hinsicht etwas bewirken. Die Deutschen und Franzosen, welche über die Grenze zur Arbeit kommen, werden nicht an den Brüsseler Verhandlungstischen empfangen, sondern täglich in Basel. Zum Beispiel im Achter-Tram.