Schlechter Ruf, noch schlechtere Bedingungen

Hohe Preise, schlechter ­Service, ausbeuterische Arbeits­bedingungen: Das Basler Taxigewerbe hat ­Reformen dringend ­nötig.

Europaweit gehen – wie hier in Zürich – derzeit die Taxifahrer auf die Strasse. (Bild: Keystone/STEFFEN SCHMIDT)

Basler Taxis haben einen schlechten Ruf und sind erst noch teuer. Doch bei den Taxifahrern bleibt nur ein kleiner Teil des Geldes hängen. Viele können kaum von ihrem Lohn leben. Jetzt soll ein neues Taxigesetz Besserung bringen.

Über Taxis hat sich jeder schon mal geärgert. Mal findet man keins, oder wenn man eins gefunden hat, wird man zum vordersten in der Reihe geschickt. Dessen Fahrer weigert sich aber, die kurze Strecke vom Bahnhof ins Gundeli zu fahren. Und wenn man dann doch transportiert wird, kostet es ein Heidengeld. So sehen es die Kundinnen und Kunden.

Markus Kümin sieht es anders. Seit 30 Jahren fährt er Taxi, kennt die Basler Strassen wie kaum ein Zweiter. Jetzt steht er beim St.-Johanns-Tor ­neben seinem Mercedes und wartet rauchend auf den nächsten Auftrag. Es ist kurz vor Mittag, Kümin ist seit 8.30 Uhr unterwegs und hat bisher 43 Franken verdient. Knapp 14 Franken die Stunde. «Das ist sogar leicht über dem Schnitt», erklärt Kümin. Er trinkt einen Schluck Kaffee und bläst Rauch in den Winterhimmel. Über Funk meldet sich der Disponent: Unispital, 4. Stock, Dialyse­abteilung. Frau Hollinger abholen. Kümin setzt sich hinters Steuer, gibt Gas und grinst. «Jetzt siehst du, was wir für 25 Franken alles machen müssen.»

Gewerbe unter Druck

Das Taxigewerbe ist in Nöten, nicht nur in Basel. In halb Europa gehen Taxi­fahrer auf die Strasse. Sie protestieren gegen die vielerorts zunehmende­ Liberalisierung des Gewerbes, gegen zu tiefe Löhne und für bessere Anstellungsbedingungen. Mit der Wirtschaftskrise hat sich die ohnehin angespannte Situation weiter zugespitzt. Dazu kommt der kontinuierliche Ausbau des öffentlichen Verkehrs. In Basel berichten die Fahrer von einem Auftragsrückgang von rund 25 Prozent über die letzten Jahre.

Mit den Aufträgen schwindet auch der ehemals gute Ruf des Taxigewerbes. In letzter Zeit lehnten Taxifahrer wiederholt ab, kurze Fahrten anzunehmen und sorgten damit für negative Schlagzeilen. Im Basler Parlament brachten bereits mehrere Vorstösse den nachlassenden Service im Taxigewerbe aufs politische Tapet.

Im Grossen Rat war der schlechte Service schon mehrfach Thema.

«Die Lebensbedingungen vieler Fahrer werden zunehmend prekärer», sagt Roman Künzler von der Gewerkschaft Unia in Basel. «Wir versuchen den Taxifahrern eine Stimme zu geben, so dass die Öffentlichkeit deren Lebensumstände wahrnimmt.» Eben hat er eine Umfrage bei den lokalen Taxi­fahrern abgeschlossen. Künzler fasst zusammen: «Die durchschnittliche Arbeitszeit liegt bei 41 Stunden. Der Stundenlohn liegt im Schnitt bei 16 Franken, häufig darunter.»

Der Gewerkschafter ist entschlossen, gemeinsam mit den Taxifahrern für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Die Ergebnisse der Umfrage sollen dabei als Grundlage dienen. «Kein Minimallohn, keine Mindest­tarife pro Kilometer. Das ist nicht haltbar. Es muss sich unbedingt etwas ändern, damit dieser Dienst an der Gesellschaft angemessen entlöhnt wird.»

Für viele die letzte Alternative

Die Unia steht mit ihrer Sichtweise nicht alleine da. Beat Loosli ist Präsident der kantonalen Taxifachkommission. Auch er sieht Handlungsbedarf. «Es ist tatsächlich schwierig, vom Taxifahren zu überleben. Der Markt ist übersättigt und die Löhne sind zu niedrig.» Neben den tiefen Löhnen sieht er aber noch ein anderes Problem: «Früher war das Taxi­geschäft meist ein Nebenverdienst, oftmals von Studenten. Heute machen es immer mehr Fahrer hauptberuflich.» Migrationshintergrund und tiefer Bildungsstand seien­ verbreitet. Für viele sei das Taxigewerbe die letzte Alternative zur Arbeits­losigkeit.

