Der Verein Anlaufstelle für Sans-Papiers Basel hat heute ein neues Modell vorgestellt, wie die Situation der Sans-Papiers-Frauen verbessert werden soll, die zumeist als Hausangestellte arbeiten. Das «Basler Modell» umfasst drei zentrale Forderungen und ist Teil einer nationalen Kampagne. Ihr Hauptargument: der Markt.
Der Verein Anlaufstelle für Sans-Papiers Basel hat am Mittwochmorgen ein Lösungsmodell für Sans-Papiers präsentiert. Das «Basler Modell» umfasst drei Forderungen, die ein «Schritt zur Verbesserung der Rechte von Sans-Papiers» sein sollen. Das Hauptargument des Vereins: Die Sans-Papiers arbeiten sowieso, und sie verrichten eine wertvolle Arbeit für die Gesellschaft. Die logische Schlussfolgerung wäre nun, dass sie das legal tun können. Oder in den Worten der Initianten: «Wir fordern mit der Aktion die Politik und Gesellschaft auf, die Erwerbsarbeit in Haushalten von hunderten von Migratinnen ohne geregelten Aufenthalt endlich aus dem Graubereich herauszuholen.»
Und der Verein hat eindeutiges Zahlenmaterial gesammelt, um seine Forderungen darzustellen: Rund 350’000 bis 400’000 Haushalte in der Schweiz beschäftigen eine Person, die beim Reinigen, der Kinderbetreuung oder anderen Arbeiten im Haushalt hilft. «Es ist eine boomende Branche, über die jedoch nicht gesprochen wird», sagt Pierre-Alain Niklaus, Autor und Mitglied beim Verein. Er hat sich für sein Buch «Nicht gerufen und doch gefragt. Sans-Papiers in Schweizer Haushalten» intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Über die boomende Branche werde nicht gesprochen, weil man die Arbeitsplätze nicht sehe. Einem Mehr- oder Einfamilienhaus merkt man von aussen nicht an, ob darin eine Haushaltshilfe angestellt ist oder nicht.
Ein Job, den niemand machen will
Dass die Nachfrage nach Hausangestellten gross ist, dafür gibt es aus der Sicht des Vereins keinen Zweifel: In den vergangenen 20 Jahren ist der Teil der erwärbstätigen Mütter von 60 auf 78 Prozent gestiegen, die Zahl der Väter ohne oder mit geringer Erwerbstätigkeit ist hingegen nur wenig gestiegen. Tatsächlich belegt dies auch eine neue Studie des Bundesamtes für Statistik, die wie bestellt am Tag des Kampagnenstartes veröffentlich wurde. Für Niklaus ist das der Grund für die hohe Nachfrage nach Hausangestellten. Weil die Tätigkeit allerdings schlecht entlöhnt wird, sind Arbeitskräfte allerdings rar. «Kaum jemand übt deshalb diese Arbeit über längere Zeit freiwillig aus. Wer kann, sucht sich eine andere Arbeit», sagt Niklaus. Dies betreffe sowohl Schweizerinnen wie auch die meisten Zuwanderinnen aus der Europäischen Union. «Es erstaunt daher nicht, dass der Anteil an Migrantinnen und Migranten aus nichteuropäischen Staaten in diesem Bereich hoch ist.»
Gerade Menschen aus Drittstaaten seien allerdings durch die Regeln des Ausländergesetzes eingeschränkt, viele haben dadurch keinen geregelten Aufenthalt. «Sie sind Sans-Papiers», sagt Niklaus. Wie viele Sans-Papiers tatsächlich in Basel angestellt sind, lässt sich nur schätzen. In Genf – das eine liberalere Sans-Papiers-Politik hat – sind über die Hälfte der Hausangestellten ohne Papiere. Hans-Georg Heimann von der Gewerkschaft Union schätzt diesen Anteil in Basel auf zwischen 20 und 50 Prozent. Weil mit dem Sans-Papiers-Status nicht nur schlechtere Arbeitsbedingungen verbunden sind, sondern für die Menschen, «die teilweise schon 15 Jahre im Graubereich arbeiten» (Heimann), keine Altersvorsorge besteht, fordert der Verein Anlaufstelle für Sans-Papiers nun ein Umdenken. Der Kanton Basel-Stadt solle bezüglich Liberalisierung der Sans-Papier-Politik eine Pionierrolle einnehmen.
