Russisches Störsignal in Pink

Der unabhängige Fernsehsender Doschd («Regen») ist das letzte gallische Dorf in der russischen Medienlandschaft. Zuletzt hat er über russische Soldaten auf ukrainischem Territorium berichtet. Doch er kämpft mit grossen Schwierigkeiten.

(Bild: kremlin.ru)

Der unabhängige Fernsehsender Doschd («Regen») ist das letzte gallische Dorf in der russischen Medienlandschaft. Zuletzt hat er über russische Soldaten auf ukrainischem Territorium berichtet. Doch er kämpft mit grossen Schwierigkeiten.

Regen. Damit verbindet man eher Grau in Grau, Depression und Pessimismus. Beim russischen TV-Sender «Doschd», zu deutsch «Regen», ist das etwas anders.

Grell, frech und pink gibt er sich, sein Motto: «The optimistic channel». Alle grossen Fernsehstationen sind in Russland mittlerweile in staatlichen oder staatsnahen Händen, Doschd ist das letzte gallische Dorf in der russischen Fernsehlandschaft.

Das Studio von Doschd liegt mitten im Szeneviertel Moskaus, auf dem Gelände einer ehemaligen Schokoladenfabrik am Ufer der Moskwa, wo heute bunte Graffitis die roten Backsteinwände schmücken und junge Moskauer in Röhrenhose und Hornbrille über den Asphalt schlendern.

Doschd, auch TV Rain genannt, ist die erste Adresse, wenn Kreml-Kritiker zu Wort kommen – von Michail Chodorkowski bis Pussy Riot. «Es ist aber nicht so, dass wir uns als oppositionellen TV-Sender sehen», sagt Online-Chef Ilja Klischin. Sie seien einfach nur die einzigen, die darüber berichteten.

Ein Sender, der polarisiert

Doschd ist zuletzt immer mehr unter Druck geraten. Anfang dieses Jahres stellte der Sender auf seiner Homepage eine Umfrage online: Wäre es im Zweiten Weltkrieg besser gewesen, Leningrad aufzugeben, um dadurch Menschenleben zu retten?

Während der Blockade der Stadt durch die Deutschen waren 1,1 Millionen Menschen ums Leben gekommen. Nach der Sendung tobte ein Shitstorm durch das Netz: Was dem Sender einfalle, die sowjetische Geschichtspolitik in Frage zu stellen?

«Mir kam das wie eine orchestrierte Aktion vor», sagt Online-Chef Klischin heute. «Die Sendung lief Sonntag spät am Abend, und innerhalb einer Stunde sahen wir Tweets von Parlamentsabgeordneten.»

Insidern zufolge war das Programm von Doschd schon davor seit Monaten von einer Monitoring-Gruppe der Präsidialverwaltung rund um die Uhr beobachtet worden. Kurz darauf strichen alle grossen Kabelbetreiber den Sender aus ihrem Programm, Doschd verlor dadurch praktisch seine gesamte Reichweite. Jetzt sendet Doschd nur noch über das Internet – gegen eine Gebühr von umgerechnet zehn Euro monatlich.

«Es ist kein offizielles Verbot, sondern eins durch die Hintertür»

Online-Chef Ilja Klischin

«Es ist kein offizielles Verbot, sondern eins durch die Hintertür», sagt Klischin. Kurz darauf wurde bekannt, dass der Mietvertrag nicht verlängert wird – noch in diesem Jahr muss Doschd ausziehen.

Zuletzt wurde ein Gesetz verabschiedet, das Werbung für zahlungspflichtige TV-Sender ab dem 1. Januar 2015 verbietet. Beobachter sehen das als einen weiteren Schlag gegen Doschd.

Den Sender hat das alles schwer getroffen. Seit Jahresbeginn schrumpfte die Zahl der Mitarbeiter von 300 auf rund 150. Statt zweier Ebenen wird nur noch ein Stockwerk angemietet. Im Studio selbst herrscht hektisches Treiben. Pawel Lobkow, Moderatorenlegende und eines der Aushängeschilder von Doschd, bereitet sich für seine Nachrichtensendung «Hier und Jetzt» vor.

«Wissen Sie – Russland ist wie eine Black Box», erklärt Lobkow, der vor allem für seine investigativen Berichte bekannt ist. «Unser System baut auf dem Willen einer einzigen Person auf. Und manchmal bekommt man Signale, durch die man näher daran herankommt, wie diese Black Box beschaffen ist.»

Neutrale Berichterstattung gefährdet Mitarbeiter

Doschd ist zudem der einzige russische Sender, der sich in der Ukraine-Krise um Neutralität bemüht. So hat Klischin mit Kollegen auf der Homepage eine Liste von Namen russischer Soldaten veröffentlicht, die in der Ukraine gestorben sind, verwundet oder gefangen genommen wurden. Dass russische Soldaten auf Geheiss des Kreml in der Ukraine kämpfen, hat dieser bisher stets dementiert.

Das Online-Portal Ukraine Today berichtet über die Aufklärungsarbeit von Doschd und nennt den Sender eines der «wenigen verbliebenen, unabhängigen Medien».

Die Infos schlugen hohe Wellen, schliesslich mussten die Staatsmedien reagieren: Die wichtigsten Fernsehkanäle berichteten nun von «Helden», die gegen die ukrainische Armee kämpfen – allerdings nicht auf Befehl, sondern freiwillig. «Dieses Projekt ist vielleicht das Wichtigste, was ich journalistisch bisher gemacht habe», sagt Klischin stolz.

Die Arbeit von Doschd ist für die Mitarbeiter nicht ganz ungefährlich. Vor wenigen Wochen wurde die Produzentin Ksenia Batanowa im Moskauer Stadtzentrum von Unbekannten zusammengeschlagen. Ob es einen Zusammenhang mit der Tätigkeit von Doschd gibt, steht allerdings nicht fest.

International erhält der Sender indes Anerkennung: Am 25. November wird der Chefredakteur Michail Zygar vom Committee to Protect Journalists in New York mit dem diesjährigen Preis für Pressefreiheit ausgezeichnet.

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