Sama träumt von der Freiheit der Frau

Der Kampf der kurdischen Frauen in Rojava für mehr Rechte dient als Vorbild. Auch für Sama, die selbst Gefängnis und Todesstrafe riskiert, um einmal auf dem «Platz der Freiheit der Frau» zu stehen.

(Bild: Lou Zucker)

Der Kampf der kurdischen Frauen in Rojava für mehr Rechte dient als Vorbild. Auch für Sama, die selbst Gefängnis und Todesstrafe riskiert, um einmal auf dem «Platz der Freiheit der Frau» zu stehen.

Sama hat sich eine lange, dunkelbraune Perücke über ihre kinnlangen Locken gestülpt. Angespannt nestelt sie daran herum. Ihre Freundin Rozhîn kommt mit blonder Perücke und Sonnenbrille in den Flur der Frauenaktivistin, bei der die beiden übernachtet haben, und fragt: «Na, wie seh ich aus?»

Sama reagiert nicht, sie ist nicht zu Scherzen aufgelegt. Bevor sie abgeholt werden, verstauen die beiden die Perücken doch wieder in ihren Reisetaschen und Samas Gesichtsausdruck entspannt sich. Ihr Verlobter hat ihr per Whatsapp Mut gemacht: «In Rojava wird schon niemand von der iranischen Regierung unterwegs sein.»

Es ist der 8. März, Internationaler Frauentag. Sama (29) und Rozhîn (34) haben eine weite Reise hinter sich, um zu sehen, wie dieser Tag hier gefeiert wird. In den Wirren des syrischen Bürgerkrieges kam es 2011 in Rojava zu einer Revolution. Trotz andauernder Kämpfe gegen den IS wird hier seitdem eine Form von autonomer Rätedemokratie aufgebaut. Bei ihren Skypekonferenzen mit anderen Feministinnen hat Sama schon viel gehört von der zentralen Rolle, die Frauen in diesem neu entstehenden politischen System und in der Gesellschaft Rojavas spielen. Deshalb sind die Freundinnen hier.




Amude, der Frauentag – es zeigt Sama und Rozhîn, es gibt Hoffnung. (Bild: Lou Zucker)

Es klingt alles so hoffnungsvoll, ganz anders als bei ihr zuhause im kurdischen Teil des Iran. Dort wird kein Frauentag gefeiert. Bei ihnen zuhause müssen Rozhîn und Sama höllisch aufpassen, damit nicht herauskommt, dass sie gerade – verbotenerweise – die «Feministische Partei Kurdistan» mitbegründet haben. Daheim wartet Gefängnis, vielleicht sogar die Todesstrafe auf sie, wenn ihre Reise nach Rojava auffliegt. Kein Wunder wollen beide Frauen weder ihren richtigen Namen nennen noch ihr Gesicht zeigen.

Die Entscheidung, trotz aller Gefahren hierher zu kommen, war keine leichte. Einmal wäre Sama fast wieder umgekehrt: Eine Nacht und einen halben Tag wurden sie an der Grenze zwischen Irak und Syrien aufgehalten.

Sie erinnert sich, wie sie zerknautscht nach einer Nacht auf dem Wohnzimmerfussboden solidarischer Anwohnerinnen wieder an die Grenze kam: Vor ihr glitzert der Tigris in der Sonne, dahinter, zum Greifen nah, Rojava. Doch der Beamte bequemt sich nicht, sie durchzulassen. Die Willkür und die Ungewissheit zermürben sie beinahe, Zweifel kommen auf: Lohnt es sich wirklich, hierfür mein Leben aufs Spiel zu setzen? Mit den Nerven am Ende, sagt sie: «Ich warte noch eine halbe Stunde, dann fahre ich zurück!» 20 Minuten später winken sie die Grenzbeamten plötzlich durch.

Einen Tag später kommt Sama auf einem brechend vollen Platz in der Kleinstadt Amude an. In ihr steigt eine Ahnung auf, dass sich die Reise gelohnt haben könnte. Die ganze Stadt scheint unterwegs, um den Internationalen Frauentag zu feiern. Die Anspannung ist verflogen: Sama steht von dem ihr zugewiesenen Ehrenplatz vor der Bühne auf und reiht sich in die Kette tanzender Frauen in festlichen Kleidern ein. Der Platz, auf dem gefeiert wird, trägt seit heute den Namen «Platz der Freiheit der Frau» und in seiner Mitte hat die Stadtverwaltung eine riesige Statue bauen lassen: die Mutter einer gefallenen Kämpferin.

