Eine Resolution aus dem Jahr 2010 bringt kolumbianische Bauern unter wirtschaftlichen Druck. Sie dürfen ausschliesslich zertifiziertes Saatgut verwenden, das nur von internationalen Konzernen wie Syngenta vertrieben wird.
Alirio García Serna: Wegen angeblicher Rebellion wurde der Kolumbianer vor wenigen Jahren
verhaftet. Nach drei Monaten musste er wegen fehlender Beweise wieder freigelassen werden.
(Bild: Oliver Schmieg)Der 70-jährige Landwirt ist zweiter Vorsitzender der Gewerkschaft «Nationale Vereinigung kolumbianischer Bauern».
(Bild: Oliver Schmieg)Kolumbianische Bauern müssen nicht nur das Saatgut von Syngenta verwenden, sondern auch die Pestizid-Produkte des Schweizer Herstellers.
(Bild: Oliver Schmieg)Tausende Bauern geraten wegen der hohen Preise der Syngenta-Produkte ins finanzielle Aus.
(Bild: Oliver Schmieg)Alirio García Serna wählt seine Worte mit Bedacht. Der 70-jährige Landwirt ist zweiter Vorsitzender der Gewerkschaft Nationale Vereinigung kolumbianischer Bauern und hat sich wegen seines Engagements in den vergangenen Jahren immer wieder zur Zielscheibe von Anfeindungen gemacht.
Seit vor vier Jahren in Kolumbien die Resolution 970 in Kraft getreten ist, sieht der Gewerkschaftsvertreter die Rechte von rund 3,5 Millionen Bauernfamilien massiv verletzt. «Früher konnten wir Saatgut ohne Einschränkungen kaufen und auch verwenden», sagt García Serna.
Seit jedoch die Freihandelsabkommen mit der USA und der Europäischen Union unterzeichnet worden seien, sei dies nicht nur gesetzlich untersagt, die Bauern würden bei Zuwiderhandlung auch strafrechtlich verfolgt. «Sofern wir nicht kriminalisiert werden möchten, sind wir deshalb gezwungen, zertifiziertes Saatgut zu beziehen, welches nur von Herstellern wie Syngenta, Monsanto oder DuPont angeboten wird.»
Auf Druck der USA
Zwar hatte Kolumbien in den 1980er-Jahren die Sortenschutzkonvention des internationalen Verbandes zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (Upov) unterzeichnet, die US-Regierung machte aber dennoch zur Bedingung, dass ein aktualisierender Artikel aus dem Jahr 1991 zum Bestandteil des Freihandelsabkommens beider Länder gemacht wurde.
Und genau dieser Schriftsatz birgt für die kolumbianischen Bauern einige Brisanz, gesteht er doch den internationalen Saatgutkonzernen das Recht auf Nachgebühren zu, sofern von der Ernte Samen für die kommende Saison abgezweigt werden. Mit anderen Worten: Für jede Aussaat muss das entsprechende Saatgut individuell erworben werden, da andernfalls die Urheberrechte des Herstellers verletzt werden.
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Der Unmut des Gewerkschaftsvertreters Alirio García Serna ist verständlich: Während in Kolumbien ein Kilogramm lokaler Maissamen umgerechnet nur rund einen halben Schweizer Franken kostet, berechnet Syngenta für die gleiche Menge das Sechsfache. Hinzu kommt ausserdem, dass gentechnisch manipuliertes Saatgut in der Regel weniger resistent gegen tropische Schädlinge ist als dies lokale Pflanzen sind. Zu den hohen Anschaffungskosten muss deshalb noch der Kauf ebenso teurer Pestizide hinzugerechnet werden, die nur von Syngenta, Monsanto oder DuPont vertrieben werden.
Mittelstand der Bauern bankrott
Für die meisten kolumbianischen Landwirte bedeutet der wirtschaftliche Mehraufwand daher auf lange Sicht das finanzielle Aus. «Firmen wie Syngenta sind für den wirtschaftlichen Ruin unserer Landwirte verantwortlich», bestätigt deshalb Alirio García Serna. «Bereits heute sind mindestens 85 Prozent unserer mittelständischen Landwirte bankrott», fügt er hinzu. Von den bestehenden Freihandelsabkommen fühlen sich die kolumbianischen Bauern zwischenzeitlich betrogen. «Neben ausländischen Agrar-Produzenten, die ihre Produkte subventioniert und deswegen günstiger herstellen können, sind es vor allen Dingen internationale Saatgut-Konzerne, die von den Freihandelsabkommen profitieren», sagt der Kolumbianer.
