Schon wieder diese Iren!

Zum dritten Mal wird es in Irland eine Volksabstimmung über einen EU-Vertrag geben – über den Fiskalpakt. Der Ausgang ist ebenso ungewiss wie das Schicksal des Vertrags. Auch andere Staaten, darunter Frankreich und die Niederlande, stellen ihn infrage.

Unter dem Hammer: Irische Häuser werden versteigert, um die Banken von faulen Hypotheken zu entlasten. (Bild: Cathal McNaughton)

Zum dritten Mal wird es in Irland eine Volksabstimmung über einen EU-Vertrag geben – über den Fiskalpakt. Der Ausgang ist ebenso ungewiss wie das Schicksal des Vertrags. Auch andere Staaten, darunter Frankreich und die Niederlande, stellen ihn infrage.

Ein kühler Wind weht dieser Tage über die Docklands von Dublin, der neu errichteten Glaswelt am River Liffey. Unter dem Motto «City of Science» soll hier im Juli ein internationaler Forschungskonvent stattfinden. Tausende Wissenschaftler aus der ganzen Welt werden sich in den futuristischen Büroräumen einfinden und über die Zukunft ihrer Zunft diskutieren. Die irische Hauptstadt will sich als moderne Metropole präsentieren, als Wissensschmiede, die mit der internationalen Konkurrenz mithalten kann.

Vor zwei Jahren sah die Stimmungslage anders aus – das Land stürzte in eine tiefe Rezession. Der Grund: Die Subprime-Krise aus den USA schwappte nach Europa und riss die Banken in einen verhängnisvollen Strudel. Irische Kreditinstitute fanden reihenweise verbriefte Immobilienpapiere in ihren Portfolien, die nach dem Zahlungsausfall der Schuldner wertlos wurden. Die altehrwürdige Bank of Ireland stand vor dem Bankrott – und musste mit Staatshilfen gerettet werden.

Die Krise der Banken strapazierte die Staatsfinanzen so sehr, dass Irland fast selbst pleite ging – und sich als erstes Land unter den Euro-Rettungsschirm flüchten musste. Fast 70 Milliarden Euro Hilfskredite sind seitdem geflossen – und Irland hängt noch immer am Tropf des Internationalen Währungsfonds und der EU.

Die Krise war ein Stück weit hausgemacht: Die irische Regierung lockte Investoren mit niedrigen Steuersätzen, der Finanzmarktsektor wurde dereguliert, die nationale Notenbank verfolgte eine Politik des billigen Geldes. Deutsche, englische und französische Banken öffneten ihre Dependancen in Dublin – und spielten munter mit beim globalen Finanzkasino.

Reformen zeigen Wirkung

Um den totalen Absturz abzuwenden, verordnete der neue Premierminister Enda Kenny, ein seriöser Sachwalter, dem Land eine radikale Rosskur. Die Mehrwertsteuer wurde von 21 auf 23 Prozent erhöht, der Mindestlohn gesenkt, Eigenkapitalregeln verschärft. Die Reformen zeigen erste Wirkungen: Die Neuverschuldung betrug 2011 nur noch rund zehn Prozent im Vergleich zu mehr als 30 Prozent im Jahr 2010, und die Wirtschaft wuchs leicht um einen Prozentpunkt.

Gleichwohl: Die Arbeitslosigkeit ist mit 14 Prozent nach wie vor hoch, die Binnennachfrage ist seit 2008 um 20 Prozent eingebrochen. Die Rating-Agenturen haben Irland letzten Sommer auf Ramsch-Niveau herabgestuft. Die Folge: Die Refinanzierung auf den Finanzmärkten bleibt kostspielig – zumal die Banken sich gegenseitig misstrauen.

Die Restrukturierung des Bankensektors hat daher für die irische Re­gierung oberste Priorität. Noch immer lagern in den Portfolien der Banken Schrottpapiere von immensem Nennwert. Allein die Allied Irish Banks (AIB), eines der grössten Finanzinstitute, weist faule Hypothekenkredite im Wert von 43 Milliarden auf. Das ist eine Zeitbombe. Entschärfen kann sie allenfalls eine bessere Haushaltsdisziplin, welche die EU von ihren Mitgliedsländern mit dem europäischen Fiskalpakt einfordert.

