Brasilianische Staatsanwälte haben in Bern über die Herausgabe neuer Beweismittel im Zusammenhang mit Schmiergeldzahlungen um das sogenannte Zugkartell in São Paulo verhandelt. Die Schweizer Unterlagen könnten entscheidend zur Aufklärung des Korruptionsschemas beitragen.
Brasilien beschäftigt seit Jahren ein Korruptionsskandal und die Schweiz steckt als Gelddrehscheibe mittendrin. Im Kern geht es um ein möglichen U-Bahn-Preiskartell des deutschen Siemens- und des französischen Alstom-Konzerns in São Paulo. Die Schweiz will nun alle Untersuchungsakten im Zusammenhang mit den Absprachen, in die neben Alstom und Siemens auch die spanische CAF, die kanadische Bombardier und weitere Konzerne involviert sein sollen, den brasilianischen Ermittlungsbehörden übergeben.
Den Fall ins Rollen gebracht hat Siemens im vergangenen Jahr selber. Der deutsche Konzern zeigte sich selbst an – wohl, um sich vor Strafverfolgung zu schützen – und teilte mit: Die Unternehmen hätten geheime Verabredungen bei Ausschreibungen zum Bau und Wartung von Zügen und U-Bahnen in São Paulo und der Hauptstadt Brasilia getroffen.
Von Siemens den Behörden übergebene Dokumente deuten darauf hin, dass das Preiskartell im Jahr 1998 unter Federführung des damaligen Gouverneurs von São Paulo Mário Covas (1995-2001) gebildet und von den nachfolgenden Regierungen Geraldo Alckmin (2001-2006) sowie José Serra (2007-2010) fortgeführt wurde. Es sollen Bestechungsgelder in Millionenhöhe geflossen sein.
Erste Hinweise kamen bereits vor acht Jahren
Bereits 2008 hatte ein brasilianischer Siemens-Mitarbeiter anonym erste Hinweise auf Schmiergeldzahlungen geliefert. Nachfolgende Untersuchungen ergaben aber keine konkreten Anhaltspunkte.
Im Herbst 2010 tauchten dann erneut Verdachtsmomente auf. Wieder leitete Siemens interne Untersuchungen ein. Die Selbstanzeige erfolgte aber erst, als die brasilianischen Behörden bereits Ermittlungen aufgenommen hatten.
Aus der Schweiz erhält Brasiliens Justiz nun alle Kontoinformationen der in dem Fall Verdächtigen. Bisher waren diese Unterlagen von Schweizer Seite blockiert worden. Die Einigung ist das Ergebnis des Besuchs einer Abordnung brasilianischer Staatsanwälte in Bern. Sie waren auf der Suche nach neuem Beweismaterial in der vergangenen Woche in die Schweizer Hauptstadt gereist.
Beinahe zeitgleich hatte die brasilianische Bundespolizei 33 mögliche Schuldige im Zusammenhang mit den Untersuchungen zum sogenannten Zugkartell zwischen 1998 und 2008 aufgelistet, darunter brasilianische Siemens- und Alstom-Mitarbeiter sowie Politiker und Beamte. Die Polizei beschuldigt sie unter anderem der Korruption, Kartellbildung und Geldwäsche, wie es aus der Anklageschrift hervorgeht.
Die Staatsanwaltschaft von São Paulo forderte daraufhin die Auflösung von zehn brasilianischen Tochterfirmen der in den Skandal verwickelten europäischen Konzerne, darunter der Zweigstellen von Siemens, Alstom oder Bombardier, und klagte auf Entschädigung von insgesamt rund 130 Millionen Euro aufgrund unrechtmässiger Verträge wegen der Kartellabsprachen.
Zu den von der Polizei aufgeführten Namen gehört auch der aktuelle Präsident der Verkehrsbetriebe von São Paulo (Companhia Paulista de Trens Metropolitanos, CPTM), Mário Manuel Bandeira. Der derzeit zum zweiten Mal als Gouverneur des Bundesstaates São Paulo regierende Geraldo Alckmin (Partido da Social Democracia Brasileira, PSDB) nahm den Beschuldigten allerdings in Schutz. Bandeira sei eine «extrem respektierte Person». Alckmin warnte vor vorschneller Verurteilung.
Schweizer Daten könnten Geldflüsse aufzeigen
Weitere CPTM-Manager sollen verwickelt sein. Es heisst, die Informationen aus der Schweiz erlauben der brasilianischen Staatsanwaltschaft, ihre Untersuchungen gegen die beiden früheren CPTM-Direktoren João Roberto Zaniboni und Ademir Venâncio de Araújo, sowie den Lobbyisten Arthur Teixeira zu vertiefen. Es geht dabei um rund 1,2 Millionen US-Dollar auf mehreren Bankkonten in der Schweiz. Die Drei gelten als Schlüsselfiguren in dem Korruptionsschema.
