Schweizer Staatsschützer wehren sich gegen den Amerika-Vergleich

Die USA werden von einem Überwachungsskandal erschüttert. Gleichzeitig befinden sich in der Schweiz zwei Gesetze in der Revision, die in eine ähnliche Richtung wie «Prism» zielen. Aber doch ganz anders seien, wie es bei den Behörden beschwichtigend heisst.

Die USA haben ihren Überwachungsskandal, wir in der Schweiz haben das Büpf. (Bild: Michael Birchmeier)

Die USA werden von einem Überwachungsskandal erschüttert. Gleichzeitig befinden sich in der Schweiz zwei Gesetze in der Revision, die in eine ähnliche Richtung wie «Prism» zielen. Aber doch ganz anders seien, wie es bei den Behörden beschwichtigend heisst.

Als erste zogen die Grünen die Parallele: Am Samstag traf sich die «Gruppe Netzpolitik» und veröffentliche danach auf ihrer Website eine Stellungnahme gegen die Revision des Büpf (Bundesgesetz betreffend der Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs) und des NDG (das neue Nachrichtendienstgesetz).

Dabei nahmen die Grünen explizit Bezug auf den Überwachungsskandal in den USA und das Programm «Prism», das den amerikanischen Behörden offenbar umfassenden Zugriff auf die Daten der grossen Internetfirmen und damit auf die Daten der halben Welt gibt. Ziel des amerikanischen Geheimdienstes NSA sei es, jede Unterhaltung in der Welt zu kennen, sagte der Whistleblower Edward Snowden dem «Guardian».

Der Nachrichtendienst und die Daten

Diese Absichten erkennen die Grünen auch beim eigenen Geheimdienst, «dem ich den vertrauensvollen Umgang mit Daten nicht zutraue», sagt der Grüne Nationalrat Balthasar Glättli. Während der Politiker, der sich regelmässig um Netzthemen kümmert, das Büpf nicht grundsätzlich ablehnt und es stattdessen in einigen Punkten abändern möchte (Einsatz von Staatstrojanern, Geltungsbereich, Dauer der Vorratsdatenspeicherung) ist er ein genereller Gegner des neuen Nachrichtendienstgesetzes. Eine Haltung, die die «Gruppe Netzpolitik» teilt: «Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der aktuellen US-Überwachungsskandale spricht sich die Arbeitsgruppe Netzpolitik der Grünen Schweiz gegen das NDG aus.»

Ausweitung der Kompetenzen

Tatsächlich werden die Kompetenzen des Schweizer Nachrichtendienstes mit dem neuen NDG substanziell ausgeweitet. Bisher konnten die Schweizer Spione verdächtige Personen nur auf öffentlichen Plätzen überwachen. Neu sollen Internet und Telefon abgehört werden dürfen und auch private Räume von Verdächtigen sind nicht mehr tabu. Dennoch habe das neue Gesetz nichts mit «Prism» zu tun. «Unsere Aufgabe ist es, die Schweizer Bevölkerung und ihre Freiheit zu schützen», sagt Nachrichtendienst-Sprecher Felix Endrich, «eine flächendeckende Überwachung wäre ein viel zu grosser Eingriff in die persönliche Freiheit der Bürger.»

Der Einsatz von speziellen und gezielten Überwachungsmassnahmen ist nur für drei Bereiche vorgesehen: Terrorismus, Spionage und Proliferation. Explizit ausgenommen von den erweiterten Massnahmen ist Gewaltextremismus – «dort wäre der Eingriff in die Grundrechte zu gross», sagt Endrich.

«Jährlich zehn Fälle»

Will der Nachrichtendienst seine neuen Möglichkeiten anwenden, braucht er dafür die Zustimmung vom Chef des Verteidigungsdepartements, dem Sicherheitsausschuss des Bundesrats und dem Bundesverwaltungsgericht. Diese Bewilligungen sollen nicht zu häufig eingeholt werden: «Wir rechnen jährlich mit etwa zehn Fällen.» Noch bis Ende Juni läuft die Vernehmlassung zum Gesetz, danach wird das Parlament die Vorlage behandeln.

Will der Staat zu viele Daten von den Bürgern?

Unsere Wochendebatte zum Thema. Es diskutieren Denis Simonet (Vorstand der Piratenpartei), Patrick Rohner (Bundesamt für Justiz) und Sie – einloggen und mitmischen.

Schon früher wird das Büpf im Parlament zum Thema: Im Herbst wird der Ständerat die Revision behandeln. Auch die Befürworter des Büpf versuchen nun, möglichst viel Abstand zwischen sich und dem Überwachungsskandal in den USA zu schaffen. Er könne schon verstehen, dass gewisse Kreise – «zu Unrecht» – Parallelen zwischen den beiden Themen ziehen würden, sagt Patrick Rohner vom Bundesamt für Justiz. Denn auch beim Büpf gehe es unter anderem um die Randdaten des Fernmeldeverkehrs, die die Amerikaner von bestimmten Anbietern erhalten «und welche die schweizerischen Strafverfolgungsbehörden auch erhalten können, falls die Voraussetzungen dafür erfüllt sind».

Nur auf Anfrage

Aber es gebe eben auch fundamentale Unterschiede: «In der Schweiz können die Strafverfolgungsbehörden die Daten nur im Rahmen einer Strafverfolgung und bei dringendem Tatverdacht gegen eine bestimmte Person beantragen. In den USA erhalten die Behörden diese Daten bereits präventiv, ohne dass eine Straftat passiert ist», sagt Rohner. Das mache einen riesigen Unterschied.

Und, als zweiter grundsätzlicher Unterschied, würden die Daten in der Schweiz nicht wie in den USA vom Provider «spontan» an den Nachrichtendienst geliefert, sondern nur auf Anfrage der Strafverfolgungsbehörden, soweit die Voraussetzungen für eine Überwachung erfüllt sind. «Bei solchen Systemen kann man – wie in anderen Bereichen – die Gefahr eines Missbrauchs selbstverständlich nicht völlig ausschliessen», sagt Rohner. «Wir haben aber in der Schweiz alles unternommen, um das Missbrauchspotenzial zu minimieren.»

Sensibilisierte Bevölkerung?

Rohner und auch Endrich werden in den kommenden Wochen und Monaten wohl noch häufig beteuern, dass sie alles unternommen haben, um eine möglichst strikte Kontrolle der erhobenen Daten zu gewährleisten. Ihr Job ist seit der Enthüllung im «Guardian» nicht einfacher geworden. Noch verläuft die Diskussion um die Büpf-Revision und das neue Nachrichtendienstgesetz sehr zurückhaltend – wie wir auch in unserer Titelgeschichte von vergangener Woche aufgezeigt haben.

Mit «Prism» hoffen die Gegner der beiden Revisionen nun auf einen grösseren Rückhalt in der Bevölkerung. «Die Sensibilität für das Thema ist nach dem Skandal sicher grösser geworden», sagt Balthasar Glättli, «ob das auch einen Einfluss auf das Resultat hat, wird sich weisen.»

Quellen

Unsere Bequemlichkeit ist schuld – Beitrag auf dem Social Media Watchblog.

Vernehmlassungsunterlagen zum neuen Nachrichtendienstgesetz.

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