Der Lift im Universitätsspital trägt Markus Kümin zurück ins Erd­geschoss. Der Taxifahrer ärgert sich, Frau Hollinger war nicht da. Sie muss zuhause abgeholt und zur Dialyse gebracht werden. Der Disponent hatte ihn per Funk falsch informiert. «Solche Fehler des Büros sind ärgerlich, da verliere ich viel Zeit und verdiene nichts. Gottseidank kommen sie bei uns selten vor.»

Kümin steigt zurück in den Mercedes und braust ins Schützenmattquartier zur Altersresidenz. Dort sitzt seine Kundin im Gemeinschaftsraum, eingehüllt in einen dicken Pelzmantel. Kümin hilft ihr aus dem Sessel, begleitet sie langsam zum Taxi. Die Kundin klagt über ihre Zuckerkrankheit und die bevorstehende Behandlung. Kümin redet ihr gut zu.

Viele Nutzniesser

Zurück im Unispital hilft er ihr in den Rollstuhl, bringt sie in den vierten Stock zur Dialyse und verabschiedet sich. Knapp 40 Minuten sind vergangen, als Kümin sein Taxi wieder auf dem Standplatz parkiert. Der Umsatz beträgt 25 Franken, ein pauschaler Fixbetrag des Universitätsspitals. Davon bleiben Kümin nach allen Abzügen und Abgaben knapp 12 Franken.

Das Basler Taxigewerbe ist ein Dschungel voller Nutzniesser. Das vom Fahrgast nicht zu knapp bezahlte Geld verschwindet in unterschiedlichen Taschen. Wie die Mehrheit der rund 700 Taxifahrer fährt auch Kümin nicht mit seinem eigenen Fahrzeug. Er ist Angestellter des Taxihalters, Ende jedes Monats muss er rund die Hälfte seines Umsatzes abgeben. Ein weiterer Teil seines Einkommens verschwindet im Katalysator seines Wagens. Abzüglich Feriengeld, Taxi­lizenz und Vorsorgekosten fliessen rund 45 Prozent des erwirtschafteten Geldes auf sein eigenes Konto.

Der ­Taxihalter muss zusätzlich einen fixen Betrag an die Funkzentrale abgeben. Je nach Zentrale sind das monatlich bis zu 1200 Franken. Im Januar hat Kümin bei 150 Arbeitsstunden 1918 Franken verdient. Als routinierter Fahrer einer marktbestimmenden Zentrale und mit einem silbrigen Mercedes der E-Klasse gehört er dennoch zum privilegierteren Teil seiner Zunft. Ganz oben auf der Skala stehen jene Fahrer, die mit einem eigenen Fahrzeug unterwegs sind.

Während Kümin beim Blumenrain am Taxistand steht und die letzte Fahrt abrechnet, meldet sich per Funk erneut der Disponent: Universitätsspital Petersgraben, für UPK Rampe. «Jetzt müssen wir zur Psychiatrischen raus. Je nach Zustand des Patienten kann es jetzt unangenehm werden.» Vor dem Spital steht in Begleitung einer Pflegerin eine müde dreinblickende Frau. Vorsichtig setzt sie sich auf den Beifahrersitz. «Gehts so?», fragt der Taxifahrer. Er fährt raus zur Flughafenstrasse, bei den UPK nimmt ein Mann in weissem Kittel die Frau entgegen. Umsatz: 17 Franken. Die Fixpauschale für Aufträge der UPK.

Der Funk geht erneut, es läuft gut für Kümin. UPK Hintereingang. Gebäude 35. Eine Patientin muss mit einem Pfleger an die Sperrstrasse ihre Kleider holen gehen. Kümin ist charmant und zuvorkommend. Von der Unzufriedenheit über seine Arbeitsbedingungen lässt er die Kunden an diesem Samstagnachmittag nichts spüren. Kümin als Vorzeigechauffeur.

Viele Fahrer resignieren

«Der Ruf der Taxifahrer hat in den letzten Jahren sicher stark gelitten», bestätigt er. Daran seien die Fahrer nicht unschuldig, die Hauptursache sei aber eine andere. «Der steigende Druck ist dafür verantwortlich. Viele kommen damit nicht mehr klar. Taxifahrer waren schon immer Lebenskünstler. Aber die Bedingungen und das Einkommen sind jetzt in einem Bereich angekommen, wo es einfach nicht mehr geht.» Als Folge hätten viele­ Fahrer resigniert. Auch der Austausch unter den Fahrern habe abgenommen, jeder schaue für sich.

