Saufen bis zum Umfallen und dann bezahlen

Das Komatrinken von Jugendlichen löst eine hitzige Diskussion aus.

«Unverantwortliche» sollen die Spitalkosten künftig selbst bezahlen. Nun stellt sich die Frage, wer wofür wie viel Verantwortung trägt. (Bild: Nils Fisch)

Das Komatrinken von Jugendlichen löst eine hitzige Diskussion aus. Fachleute fragen sich: Wie schwerwiegend ist das Problem tatsächlich?

SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi will Komatrinker künftig zur Verantwortung ziehen (siehe Wochendebatte). Er und seine Kollegen von der Gesundheitskommission halten es für ­«untragbar», dass die Solidargemeinschaft der Prämienzahler das «vermeidbare Fehlverhalten Einzelner» finanzieren soll.

Die Ärztevereinigung FMH, verschiedene Fachstellen für Sucht­betroffene und die Eidgenössische Kommission für Alkoholfragen ­äusserten bereits scharfe Kritik an der neuen Vorlage.

Auch ethische Fragen werden aufgeworfen. Die Mediensprecherin von «Sucht Schweiz», Monique Portner-Helfer, hält die Schuldzuweisung im Gesundheitswesen für ein Grundsatzproblem. Würde die Schuldfrage erst einmal gestellt, könnte künftig auch anderen Patientengruppen das Recht auf medizinische Behandlung abgesprochen werden. Die Gegner der neuen Vorlage befürchten eine erste Abkehr vom Solidaritätsprinzip hin zur Eigenverantwortung.

Jugendliche trinken weniger

Von der neuen Regelung wären vorwiegend Jugendliche betroffen. 90 Prozent der Gesundheitskosten wegen Alkohol werden zwar von über 23-Jährigen verursacht, doch mit akuten Alkoholvergiftungen werden vor allem Jugendliche eingeliefert. Wie die jüngste Studie von «Sucht Schweiz» zeigt, sind die Spitaleinweisungen wegen einer Alkoholvergiftung in der Altersgruppe der 10- bis 23-Jährigen von 2003 bis 2010 um 73 Prozent gestiegen.

Trotzdem findet der Beauftragte für Drogenfragen, Joos Tarnutzer, dass das Alkoholproblem zu Unrecht auf Jugendliche reduziert werde. «Natürlich ist Alkoholmissbrauch von ­Jugendlichen tragisch», sagt er, «wenn man sich die Zahlen anschaut, hat das wirklich grosse Problem aber eine andere Generation – die über 40-Jährigen.»

Ältere leiden seltener an akuten Vergiftungen, sondern eher an den körperlichen Folgeschäden langjährigen Alkoholmissbrauchs. Die Gesundheitskosten, die von sogenannten Komatrinkern verursacht werden, sind laut Tarnutzer verschwindend gering im Vergleich zu den Kosten, welche in die Behandlung von Folgeschäden fliessen. Die 100 Personen unter 18, die in Baselland und BaselStadt jährlich eingeliefert werden, kosten «bedeutend weniger als 200 000 Franken».

Obwohl der Alkoholkonsum von Jugendlichen also nur einen geringfügigen Teil des Alkoholpro­blems ausmache, werden laut Tarnutzer vor allem die «trinkenden Jugendlichen» von der Öffentlichkeit als akutes ­Problem wahrgenommen. Dies liege ­unter anderem daran, dass sie «oft wenig Geld» hätten und daher eher «im ­öffentlichen Raum und nicht in Bars trinken» – meistens «schon am späten Nachmittag oder am frühen Abend», sagt er, verbunden mit «Lärm und Dreck». Dagegen würden die ­älteren Trinkerinnen und Trinker schlichtweg weniger auffallen.

Alkohol für 150 Millionen

Auch wenn das Problem der jugend­lichen Komatrinker kleiner ist, als von den meisten angenommen, sei es ernst zu nehmen. Laut Joos Tarnutzer ist das Einstiegsalter bei Alkohol und anderen Drogen in den letzten Jahren ­gesunken. Heute konsumieren oft schon 14-Jährige Alkohol. Fachkreise gehen davon aus, dass die Alkohol­industrie in der Schweiz 150 Millionen Franken an Jugendlichen unter 16 Jahren verdient.

Der Alkoholmissbrauch kann sich verheerend auf die Zukunft von jungen Menschen auswirken. «Da bei Jugendlichen alles noch in Entwicklung ist, legen sie bei regelmässigem Alkoholkonsum eine Art Sucht­gedächtnis an – und das haben sie dann das ganze Leben lang.»

In Baselland und Basel-Stadt wurde kürzlich ein neues Standardverfahren bei Alkoholvergiftungen eingeführt. Neu wird bei ­Jugendlichen in jedem Fall eine medizinische Nachkontrolle mit Einbezug der Erziehungsberechtigten eingeleitet. Dabei gehe es darum, den ganzen Vorfall noch einmal aufzuarbeiten und gefährdete Jugendliche an Fachstellen weiterzuvermitteln. Das sei voraussichtlich nur bei 25 Prozent nötig. «Viele betrinken sich ungewollt in diesem Ausmass. Sie kennen den eigenen Körper und die Substanz Alkohol einfach noch zu wenig», sagt Tarnutzer.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 01.11.13

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