Das Argument der Syngenta-Geschäftsleitung, mittels gentechnisch veränderten Saatguts den Welthunger zu bekämpfen, möchten zahlreiche Experten zischenzeitlich nicht mehr akzeptieren. In ihrem aktuellsten Report prognostiziert die UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz Unctad, dass bereits heute genügend Lebensmittel hergestellt werden, um bis zu 14 Milliarden Menschen zu ernähren – immerhin fast die doppelte Anzahl der aktuellen Weltbevölkerung.
«Samen sind das kollektive Erbe unserer Völker und müssen deshalb von jeglicher Regelung zum Schutz geistigen Eigentums ausgeschlossen werden.»
German Velez, Geschäftsführer der in Bogotá ansässigen NGO «Saatgut Gruppe», bestätigt den Unctad-Bericht. «Zumindest in Kolumbien leidet die Bevölkerung keineswegs Hunger wegen fehlender Lebensmittel – sondern für viele Menschen sind landwirtschaftliche Produkte heutzutage ganz einfach zu teuer und können deshalb aufgrund der durchschnittlich eher niedrigen Einkommen nicht erworben werden», erklärt Velez.
Der Agraringenieur sieht das Übel im Saatgut-Monopol, das Firmen wie Syngenta in dem südamerikanischen Land zwischenzeitlich innehaben. «Samen sind das kollektive Erbe unserer Völker und müssen deshalb von jeglicher Regelung zum Schutz geistigen Eigentums ausgeschlossen werden», glaubt er.
Verfassungsgericht sieht Bauern im Recht
Mit seiner NGO hat der Agronom deshalb Klage beim kolumbianischen Verfassungsgericht eingereicht. Vor knapp einem halben Jahr konnte er zumindest einen Teilsieg erringen. «Die Richter haben entschieden, dass der umstrittene Upov-Artikel von 1991 nicht hätte in das Freihandelsabkommen mit der USA aufgenommen werden dürfen – dazu wäre laut unserer Verfassung vorab eine Volksbefragung unserer indigenen und afrokolumbianischen Bevölkerung notwendig gewesen», erklärt er.
Das Urheberrecht, so die kolumbianischen Verfassungsrichter, müsse ausserdem überarbeitet werden. «Bislang konnten Firmen wie Syngenta jeden Landwirt rechtlich belangen, dessen Saatgut auch nur Ähnlichkeiten zu jenem der Hersteller aufwies – das wurde nun untersagt», freut sich German Velez.
Acht Jahre Haft für die falsche Samensorte
In der Vergangenheit konnten die Bauern des südamerikanischen Landes tatsächlich strafrechtlich mit bis zu acht Jahren Haft belangt werden, wenn sie verwechselbare Samen verwendet hatten. Eine Haftstrafe gleicher Dauer erhalten in Kolumbien beispielsweise nur Drogenhändler, die 20 oder 30 Kilogramm Kokain vertreiben oder herstellen.
Ein gängiges Mittel, um unliebsame Gewerkschafts- oder Menschenrechtsvertreter zum Schweigen zu bringen, musste Alirio García Serna vor wenigen Jahren selbst erfahren. Nachdem er für die Rechte der Bauern öffentlich protestiert hatte, wurde er wegen angeblicher Rebellion verhaftet. Nach drei Monaten, die er ohne Anklage im Gefängnis von Pereira verbracht hatte, wurde er kommentarlos wieder freigelassen.
Dass seine juristischen Probleme in irgendeinem Zusammenhang mit den Interessen eines der internationalen Saatgut-Konzerne stehen könnten, wie die Bauern mutmassen, bleibt ebenso eine unbewiesene Vermutung wie der Verdacht, der gewaltsame Tod seines Sohnes Pablo, der vergangenen Juli nur wenige Kilometer von der Finca seines Vaters entfernt erschossen aufgefunden wurde, sei auf dessen gewerkschaftliche Tätigkeiten zurückzuführen. Von den Tätern, so die Ermittlungsbehörden, fehlt bis heute jede Spur.
Eine Dokumentation über die konkreten Folgen der Resolution 970 gibt es hier: