Schluss mit Problem-Ritualen – üben wir uns in Zuversicht

Die Hauptsorgen erscheinen weniger bedrohlich, das Vertrauen in die Institutionen hat zugenommen, die Wirtschaftsentwicklung erscheint positiv – so verkündet es das neuste Sorgenbarometer. Schön und recht, aber warum klammern wir uns bloss so an die Sorgen?

Menschen geniessen das schoene Herbstwetter am Ufer des Thunersees beim Schadaupark in Thun, am Sonntag, 30. Oktober 2016. (KEYSTONE/Manuel Lopez)

(Bild: Keystone)

Die Hauptsorgen erscheinen weniger bedrohlich, das Vertrauen in die Institutionen hat zugenommen, die Wirtschaftsentwicklung erscheint positiv – so verkündet es das neuste Sorgenbarometer. Schön und recht, aber warum klammern wir uns bloss so an die Sorgen?

Der Jahreswechsel bot Gelegenheit für Rückblick und Vorschau sowie für gutes Wünschen. Wir sind auch mit verschiedenen Umfrageresultaten bedient worden, die uns sagen, wie es mit der kollektiven Zufriedenheit steht und ob «wir» im Vergleich zum Vorjahr optimistischer oder pessimistischer eingestellt sind.

Dies als eine Variante von zahlreichen Zahlenreihen, in die unser augenblickliches Sein nach vielen Gesichts- und Eckpunkten eingeordnet wird – vom Wetter über die Börse, VIP-Rankings, die Reichsten dieses Jahres bis hin natürlich zu den vielen hochwichtigen Resultaten des Sports.

Aus diesen Angeboten ragt die von der CS (der früheren Kreditanstalt) zusammengestellte und als Barometer vorgestellte Erhebung zu den Sorgen von Herrn und Frau Schweizer heraus – diesmal sogar besonders, weil diese Umfrage zum 40. Mal stattgefunden hat. Das Sorgenbarometer ist ein Kind der von Krisen besonders stark gezeichneten 1970er-Jahre.

Es dominieren die stets gleichen A: Arbeitslosigkeit, Ausländer, Altersvorsorge.

Das Sorgenbarometer war aber auch eine Spätgeburt der durch «1968» aufgewerteten Basisbefindlichkeit. Wo den Menschen der Schuh drückt, sollte nicht mehr bloss in rituellen Urnengängen zum Ausdruck gebracht werden, sondern – wie in der Markt- und Konsumentenforschung längst üblich – auch bezüglich politischer Gesellschaftsfragen eruiert werden.

Von den auf Ende 2016 wieder einmal angelieferten Resultaten interessiert zunächst vor allem, welches die am meisten genannten Sorgen sind: also die Top Ten oder die ersten drei, die es aufs Podium der Aufmerksamkeit geschafft haben: Eigentlich die immer gleichen drei A: Arbeitslosigkeit, Ausländer, Altersvorsorge.

Mindestens so sehr wie die absoluten Werte können uns die Veränderungen interessieren (wie die Börsenkurse mit den Pfeilen nach oben und unten). Da fällt die auf der zehnten Position figurierende Kategorie «Verkehr» mit dem höchsten Zuwachs von plus sieben Prozent auf, daneben die AHV, die zwar auf dem dritten Platz steht, aber doch zehn Prozent weniger Menschen Sorgen bereitet als noch vor einem Jahr.

Stellt man auf das Sorgenbarometer ab, bestünde immer weniger Grund, sich Sorgen um die Umwelt zu machen.

Die frohe Botschaft zum Jahreswechsel: Die Hauptsorgen erscheinen weniger bedrohlich, das Vertrauen in die Institutionen hat zugenommen, die Wirtschaftsentwicklung wird positiv beurteilt. (Hier gehts zum Schlussbericht als PDF.)

Das verbleibende Ausmass an Sorgen muss man dennoch ernst nehmen. Man darf es und sollte es aber auch relativieren. Eine Relativierung liefert die Zeit und dokumentieren die Ausschläge in den Diagrammen der 40-Jahre-Übersicht. Es geht rauf und runter. Relativierung ergibt sich aus dem Wandel, aber auch aus der Konstanz: Können Angaben noch spezifische Zeitdiagnosen sein, wenn sie über Jahre stets etwa gleich ausfallen?

Die in den Jahren 1981–1983 grassierende Sorge über das «Waldsterben» wird von Verharmlosern der Umweltfragen gerne als Paradebeispiel für irregeleitete Besorgnis zitiert. Stellt man auf das Sorgenbarometer ab, bestünde immer weniger Grund, sich wegen der Umweltproblematik Sorgen zu machen: Von 1976 bis 2016 hat sie einen beinahe kontinuierlichen Rückgang von 73 auf 13 Prozent erlebt!

Energie ist kein Thema

Konfrontiert mit solchen Präsentationen, sollten wir uns fragen, wie die Resultate gewonnen worden sind. Den üblichen rund 1000 Befragten einer repräsentativen Auswahl wurden und werden auf Kärtchen jeweils zehn Sorgen-Nennungen vorgelegt, aus denen fünf ausgewählt werden können. Was nicht auf dem Tisch liegt, kann man nicht auswählen.

In diesem Jahr wie vielleicht auch in früheren Jahren fehlte die Energiefrage. Das ist doch erstaunlich – sowohl fürs Jahr 1976, als man die wegen der Ölkrise verhängten autofreien Sonntage noch in frischer Erinnerung hatte, als auch für 2016 mit den Kontroversen um die Energiestrategie 2050.

Neben der Energiewende sind auch Endlagerung und Erdbeben (drei E) als in vermeintlich oder tatsächlich in ferner Zukunft liegende Eventualitäten kein Thema. Diese wären wohl auch selten ausgewählt worden.

Darum hatte eine baselstädtische Standesinitiative für ein gesamtschweizerisches Versicherungsobligatorium für Erdbebenschäden im Dezember auch im Nationalrat (nach dem Ständerat) keine Chance. Sicher gab es auch spezifische Gründe gegen ein solches Obligatorium: die Meinung, dass dies eine private und nicht öffentliche Sache und dass es eine Angelegenheit der Kantone und nicht des Bundes sei.

Nur ein Gesellschaftsspiel?

Das zeigt wieder, dass die Sorgen als solche, das heisst ohne Sorgenumsetzungen, nur die halbe Sache sind. Dass man in Basel diesen Sorgentyp ernst nimmt, zeigen die verschiedenen Umbauvorhaben: Nach den Schulhäusern kommt das Polizeidepartement an die Reihe und wird auch eine Tanzschule an der Freien Strasse erdbebensicher gemacht.

Wie kommt die Themenauswahl auf den zehn vorgelegten Karten zustande? Die Erläuterung, wonach es um Themen gehe, «über die in der letzten Zeit viel diskutiert und geschrieben worden ist», verweist auf den Einfluss der Medien. Der Rückgang bei den Topsorgen einerseits und der Zuwachs bei «kleinen» Sorgen andererseits – diese Veränderung in der Sorgenlandschaft wird einleuchtend mit der Veränderung in der Medienlandschaft erklärt, das heisst mit der sinkenden Bedeutung der Leitmedien, insbesondere mit dem Reichweiteschwund der SRF-Tagesschau von 1’000’000 auf 600’000, dies bei gleichzeitig starker Zunahme der Bevölkerung.


Ist das Sorgenbarometer mehr als ein Gesellschaftsspiel und PR-Instrument des veranstaltenden Unternehmens? Man sollte nicht einfach konsumieren, was man geliefert bekommt. Man darf feststellten, dass diese Vermessung der Schweiz pauschaler daherkommt, als wir das Land gerne verstehen, mit Unterscheidungen nach Alter, Geschlecht, Bildung, Religion und Region etc.   

Wäre es nicht auch wichtig zu erfahren, warum und wie sich jemand Sorgen macht?

Insofern als zur Verfügung stehende materielle Mittel für Sorgen relevant sind, wäre eine Unterscheidung zwischen arm und reich aufschlussreich, weil sie zeigen könnte, wie gleich und doch anders die Sorgen sind. Wer mehr darüber erfahren will, kann sich den Sozialbericht 2016 zum Thema «Wohlbefinden» zu Gemüte führen.

Es wäre sinnvoll, zwei bestimmte Typen von Sorgenträgern zu unterscheiden: solche, die sich sorgen, weil sie etwas nicht haben, und solche, die sich sorgen, weil sie etwas verlieren könnten. Verlustängste könnten die grössere Kategorie sein.

Fragen darf man sich ebenfalls, was die Ausrichtung auf das Quantitative leistet: Drückt sich die Wichtigkeit der Sorgen in der Häufigkeit ihrer Nennung aus? Oder zeigt sie lediglich, wie sehr man als Politiker diese Probleme mit irgendwelchen Vorstössen «ernst» nehmen muss? Wäre es nicht auch wichtig zu erfahren, warum und wie sich jemand Sorgen macht?

Wer sorgt sich um wen?

Was meint die Sorge «Verkehr»? Den Verkehrslärm? Die Verkehrskosten? Das Gedränge im ÖV? Den Stau auf den Strassen? Und was ist mit der «Flüchtlings»-Sorge gemeint, die es 2016 mit 26 Prozent immerhin an die vierte Stelle geschafft hat? Die Sorge, dass Flüchtlinge keine sichere Zukunftsperspektive haben? Dass ihnen die Qualifikation für eine erfolgreiche Integration fehlt? Wohl nicht.

Es dürfte eher die Sorge sein, dass die Flüchtlinge uns stören, dass sie sogar eine Bedrohung sein könnten, jedenfalls den öffentlichen Haushalt belasten. Über die Art der Sorgen kein Wort, nur die Verlaufskurven in den letzten Jahrzehnten.

Mit 45 Prozent liegen die Sorgen wegen der Arbeitslosigkeit an erster Stelle. Auch diese kann man auf höchst unterschiedliche Weise haben. Zunächst aus direkter Betroffenheit, weil die eigene Stelle bedroht ist. Dann mit Blick auf den eigenen Wirtschaftsraum mit Blick auf die Sozialkasse und dann vor allem auch mit Blick auf die jungen Menschen.

Das Gegenteil der Sorge ist die Zuversicht. Diese setzt einen säkularen Glauben an die Möglichkeiten der positiven Lebensgestaltung voraus.

Beachtung verdient die Sprache, mit der die Sorgenbefragung weitergegeben wird. Da ist neben dem «Schuhdrücken» gerne vom «Kopfzerbrechen» die Rede. Letzteres könnte sich ziemlich in Grenzen halten, zumal gesagt wird, dass in solchen Fragen das Bauchgefühl massgebend sei.

Am Schluss ist bestimmend, ob man, unabhängig von sozialen Eckdaten, zum optimistischen oder pessimistischen Menschenschlag gehört, wo immer die Quelle dieser Eigenschaften, im Kopf oder im Bauch, angesiedelt sind.


Falls man es noch nicht gemerkt hat: Dem Schreibenden missfällt einiges an diesem Sorgen-Ritual. Er fragt sich, ob dies nicht ein typisch schweizerisches Klagen auf hohem Wohlstandsniveau ist. Wäre es nicht angebrachter, jeweils eine schöne Statistik zum Gegenteil von Sorgen zu machen? Das Gegenteil wäre nicht die eher negativ geprägte Sorglosigkeit. Das Gegenteil wäre oder ist die Zuversicht.

Zuversicht setzt einen säkularen Glauben an die Möglichkeiten der positiven Lebensgestaltung voraus. Diesen brauchen wir, und wir müssen ihn weitgehend selber entwickeln. Und da könnte eine ermutigende Liste vorhandener Zuversichten helfen. Dazu können wir uns fürs angebrochene Jahr Lebensumstände wünschen, die es uns nicht allzu schwer machen, mit Zuversicht in die Zukunft zu schauen.   

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