Schluss mit den Schikanen!

Tempo-30-Zonen machen ständig Ärger. Das müsste nicht sein. Wenn nur die Planer, Politiker und Polizisten etwas mehr Vernunft und Augenmass beweisen würden.

Bastelmaterial - eine gute Alternative für übereifrige Planer. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Tempo-30-Zonen machen ständig Ärger. Das müsste nicht sein. Wenn nur die Planer, Politiker und Polizisten etwas mehr Vernunft und Augenmass beweisen würden.

In den Broschüren der staatlichen Stellen und Verkehrsverbände sieht alles so schön aus: Lachende Kinder spielen auf der Strasse, freundliche Autofahrer winken ihnen zu, und manchmal gesellt sich noch ein glückliches Mami, ein fröhlicher Papi dazu.

Die Realität sieht leider anders aus. Dort drängen sich die Erwachsenen in den Vordergrund und sie spielen nicht nett miteinander, nein, sie gehen regelmässig aufeinander los, wenn es in einem Quartier, einer Gemeinde wieder einmal um die Einführung einer Tempo-30-Zone geht. Autofahrer gegen Verkehrsplaner, Verkehrsplaner gegen Anwohner, Anwohner gegen Autofahrer, alle gegen alle. Schuld daran ist – natürlich – auch der nicht allzu seltene Typus des Autofahrers, der am liebsten für nichts und niemanden bremsen würde. Solche Leute wird es immer geben, damit muss man sich abfinden. Daneben gibt es aber auch sehr viel vermeidbaren Ärger beim Thema «Tempo 30». Hier der Versuch einer kleinen Bestandesaufnahme.

Problem Nummer 1: übereifrige Planer

Schwellen und sonstige Fahrbahnerhöhungen in allen möglichen Formen, Strassenverengungen, versetzte Parkplätze, Blumentröge, Strassen, die Trottoir-ähnlich über Querverbindungen geführt werden, und und und: Nach 30 Jahren grüner Politik gibt es fast mehr Verkehrsberuhigungsmassnahmen als nach 125 Jahren Automobilgeschichte technische Kniffe, um die Karren schnell zu machen. Gezielt eingesetzt, sorgen die kleinen Bauwerke tatsächlich für die erwünschte Temporeduktion. Und damit für mehr Sicherheit und mehr Lebensqualität. All die wild versetzten Parkplätze, die fiesen Erhöhungen und die dominanten Blumentröge, die nur schon für das Auge eine Beleidigung sind und zu allem Überfluss manchmal direkt bei Kurven und Verkehrsverengungen stehen, erhöhen dagegen eher noch die Gefahr.
Das sieht auch Christoph Merkli, Geschäftsführer Pro Velo Schweiz, so: «In Sachen Verkehrsberuhigung gibt es einen beträchtlichen Wildwuchs. Das macht die Strassen unsicherer.» Und David Venetz vom Touring Club der Schweiz sagt: «Viel zu wenig wird auf die Sichtweite geachtet, die zum Beispiel nötig wäre, damit die Autofahrer die Fussgänger frühzeitig erkennen können.» Leider lassen sich die übereifrigen Planer aber auch durch diese einzigartige Einmütigkeit von Auto- und Velolobby nicht bremsen.

Problem Nummer 2: übermotivierte Politiker

Zuerst ist die flächendeckende Einführung von Tempo 30 während der ganzen Nacht in Zürich zum Thema geworden. Nun zieht Basel nach. Einen entsprechenden Vorstoss hat der Grosse Rat vor Kurzem an die Regierung überwiesen. Von der Umsetzung erhofft sich die rot-grüne Mehrheit eine Dämpfung des Verkehrslärms insbesondere auf den grossen Verkehrsachsen.
Das tönt zwar vielversprechend für die lärmgeplagten Anwohner. In einer stillen Minute könnte man sich allerdings auch fragen, ob ein moderner Automotor bei Tempo 50, Ecodrive, tatsächlich sehr viel lauter schnurrt als bei Tempo 30. Und fast noch drängender wäre die Frage, ob nicht wenigstens ein paar Verkehrsachsen noch für den Verkehr da sein sollten – zumindest solange mehr als vier Fünftel aller Schweizer Haushalte ein oder mehrere Autos haben. Oder kann sich irgendjemand ernsthaft vorstellen, dass sich etwa der Morgartenring in absehbarer Zeit in eine Idylle verwandelt? Mit Anwohnern, die nachts absolut ungestört schlafen, wenn sie nicht gerade draussen sind und die temporäre Temporeduktion nutzen, um den verkehrsberuhigten Boulevard rauf und runter zu schlendern, den Hund Gassi zu führen und mit den Kindern zu spielen? Wohl eher nicht.

Problem Nummer 3: sture Beamte

Problem Nummer 3: sture Be­amte. Das andere Extrem sind die Baselbieter Kantonsbehörden. Sie lassen nicht zu, dass einzelne Gemeinden ihr Dorfzentrum beleben, indem sie den Verkehr dort auf einem kurzen Hauptstrassen-Abschnitt drosseln. Tempo 30 auf Hauptstrassen, das sei rechtlich nicht möglich, wird in Liestal behauptet – obwohl das Bundesgericht  zu einem ganz anderen Schluss gekommen ist. Leider interessiert die Meinung des höchsten Gerichtes aber etwa so viel wie die Einwände der Automobil- und Veloverbände: gar nicht.

Problem Nummer 4: allzu schlaue Polizisten

In einer Unterbaselbieter Gemeinde haben die Dorfpolizisten kürzlich verwundert festgestellt, dass die Busseneinnahmen nach Einführung von Tempo 30 drastisch zugenommen hatten. Nun, ganz so überraschend ist dieses Phänomen nicht, solange die Zonen nicht überall deutlich signalisiert sind. Und vor allem: wenn es unter den Polizisten überall solche Schlaumeiner gibt wie in Basel.

Dort wird seit ein paar Tagen auf der relativ breiten und eher übersicht­lichen Birsigstrasse geblitzt; es ist eine abschüssige Strecke, hart an der Grenze zu einer 50er-Zone. Bei einem Bussenansatz von 400 Franken für eine Tempoüberschreitung von 16 bis 17 Stundenkilometer und noch viel höheren Geldstrafen bei einer Überschreitung ab 20 Kilometern kann sich diese Kontrolle finanziell durchaus lohnen. Doch ob sie die Strassen auch sicherer macht? Die Antwort lautet ähnlich wie bei Punkt 2 und 3: eher nicht. Oder sogar: nein, gar nicht.

Alles zusammen sind vier Probleme, die für sehr viel Ärger sorgen. Probleme auch, die sich eigentlich vermeiden liessen. Es bräuchte nur etwas mehr Vernunft und Augenmass – und schon würden die schönen Versprechungen aus den Broschüren zur Realität.

 

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.03.12

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