Die dreifache Schuld einer Unschuldigen

Sama ist begeistert vom Selbstbewusstsein und vom freiheitlichen Lebensstil der Frauen in Rojava, aber auch von der respektvollen Art der Männer. Im Iran sei die Situation eine ganz andere, vor allem für kurdische Frauen. Ihr Vater prägte ihr und ihren vier Schwestern von klein auf ein: «Seid vorsichtig in der Schule, redet nicht über Politik. Auf euch liegt so schon eine dreifache Schuld: ihr seid sunnitisch, ihr seid kurdisch und ihr seid Frauen.» Je mehr sie sich politisch engagierte, desto mehr bekam sie zu spüren, was er meinte: «Egal was du tust, du bist immer besonders schuldig, wenn du aufgrund deiner Geburt eh schon dreifach schuldig bist», sagt sie.

Einmal schrieb sie in Teheran für ihre Unizeitung einen Artikel über weibliche Genitalbeschneidung und erregte damit riesige Aufmerksamkeit. «Ich war total überrascht, niemand hatte eine Ahnung, dass diese Praxis bei uns so verbreitet ist», erzählt sie. Sama wollte über das Thema ihre Bachelorarbeit schreiben, bekam aber keine Erlaubnis dafür. Sie wollte in Teheran ihren Master in Women’s Studies machen, hatte sogar schon einen Platz, doch auch das wurde ihr nicht gewährt. Es sei eine übliche Praxis im Iran, Leuten aufgrund ihrer politischen Aktivitäten das Recht aufs Studium zu entziehen, erklärt sie bitter.

Weibliche Genitalbeschneidung sei nicht das einzige Problem von kurdischen Frauen im Iran. Obwohl sich die Situation schon verbessert habe, komme es immer noch zu sogenannten Ehrenmorden. Auch die ökonomische Situation kurdischer Frauen sei katastrophal. Die kurdischen Gebiete würden von der Regierung komplett vernachlässigt, was natürlich die gesamte kurdische Gesellschaft treffe – Frauen aber besonders, meint Sama, weil sie wirtschaftlich sowieso schon schlechter gestellt seien als Männer.

Decknamen wie im Spionage-Thriller

Viele Frauen leben in Abhängigkeit von ihren Vätern oder Ehemännern und stehen dadurch noch mehr unter Druck. «Jede Woche zünden sich bei uns drei oder vier Frauen selber an», erzählt Sama. So auch eine junge Verwandte von ihr. Ihre Stimme wird leiser, ihre haselnussfarbenen Augen gross, als sie sich an den Besuch im Krankenhaus erinnert: «Sie hatte grosse Angst, sagte immerzu: ‹Ich will nicht sterben.› Sie war einfach verzweifelt, hat kein anderes Mittel gesehen, sich in ihrer Familie Gehör zu verschaffen.» Nach einer Woche starb sie.

Auch Sama wohnt bei ihrer Familie. Nach verschiedenen administrativen Jobs in Teheran, die sie inhaltlich wenig interessierten, ist sie wieder zu ihren Eltern gezogen, um sich ganz ihren politischen Aktivitäten zu widmen – von denen ihre Eltern allerdings nichts wissen. Und auch nichts wissen sollen.

«Selbst wenn ich zurückgehe und ins Gefängnis komme, bereue ich diese Reise nicht.»

Viele der Gründungsmitglieder ihrer Partei leben in Europa oder den USA und wollen von dort über internationale Organisationen Druck auf die iranische Regierung ausüben. Für die wöchentlichen Skypekonferenzen sucht Sama verschiedene Internetcafés auf, benutzt Decknamen und falsche E-Mail-Adressen. Eines der Ziele ihrer Partei ist es, dass sich bestimmte Gesetze ändern: beispielsweise die Straffreiheit bei Ehrenmorden, das Mindestheiratsalter für Frauen von neun Jahren oder die Todesstrafe für Homosexualität.

Sama und Rozhîn selbst wollen in Iranisch-Kurdistan mit konkreten Hilfestellungen für benachteiligte Frauen wie Alphabetisierung und psychologischem Beistand beginnen. Vor allem geht es Sama um Empowerment. «Wir müssen zuerst an uns selber glauben und dies den anderen Frauen vermitteln», sagt die 29-Jährige. «Die Frauen in Rojava sind so stark, so selbstsicher!» Das hat sie am meisten beeindruckt. «Selbst wenn ich zurückgehe und ins Gefängnis komme, bereue ich diese Reise nicht!»

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Mehr zum Thema gewünscht? Wir empfehlen die Reportage vom Kampf der kurdischen Frauen an zwei Fronten – gegen die IS und für mehr Freiheit. Interessant in diesem Zusammenhang auch der Besuch von Udo Theiss in Kobane: Befreit und doch umzingelt.

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