Mit dem amerikanischen Gesetz, das 9/11-Geschädigten erlaubt, Saudi-Arabien zu verklagen, werden die Beziehungen zwischen Washington und Riad auf eine harte Zerreissprobe gestellt. In Riad und am Golf fallen die Reaktionen heftig aus.
Keine Nachrichtensendung, keine Zeitung in den arabischen Ländern, die sich in diesen Tagen nicht intensiv mit «Jasta» beschäftigt. Jasta steht für «Justice Against Sponsors of Terrorism Act» und meint das Gesetz, das es Opfern der 9/11-Anschläge in den USA möglich macht, Saudi-Arabien zu verklagen. Deshalb auch «9/11-Gesetz» genannt.
Monatelange Lobby-Arbeit von Politikern verschiedenster Länder des Nahen Ostens in Washington hatte keinen Erfolg. Das Parlament überstimmte letzte Woche Präsident Obamas Veto. Damit wird das Jasta-Gesetz wirksam. 19 der 22 Attentäter von 2001 waren Saudis.
Getrübtes Investitionsklima
In einer ersten offiziellen Stellungnahme hat das Parlament am Montag in Riad erklärt: Wenn die staatliche Immunität geschwächt würde, träfe das alle Länder, die USA eingeschlossen. Und das würde fundamentale Prinzipien verletzen, die Gerichtsverfahren gegen Länder verhindern, die über Hunderte Jahre internationale Beziehungen gepflegt haben.
Der saudische Aussenminister Adel al-Jubeir hatte bereits im Juni gewarnt, die USA hätten am meisten zu verlieren. Im Raum stand die Drohung, Riad könnte Milliarden Dollar aus der amerikanischen Wirtschaft abziehen. Jubeir präzisierte, Saudi-Arabien habe nur davor gewarnt, dass das Vertrauen der Investoren sinken könnte.
Wirtschaftliche Konsequenzen sind nur eine von vielen möglichen Strafmassnahmen.
Saudische Investoren halten über 500 Milliarden Dollar an amerikanischem Vermögen, darunter fast hundert Milliarden Staatspapiere. Die Nachfrage nach Dollars ist in Riad nach der Überstimmung des Vetos sofort gesunken.
Wirtschaftliche Konsequenzen sind nur eine von vielen möglichen Strafmassnahmen. Vorstellbar wären unter vielen weiteren Möglichkeiten die Reduktion offizieller Kontakte, weniger Anti-Terror-Zusammenarbeit oder Restriktionen für die regionalen US-Militärstützpunkte.
Einig sind sich alle Analysten, dass die langjährige Allianz zwischen den USA und Saudi-Arabien, die nach dem Iran-Atom-Abkommen in den vergangenen Monaten schon eingetrübt war, weiteren Schaden nehmen wird. «Iran wird belohnt, Saudi-Arabien bestraft», lautete der Titel eines Kommentars.
Angst vor öffentlichen Verfahren
Retorsionsmassnahmen könnten vor allem auch auf juristischem Gebiet erfolgen, wie etwa die Illustration eines Artikels mit Folterbildern aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib veranschaulichte. Im Irak bereiten Rechtsexperten Klagen gegen die USA für «Terrorakte» in ihrem Land vor.
Ein bekannter saudischer Anwalt hat über die Medien die eigene Regierung bereits aufgefordert, ein gleiches Gesetz zu verabschieden. Ähnliche Schritte wären in Afghanistan, Libyen, Syrien und im Jemen vorstellbar, wo amerikanische Soldaten oder Drohnen im Einsatz sind.
Diese möglichen Verfahren würden viel darüber aussagen, wie Saudi-Arabien in den USA gesehen wird – und davor fürchtet sich Riad mehr als vor den Urteilen.
Das Jasta-Gesetz werde einen Feuersturm eines juristischen Krieges entfachen und die politischen Beziehungen unterminieren, in einer Zeit da der Anti-Terror-Kampf robuste Beziehungen verlange, hält der Strategieexperte Theodore Karasik fest. Prozesse in den USA gegen Saudi-Arabien könnten zu einem öffentlichen Gericht über Islam, Salafismus, Wahabismus und die Geschichte der Region werden. Diese Verfahren würden viel darüber aussagen, wie Saudi-Arabien in den USA gesehen wird – und davor fürchtet sich Riad mehr als vor den Urteilen.
Hinter den Kulissen ist das saudische Königshaus dabei, die Bande mit den regionalen Golfverbündeten noch enger zu knüpfen und Solidarität einzufordern. Unterstützung kam bereits aus Ankara, wo Präsident Erdogan das Gesetz «unglücklich» nannte, weil es gegen das Prinzip der individuellen Verantwortung verstosse.
Dominanz in der Region verstärkt
Kairo erklärte, man verfolge die Konsequenzen des Gesetzes genau, und der Sprecher des Aussenministeriums betonte, es müsse verhindert werden, dass lokale Gesetze andern Staaten aufgedrängt werden. Mit Mohammed Atta war auch ein Ägypter unter den Attentätern und es ist unklar, ob auch Ägypten unter dem neuen Gesetz angeklagt werden könnte.
In den ägyptischen Medien gab es bereits flammende Aufrufe nicht still zu sein, wenn von den USA fabrizierte Vorwürfe wegen Terrorunterstützung erhoben würden. Es gelte nun Dokumente zu sammeln, um westliche Führer zu verfolgen, die in arabischen Ländern Kriege mit Millionen Toten geführt hätten.
Seit in Riad der neue König Salman im Frühjahr 2015 das Zepter übernommen hat, verfolgt das Königreich in der Region zusammen mit den Golfverbündeten in Ländern wie Jemen, Bahrain und Ägypten eine zunehmend eigenständige Politik. Dieser Trend könnte sich jetzt noch verstärken, sind sich lokale Analysten einig.