1. Pro Jahr sind eine bedarfsgerechte Anzahl von Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen an in Basel arbeitende Sans-Papiers aus Nicht-EU-Staaten zu vergeben.
Konkret schlägt der Verein eine Kopplung der Bewilligungen an jene für Hochqualifizierte (sogenannte Expats) vor. Beispielsweise könnten pro 100 Gesuche für Hochqualifizierte aus Drittstaaten auch 20 bis 30 für Hausarbeiterinnen gestellt werden.
2. Der Zugang zu den Sozialversicherungen steht allen erwerbstätigen Sans-Papiers offen. Eine allfällige Meldepflicht an die Ausländerbehörde, die einen solchen Zugang blockiert, wird in Basel nicht angewendet. Ein Chèque service nach Genfer Art könnte dies garantieren.
Die Idee ist eine Agentur, die für die Sans-Papiers AHV-Ausweise beantragt und damit eine Altervorsorge ermöglicht. Die Vorteile sieht der Verein für die Arbeitgeber, namentlich die privaten Haushalte, die ohne Papierkram für korrekte Arbeitsverhältnisse sorgen können. Die Sozialversicherungen erhalten Beiträge, die ihnen bisher entgehen und die Arbeitnehmer haben einen Ansprechspartner.
3. Basel erteilt jugendlichen Sans-Papiers grosszügig Bewilligungen zur Ermöglichung einer beruflichen Grundausbildung. Die Lehrstellenverordnung wird in Basel in liberaler Praxis umgesetzt.
Der Bund hat diese Praxis für Berufslehren von Sans-Papiers per 1. Februar 2013 ermöglicht. Allerdings nur unter gewissen Bedingungen, gerade diese sind allerdings problematisch aus Sicht des Vereins: Beispielsweise gestalte sich schon die Lehrstellensuche schwierig, wenn man nicht die Zusage für eine Bewilligung habe. Die Frage bleibe dann auch, ob der Lehrbetrieb darauf warten möchte bis eine vorliegt, oder sich dann eher für jemand anders entscheidet.
«Es ist Zeit, dass über Hausarbeit gesprochen wird – und vor allem auch über die, die sie immer häufiger verrichten.»
Menschenrechtsaktivistin und Mitglied des Vereins Anlaufstelle für Sans-Papiers Anni Lanz strich die Bedeutung der Hausarbeit, und die damit verbundene der Sans-Papiers heraus: «Allein schon für die unbezahlte Hausarbeit wie kochen, putzen, waschen und ähnliches werden in der Schweiz mehr Arbeitsstunden geleistet als im gesamten bezahlten Dienstleistungssektor.» Sie stützt sich dabei auf die Ökonomin Mascha Madörin. «Es ist Zeit, dass über Hausarbeit gesprochen wird – und vor allem auch über die, die sie immer häufiger verrichten», sagt Lanz.
Der Verein setzt nun erstmal auf prominente Unterstützer wie Künstler, Professoren und Autoren, um die Debatte über das Thema zu lancieren. Kontakte in die Politik gab es auch schon, sie wollen aber nicht eine einseitige Unterstützung, sondern hoffen auf eine Koalition von links bis rechts – «sowie bei der Lehrstellenfrage für Sans-Papiers, die dank bürgerlichen Politikern möglich war, die keine Angst hatten sich an einem heissen Thema die Finger zu verbrennen, etwa Peter Malama, Urs Schwaller oder auch Felix Gutzweiler.»