Schweiz, schalt auf Überwachung!

Am 25. September stimmt die Schweiz über das Bundesgesetz über den Nachrichtendienst (Nachrichtendienstgesetz, NDG) ab. An dessen Annahme zweifelt niemand – obwohl Experten das Gesetz zerpflücken.

Schweiz, schalt auf Überwachung: Mit der Annahme des NDG kriegt der Geheimdienst – so wollte es der frühere Verteidigungsminister Ueli Maurer – vorher noch nie da gewesene technische Überwachungsmöglichkeiten.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Am 25. September stimmt die Schweiz über das Bundesgesetz über den Nachrichtendienst (Nachrichtendienstgesetz, NDG) ab. An dessen Annahme zweifelt niemand – obwohl Experten das Gesetz zerpflücken.

Es bräuchte wohl ein Wunder – oder einen aktuellen Abhörskandal – um das sich abzeichnende starke Ja zum Bundesgesetz über den Nachrichtendienst (Nachrichtendienstgesetz, NDG) zu kippen. Laut letzten Umfragen liegen die Befürworter um rund 23 Prozentpunkte vorne – unentschieden sind bloss 7 Prozent der Stimmberechtigten. 

Besucht man Veranstaltungen zum Thema, wird schnell klar: Das Volk entscheidet am 25. über ein heisses Eisen. Doch die öffentliche Debatte darüber wird höchstens lauwarm geführt.



Juristin Aileen Kreyden schrieb ihre Masterarbeit über das NDG – mit insgesamt vernichtendem Befund.

Juristin Aileen Kreyden schrieb ihre Masterarbeit über das NDG – mit insgesamt vernichtendem Befund. (Bild: Gabriel Brönnimann)

Das stellte auch die Basler Juristin Aileen Kreyden am Dienstag explizit fest. Die Absolventin der Universität Basel hielt einen Vortrag über ihre Masterarbeit «Das Nachrichtendienstgesetz im Spannungsverhältnis zwischen Recht auf Rechtsschutz und Geheimhaltungsinteresse. – Wie kann bei geheimen Überwachungsmassnahmen Rechtsschutz gewährt werden?»

Paragrafen auf dem Seziertisch

Die bittere Erkenntnis zum Schluss der Präsentation, die von den Demokratischen Juristinnen und Juristen in der Markthalle Basel organisiert wurde: Mit Argumenten für die Privatsphäre und den Schutz der Bürger sind derzeit wohl keine Mehrheiten zu gewinnen. Die Schweiz wird mit dem NDG auf Überwachung schalten. Obwohl das NDG einer genaueren Analyse kaum standzuhalten scheint.

Jedenfalls sind die möglichen Verluste für die Freiheit und den Schutz der Rechte laut Aileen Kreyden bedeutend. Die Expertin zerzauste die Botschaft des Bundesrates (130 Seiten, PDF) zum NDG als insgesamt «wenig hilfreich», sezierte einzelne Paragrafen des NDG und legte damit dar, wo sich neue Felder auftun, die «sehr wenig mit der Sicherheit der Schweiz zu tun haben». Dafür umso mehr mit mehr Rechtsunsicherheiten und möglichen Problemen für unbescholtene Bürgerinnen und Bürger.

Die Begriffe im Gesetz seien – aller Beteuerungen in der Botschaft zum Trotz – derart undeutlich, «dass von einer breiten Überwachung auszugehen ist». Am Ende der kurzen juristischen Tour de Force stand fest: «Sobald diese Kompetenzen gegeben sind, werden sie auch genutzt.» Deshalb brauche es ein gutes, ein eng gefasstes Gesetz. Doch das NDG, so die Vortragende, sei genau dies nicht: «Unübersichtlich», die Begriffe «nicht eng genug gefasst», die Kontrollmechanismen nicht ausreichend, die angebliche Transparenz – je nach Auslegung – nur ein durchsichtiges PR-Versprechen.

Freiheit und Sicherheit?

«Das NDG findet die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit nicht» – so lautete Aileen Kreydens abschliessendes Fazit.

Und trotzdem wird die Schweiz auf Überwachung schalten. Warum, das illustrierte eine Diskussionsrunde, die am Vorabend im Stellwerk Bahnhof St. Johann stattfand: Das Freiheitspodium zum Thema «Freiheit, Sicherheit, Ungewissheit? Das Nachrichtendienstgesetz im Spannungsfeld».



FDP-Regierungsrat Baschi Dürr, für das NDG: «Ein halbes Dutzend Leute sind beim Nachrichtendienst im Kanton Basel-Stadt, man muss irgendwo auch die Relationen wahren.»