Die zentrale Drehscheibe des Taxigewerbes in Basel ist das Taxibüro. Hier werden Bewilligungen erteilt, wieder entzogen und Beschwerden von Fahrgästen entgegengenommen. Das Büro besteht in dieser Form seit sechs Jahren. «Seither haben die Beschwerden von Fahrgästen zugenommen», sagt die Büroleiterin Astrid Fritz. Als Grund nennt sie die wachsende Bekanntheit des Büros.

Die Gründe für die Anrufe seien häufig dieselben: unfreundliches Verhalten der Fahrer oder abgelehnte Kurzfahrten. Eine zunehmende Tendenz verzeichnet auch die Verkehrspolizei. Die zuständige Kontroll­gruppe verzeichnete 2010 bei 11 Prozent aller Kontrollen einen Verstoss. Im vergangenen Jahr waren es 15 Prozent. Am häufigsten seien ­Widerhandlungen gegen die ­Arbeits- und Ruhezeitverordnung, ­erklärt der Leiter der Verkehrspolizei.

Früher war es besser

Kümin hat soeben die Patientin aus den UPK vor ihrer Wohnung abgeladen und wartet jetzt beim Messeplatz auf einen nächsten Auftrag. «Du wartest und wartest und manchmal kommt ein Auftrag oder auch keiner.» Vor ­15 Jahren habe der Disponent den Tisch noch voller Bestellungen gehabt. Es habe meistens eine Anschlussfahrt gegeben. «Nach einem massiven Umsatzrückgang nach dem 11. September 2001 hat sich das Gewerbe nie mehr richtig erholt, und in den letzten Jahren hat sich die Situation nochmals massiv verschlechtert.»

Kümin war früher Spediteur bei diversen Unternehmen. Dazwischen fuhr er immer wieder Taxi und engagierte sich schon damals für bessere Arbeitsbedingungen. «Das Taxigewerbe hat mich als letztes Netz aufgefangen.» Jetzt will er sich noch einmal für sein Gewerbe einsetzen, «damit alle Taxifahrer wenigstens von ihrem Lohn leben können».

Der Regierungsrat müsse sich fragen, was das Taxi­gewerbe für Basel bedeute, sagt Kümin und gibt die Antwort gleich selber: «Das Taxigewerbe ist ein Aushängeschild für eine Stadt, darum müssen die Fahrer ein gesichertes Einkommen haben.» Er fordert gemeinsam mit der Unia einen Mindestlohn, Mindesttarife und eine Limite für Taxihalterbewilligungen. «Und irgendwann sollen nur noch selbständig erwerbende Taxifahrer auf der Strasse unterwegs sein. Ohne Funkzentrale und ohne Eigner. So wie in den USA, wo man Taxis tageweise mieten kann.»

Ein gesetzlicher Mindestlohn hat wenig Aussicht auf Erfolg.

Auch der Regierungsrat hat den Handlungsbedarf erkannt. Das Taxigesetz ist in Überarbeitung und durchlief bereits die interne Vernehmlassung. Mit der Rochade an der Spitze des Justizdepartements kam der Prozess jedoch ins Stocken. Noch ist unklar, in welche Richtung sich das Gesetz unter dem neuen Justiz- und Sicherheitsdirektor Baschi Dürr entwickeln wird.

Der von der Unia und einigen Fahrern geforderte gesetzliche Mindestlohn hat wenig Chancen. Auch Peter Loosli von der Taxifachkommission sieht da wenig Spielraum. «Eine Möglichkeit wäre, die Anzahl der Bewilligungen einzuschränken. Ob man das machen will, ist schlussendlich aber eine rein politische Frage.»

Kümin hat gerade ein älteres Ehepaar mit Skiausrüstung vom Aeschenplatz an den Heuberg gebracht. Es war für heute seine letzte Fahrt. Sechs Stunden Fahrt hat er hinter sich, bei einem mickrigen Stundenlohn von 13.40 Franken. Für Kümin kein Grund, den Job zu wechseln. «Als Taxifahrer hast du immer wieder spannende Begegnungen. Du weisst nie, was als nächstes passiert. Ich sage immer: Taxi fahren ist eine teuer erkaufte Freiheit.»

Ist Taxifahren in der Stadt Basel zu teuer?

In der Wochendebatte diskutieren Daniel Egloff, Direktor von Basel Tourismus, und Roman Künzler, Sekretär der Gewerkschaft Unia, über die Taxitarife in Basel. Mit­diskutieren und abstimmen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.02.13

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