Rote Bücher, blaue Bände

In den 1970er-Jahren dachten Basler Linksaktivisten bei den Farben Rot und Blau nicht zwingend an den FCB.

(Bild: Hans-Joerg Walter)

In den 1970er-Jahren dachten Basler Linksaktivisten bei den Farben Rot und Blau nicht zwingend an den FCB.

«Keine Theorie ohne Praxis!» Dieser Leitsatz war in den 1970er-Jahren eine Parole, die bei den unterschiedlichsten Fraktionen der Neuen Linken Zustimmung fand. Die praktische Umsetzung gestaltete sich dann allerdings oft so, dass Publikationsorgane und Verlage gegründet wurden, mit deren Hilfe die richtige Theorie unter die Leute gebracht werden sollte. Ob damit tatsächlich die erhoffte Wechselwirkung zwischen Theorie und Praxis zustande kam, sei dahingestellt.

Viele jener Projekte erwiesen sich als kurzlebig. Es gab aber auch solche mit höheren Halbwertszeiten. Zu Letzteren gehörte die «Rotbuch»-Reihe, die seit 1969 zunächst im Wagenbach-Verlag und dann ab 1973 im Rotbuch-Verlag erschien. Die Bände waren mit viel Rot markant aufgemacht und versorgten alte und neue Linke über Jahre mit politischer Munition, aber auch mit literarischen Texten.

Die Reihe startete 1969 mit einem «Bericht» von Jean Meynaud «über die Abschaffung der Demokratie in Griechenland», die im April 1967 mit einem Militärputsch erfolgte. Die Autoren von Band 2 – Paul A. Baran, Erich Fried und Gaston Salvatore – befassten sich mit der «Klassenlage der Intellektuellen» und der «Organisation von Zukunft». Noch war man voller Hoffnungen und Erwartungen.

Einen besorgten Blick auf die Gegenwart warf drei Jahre später Arno Münster in Rotbuch 44 mit dem Titel «Chile – friedlicher Weg?». Münster ging in seiner Schrift unter anderem «auf die drohende Aggression von innen: die Machenschaften des Rechtsblocks» und «die Umsturzpläne von CIA und ITT» ein. Am 11. September 1973 sollten Münsters schlimmste Befürchtungen Wirklichkeit werden, als die chilenische Armee unter Augusto Pinochet die Macht ergriff und eine blutige Militärdiktatur errichtete.

(Bild: Hans-Joerg Walter)

Aus der Geschichte lernen

Die «Rotbücher» wollten nicht nur zum besseren Verständnis der Gegenwart beitragen, sondern auch Lehren aus der Vergangenheit vermitteln, so beispielsweise Bernd Rabehl mit seiner 1973 als Band 100 erschienenen Studie «Geschichte und Klassenkampf». Laut Klappentext versucht Rabehls Text, «anhand unzähliger Hinweise auf die Marxsche Theorie die Probleme der Klassenkämpfe aufzubereiten, ohne die Leser zu indoktrinieren».

Die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und der Linken blieb ein wesentlicher Teil des Verlagsprogramms. So legte man unter anderem zwei Aufsätze Kurt Mandelbaums zum Themenkomplex «Sozialdemokratie und Leninismus» (Band 110) wieder auf, Ulf Wolter setzte sich mit den «Grundlagen des Stalinismus» (Band 137) auseinander oder Manfred Scharrer mit der «Arbeiterbewegung im Obrigkeitsstaat» (Band 161).

Neue Horizonte

Trotz der verstärkten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit verloren die Herausgeber den Anschluss an die Gegenwart und den Zeitgeist keineswegs. Ein markantes Beispiel dafür ist der 1978 als Band 200 erschienene grüne Zukunftsroman «Ökotopia» von Ernest Callenbach. Damals hatten die diversen linken Gruppen den Zenit überschritten, und am Horizont zeichneten sich bereits die Grünen ab.

In den folgenden Jahren verschoben sich die Akzente weiter. Band 300 – ein Buch von Cora Stephan, das 1985 in den Verkauf kam – trug den Titel «Ganz entspannt im Supermarkt» und behandelte «Liebe und Leben im ausgehenden 20. Jahrhundert».

Die «Rotbuch»-Reihe wurde zwar noch einige Zeit fortgeführt. Die «Rotbücher» hatten aber ihren speziellen Charakter verloren. Acht Jahre später ging der Verlag an die Europäische Verlagsanstalt über und wurde zeitweise ein reiner Belletristikverlag. Seit 2007 hat er auch Sachbücher und Krimis im Programm.  

Die Blauen gibts noch

Die «Rotbücher» waren seinerzeit auch in Basler Buchhandlungen, sei es im – längst erloschenen –  «Funken» an der Klybeckstrasse, im «Narrenschiff», damals im Schmiedenhof, bei Waser am Rümelinsplatz oder bei Anne-Marie Pfister in nächster Nähe zur Uni leicht zu finden.

(Bild: Hans-Joerg Walter)

Neben den «Rotbüchern» genossen in den 1970er-Jahren auch die blauen Bände mit den Werken von Karl Marx und Friedrich Engels – kurz MEW genannt – ein erhöhtes Interesse. Dabei handelt es sich um über 40 Bücher, die von 1956 bis 1990 vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) herausgegeben wurden. In ihrer Aufmachung unterscheiden sie sich stark von den «Rotbüchern». Während Letztere mit ihrer schrillen Farbe die Aufmerksamkeit potenzieller Käufer suchen, kommen die blauen Bände mit der Gravität einer Klassiker-Ausgabe daher. Obwohl sie relativ preiswert waren, wurden sie kaum en bloc erstanden. In der Regel kaufte man sich die drei «Kapital»-Bände. Wer sich allerdings an den Auseinandersetzungen um die richtige Auslegung des Marxismus beteiligen wollte, musste schon noch den einen oder anderen Band dazukaufen.

Nach dem Zusammenbruch der DDR schien es vorübergehend, dass die Tage der MEW gezählt seien. Inzwischen sind die blauen Bände beim Karl Dietz Verlag wieder vollständig lieferbar.  

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