Widerstand und Drohungen

Premierminister Kenny will über den Vertrag in einem Referendum am 31. Mai abstimmen lassen. «Ich glaube, es ist im nationalen Interesse Irlands, dass über dieses Vertragswerk abgestimmt wird», sagte er. Und: «Ich bin der Meinung, dass die Mehrheit dahintersteht.» Doch allenthalben regt sich Widerstand.

Die Gewerkschaften drohen mit einer landesweiten Kampagne, die Opposition warf Kenny Täuschung und Panikmache vor. Der sozialistische Abgeordnete David Higgins etwa kritisierte, die Leute würden «mit dem Rohrstock eingeschüchtert», um mit Ja zu stimmen. Das Argument, der Internatio­nale Währungsfonds gebe bei einem ablehnenden Volksvotum keine Gelder frei, trage nicht. Man könne auch bei einem Nein Bürgschaften beziehen.

Wut auf die Eliten wächst

Die ungebärdigen Iren lassen sich nicht gerne Weisungen erteilen – sie wollen das Referendum zu einer Abstimmung über nationale Politik machen. «People are pissed off», sagt der Südafrikaner Vincent, der am Canal in Dublin einen Schnitzelstand betreibt. Der Mann mit dem Holzfällerhemd und den zupackenden Händen glaubt, dass die Wähler der Regierung einen Denkzettel verpassen werden. «Sie haben die Sparmassnahmen satt.» Die Wut auf die Eliten in Politik und Wirtschaft wächst. «Die Banker stopfen sich die Taschen voll, während der kleine Mann darben muss. Das kann so nicht weitergehen», sagt Vincent.

Auch im Fischerdorf Howth an der Ostküste sind die Auswirkungen der Krise spürbar. Zwei Männer fertigen in einer Werkstatt Netze für Fischerboote. Naht für Naht werden die Netze zurechtgestutzt, eine Sisyphusarbeit. «Früher haben wir noch zwei Netze im Jahr verkauft, jetzt ist es gerade einmal eines in 16 Monaten.»

Für ein kleines Fischernetz bekomme er 2000 bis 3000 Euro, ein grosses brächte bis zu 6000 Euro ein. Doch weil die Fischerboote immer weniger in See stechen, brauchen sie auch nicht so oft neues Material. Der Mann trägt Wut im Bauch. «Ich werde beim Referendum mit Nein stimmen», sagt er trotzig. In seinem Bekanntenkreis kenne er niemanden, der dafür sei.

Aggressiver Tonfall

Die irische Presse blickt derweil mit Argwohn auf die Brüsseler Bürokratie. «Die neuen selbsternannten Führer zwingen der Gemeinschaft ihre Sichtweise auf», schreibt die «Irish Times» in aggressivem Tonfall. Der Fiskalpakt sei ein «zahnloser Tiger» und der Busskatalog «eine Bürde für die ums Überleben kämpfenden Peripherieländer». Kritiker befürchten, dass das Austeritätsprogramm das Wachstum abwürgen und Irland in eine neuerliche Rezession stürzen könnte. Der leichte Aufschwung, den das Land 2011 verzeichnete, steht auf tönernen Füssen.

Irland kommt zupass, dass die Wirtschaft, anders als in Griechenland oder Spanien, weniger binnenmarktorientiert ist – der stabile Export hat die rückläufige Inlandsnachfrage teilweise kompensiert. Doch aus der Exportorientierung erwachsen auch Risiken. Die Volkswirtschaft hängt in hohem Masse von der Weltkonjunktur ab, und die Schuldenkrise in Südeuropa ist ein stetiger Unsicherheitsfaktor.

Der Fiskalpakt soll die siechenden Schuldenstaaten gewissermassen zur Selbstheilung zwingen: Das strukturelle Defizit darf nicht mehr als 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts betragen. Weniger Schulden, mehr Leistungsfähigkeit. So weit die Theorie. Doch in der Praxis gestaltet sich dieser Zusammenhang schwierig. Die Bevölkerung wehrt sich mit Händen und Füssen gegen weitere Einschnitte.

Beim irischen Referendum wird es nicht nur um die europapolitische Position Irlands, sondern auch um die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion gehen. Ein Nein der Iren würde ein fatales Signal an die Märkte aussenden. Die Staats- und Regierungschefs wollen dies um jeden Preis verhindern. In Brüssel setzt man auf das Prinzip Hoffnung – und auf die Vernunft der irischen Wähler.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.05.12

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