FDP-Regierungsrat Baschi Dürr, für das NDG: «Ein halbes Dutzend Leute sind beim Nachrichtendienst im Kanton Basel-Stadt, man muss irgendwo auch die Relationen wahren.» (Bild: Alexander Preobrajenski)

Die Spannung hielt sich am Montagabend allerdings in Grenzen: Die Diskussionsteilnehmer vermieden die versprochene Ergründung von «grundsätzlichen Fragen» wo immer möglich; die in der Einladung vertretene Maxime «aus liberaler Perspektive gilt es dem Überwachungsstaat kritisch gegenüberzustehen» kam mehrheitlich aufgrund allgemeiner politischer Forderungen und Einzelbeobachtungen zur Diskussion – respektive unter Beschuss.

Denn drei von vier Teilnehmern – FDP-Regierungsrat und JSD-Vorsteher Baschi Dürr, Journalist Kurt Pelda und Ex-Avenir-Suisse Direktor Thomas Held – bezogen explizit Stellung für das NDG. Einzige Kritikerin: SP-Grossrätin und Rechtsanwältin Tanja Soland.

Die Killer-Argumente haben die Befürworter – und sie wissen es: Wer sagt, Schweizer Ermittler hätten im Kampf gegen mutmassliche Terroristen und die organisierte Kriminalität derzeit die kürzeren Spiesse, gerade im Vergleich zum Ausland – und das hielten Dürr, Held und Pelda immer wieder fest –, der hat mit dieser Feststellung recht.



Kurt Pelda, Journalist, für das NDG: «Der Nachrichtendienst muss mehr machen können als ich, sonst können wir ihn ja gleich abschaffen.»

Kurt Pelda, Journalist, für das NDG: «Der Nachrichtendienst muss mehr machen können als ich, sonst können wir ihn ja gleich abschaffen.» (Bild: Alexander Preobrajenski)

Killer-Argumente

Wer will schon etwas gegen den Kampf gegen Terroristen sagen? Wer geschickt für das NDG weibelt, der verbreitet bei den Zuhörern ein Sicherheitsgefühl. Dass das Gesetz die Sicherheit auch wirklich erhöht: Diesen Beweis muss niemand erbringen.

Viele der Behauptungen, die an diesem Abend gemacht wurden, blieben unkommentiert im Raum stehen. Held: Es gebe heute keinerlei Hinweise auf und Gründe für möglichen Missbrauch von Überwachungsmitteln durch den Staat, die Armee und das VBS seien zudem der einzig richtige und fähige Ort beziehungsweise das richtige und fähige Departement für die Überwachungsmittel und -aufgaben in der Schweiz, im Übrigen sei die Fichen-Affäre ja eine harmlose Sache gewesen; Dürr: Der Überwachungsstaat sei nicht so, wie man ihn sich vorstelle, bestehe aus wenigen und ganz gewöhnlichen Menschen; Pelda: Hier in Basel werde die Logistik gemacht für den internationalen Terror – er wünsche sich keinen Polizeistaat, aber das müsse man überwachen.



Thomas Held, Ex-Avenir-Suisse-Präsident, für das NDG: «Die Terroristen sind uns technologisch meilenweit voraus».

Thomas Held, Ex-Avenir-Suisse-Präsident, für das NDG: «Die Terroristen sind uns technologisch meilenweit voraus.» (Bild: Alexander Preobrajenski)

Weder fragte die Moderatorin hart nach noch wurden wichtige Themen – etwa die dramatisch veränderten technischen Möglichkeiten in den Händen des Staates – angesprochen. Sollte das NDG vom Stimmvolk angenommen werden, sind diese Möglichkeiten nicht etwa beim Justiz- und Polizeidepartement – sondern beim Militärdepartement und dort konkret beim Nachrichtendienst des Bundes.



Tanja Soland, SP-Grossrätin, gegen das NDG: «Schaut man das Gesetz oberflächlich an, hat man nicht das Gefühl, dass sich viel ändert. Da täuscht man sich. Ich setze lieber auf Polizei, auf Gerichte, auf Strafverfahren.»

Tanja Soland, SP-Grossrätin, gegen das NDG: «Schaut man das Gesetz oberflächlich an, hat man nicht das Gefühl, dass sich viel ändert. Da täuscht man sich. Ich setze lieber auf Polizei, auf Gerichte, auf Strafverfahren.» (Bild: Alexander Preobrajenski)

Rechtsanwältin Tanja Soland formulierte ihren Widerspruch gegen die drei lautstarken Befürworter im Grundsatz so: Es gehe gar nicht darum, ob die Überwacher rechtmässig arbeiteten oder nicht – wichtig sei in erster Linie, «dass das Gesetz gut ist, dafür müssen wir erst einmal schauen».

Wie ihre Fachkollegin Aileen Kreyden ist auch Soland der Ansicht, das NDG erfülle diese wesentliche Grundanforderung nicht.

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