Ein weiterer «dicker Fisch» in dem Millionenspiel ist Robson Marinho. Ihm wird vorgeworfen, in seiner Tätigkeit als Berater des Rechnungshofes Bestechungsgelder von Alstom kassiert und dem französischen Konzern im Gegenzug Aufträge durch die Regierung des Bundesstaates São Paulo im Bereich U-Bahn-Bau und Energie verschafft zu haben. In seinem Fall hatte die Schweiz den brasilianischen Behörden bereits alle Akten zur Verfügung gestellt.
Auch gegen Zaniboni und Venâncio de Araújo ist in der Schweiz schon wegen Geldwäsche ermittelt worden, ihre Konten wurden blockiert. Die nun erzielte Übereinkunft zwischen Schweizer Behörden und brasilianischen Ermittlern beinhaltet die Überstellung von Kontoauszügen und allen weiteren Informationen. «Das ist ein Alptraum-Szenario für die Verdächtigen», wird der Staatsanwalt Silvio Marques, der zu der Delegation aus São Paulo gehörte, in brasilianischen Medien zitiert.
Das Ziel sowohl der Schweizer als auch der Brasilianer ist es, die Geldflüsse nachzuvollziehen. Damit könnte die Frage beantwortet werden, ob es sich bei den Beträgen auf den Zürcher Konten um von Alstom und Siemens gezahlte Schmiergelder handelt.
Zusammenarbeit funktionierte nicht ganz reibungslos
Zuvor allerdings muss noch das eidgenössische Justizdepartement grünes Licht für die Vereinbarung geben. Da sollte es zwar keine Überraschungen geben; ganz reibungslos war die justizielle Zusammenarbeit in der Vergangenheit aber nicht.
Im Juni waren Irritationen aufgetreten, als in der brasilianischen Presse Berichte auftauchten, die Schweizer Behörden hätten die juristische Zusammenarbeit mit Brasilien ausgesetzt, nachdem vertrauliche Ermittlungsergebnisse an die Öffentlichkeit gelangt waren. Das Bundesamt für Justiz hatte dies jedoch dementiert und auf den bilateralen Rechtshilfevertrag verwiesen.
Seit Monaten hatte Brasilien um Herausgabe der Dokumente im Fall Zaniboni und Venâncio de Araújo gebeten; bisher aber hatte Bern die Archive unter Verschluss gehalten. Das soll sich nun also ändern. Wie es heisst, ist den brasilianischen Staatsanwälten zugesichert worden, dass die Dokumente in den kommenden Wochen überstellt würden.
Die Geldwaschmaschine in Zürich
Bei den Gesprächen in Bern seien zudem Informationen übermittelt worden, die neue Hinweise auf Schmiergeldzahlungen der Konzerne bringen könnten. Die Delegation um den Generalstaatsanwalt Rodrigo de Grandis sei jedenfalls «überrascht» gewesen von den Informationen der Schweizer, schreibt die brasilianische Tageszeitung Estado de Minas.
Nach seiner Rückkehr nach Brasilien entscheidet de Grandis in dieser Woche, inwieweit die Unterlagen aus der Schweiz in seinen Bericht für die brasilianische Bundespolizei einfliessen. Man werde schauen, was die beste Strategie sei.
Die übermittelten Informationen aus der Schweiz könnte neue Hinweise auf Schmiergeldzahlungen der Konzerne bringen.
Wohl auch, um den guten Willen zur Zusammenarbeit zu zeigen, hatte die brasilianische Bundespolizei einen Tag vor der Zusammenkunft in Bern Zanibonis Residenz sowie dessen Büro durchsucht. Dies hatten die Schweizer Behörden bereits 2011 gefordert – damals ohne Folgen. Bern wiederum eröffnete eine Untersuchung über den Ursprung jener 826’000 US-Dollar auf einem Konto Zanbonis in Zürich. Bei dem Geld handele sich dabei um Beratungshonorare, behauptet dieser.
Die Ermittlungen gegen Alstom in der Schweiz dagegen waren nach Zahlung einer Millionenstrafe durch den französischen Konzern vor einiger Zeit eingestellt worden. In dem aktuellen Fall aber sind die Verdächtigen Brasilianer, die Schweizer Banken genutzt haben, um Schwarzgelder zu waschen.
Was die brasilianischen Behörden hat aufhorchen lassen, ist der Umstand, dass die Schweizer Unterlagen wohl zeigen, dass die Gelder von Arthur Teixeira überwiesen wurden. Dieser aber gilt als derjenige, der die Bestechungsgelder vermittelt hat. Genau dieser Link könnte Zaniboni und Venâncio de Araújo in die Bredouille bringen. Darauf hoffen die brasilianischen Ermittler.