Der Sechstagekrieg war schnell vorbei, seine Folgen beschäftigen die Welt aber bis heute. Damals ging es Israel nicht um Gebietsgewinne, heute aber verteidigt die Regierung die besetzten Gebiete als «Heimatland».
Der Sechstagekrieg jährt sich zum 50. Mal. Darum wird diese historische Zäsur jetzt kurz, aber intensiv in Erinnerung gerufen. Dies geschieht in verschiedenen Varianten: mit der Rekapitulation der militärischen Operationen; mit der Erörterung der Frage, wer für diesen Krieg verantwortlich ist; und mit Hinweisen darauf, dass 1967 Israels Siedlungsaktivität eine neue Dimension erhalten hat.
Es leuchtet ein, dass nicht automatisch die Hauptverantwortung trägt, wer den «ersten Schuss» abgibt, und dass der Präventionskrieg eine legitime Form der Selbstverteidigung sein kann. Ägypten, Syrien, Jordanien hatten mit militärischen Aufmärschen das kleine Israel bedroht und mit Propagandakampagnen zu verstehen gegeben, dass ihr Ziel die «Auslöschung» des damals erst 19 Jahre alten Staatsgebildes sei.
Dem waren allerdings sowjetische Fehlinformationen («fake», schon damals) an die arabische Seite vorausgegangen, wonach Israel einen Angriff gegen Syrien vorbereite.
Casus belli am Golf von Akaba
Kam hinzu, dass Ägypten die Meerenge von Tiran am Golf von Akaba für die israelischen Schiffe sperrte, was Israel als existenzbedrohende Handlung einstufte, obwohl bloss fünf Prozent der Importe über diesen Weg erfolgten. Bloss: Die Gegenseite wusste sehr wohl, dass diese Blockade für Israel einen Kriegsgrund (casus belli) bedeuten würde.
Der israelische Regierungschef Levi Eschkol vertrat zunächst jedoch den Standpunkt, dass das Vorliegen eines Kriegsgrundes nicht zwangsläufig einen Krieg nach sich ziehen müsse. Der militärische Sachverstand sah dies anders und setzte sich durch. Und die USA waren damit einverstanden.
Es sah so aus, als ob die arabische Seite nach den beiden für sie negativ ausgegangenen Kriegen von 1948 und 1956 mit einer erdrückenden Überlegenheit (im Verhältnis 100:3) antreten würde. Der weitere Verlauf lehrte aber, dass nicht zwingend die Zahl der Truppen und die Menge an Kriegsmaterial ausschlaggebend sind, sondern die operative Qualität und vor allem die Motivation.
Der Krieg wurde schliesslich durch die Präsenz sowjetischer Kriegsschiffe vor der syrischen Küste gestoppt. Und die USA wollten keinen weiteren Krieg – sie hatten schon einen in Vietnam.
Banal-brutaler Krieg
In der Erzählung dieses Feldzuges dominiert die kühne Aktion der unter der gegnerischen Radar-Erfassung durchfliegenden israelischen Kampfflugzeuge, die auf einen Schlag die feindliche Luftwaffe ausschalteten und die entscheidende Lufthoheit erlangten. Diese Geschichte überdeckt, was am Boden geschah, in den militärischen Kämpfen und im Umgang mit der Zivilbevölkerung.
Erst jetzt erfahren wir, etwa durch eine Reportage, die der damals noch unbekannte Schriftsteller Amos Oz zusammengestellt hatte und die erst jetzt gezeigt werden durfte (etwa auf «Arte» am 6. Juni 2017, in der Schweiz online nicht verfügbar), wie banal-brutal auch dieser Krieg war. Auf arabischer Seite fielen rund 17’000 Soldaten, auf israelischer Seite waren es 779.
Im Schatten des Krieges von 1967 kam es erneut zu ethnischen Säuberungen. Auf die «Nakba» (Katastrophe) – wie die Vertreibung von vier Fünfteln der palästinensischen Bevölkerung (750’000) in den Jahren 1947–1949 im arabischen Sprachraum bezeichnet wird – folgte die als «Naksa» (Rückschlag) bezeichnete Vertreibung von rund 300’000 Menschen (vgl. Dominique Vidal in «Le Monde diplomatique» vom 1. Februar 2017).
Die militanten Palästinenser (PLO) setzten sich nach Jordanien ab, wurden von dort aber weitervertrieben, zunächst in den Libanon, dann vorübergehend nach Tunesien.
Ein Fehler der arabischen Seite war, dass sie nach der Niederlage das israelische Verhandlungsangebot kategorisch ablehnte.
Im Sechstagekrieg wiederholte sich, was im Krieg von 1948 eingetreten war: Die Gegner Israels machten Fehler und Israel profitierte davon. 1967 bestand ein Fehler der arabischen Seite darin, dass sie nach der Niederlage das israelische Verhandlungsangebot kategorisch ablehnte.
Die Kritik am Unrecht – nämlich der Dauerbesetzung der 1967 eroberten Gebiete – wird gerne mit dem Argument weggewischt, dass der arabischen Seite 1948 ja eine bessere Lösung zur Verfügung gestanden hätte, sie diese aber nicht habe annehmen wollen. Selber Schuld!
Ägypten verlor mit dem Krieg von 1967 die Sinaihalbinsel, Syrien die Golanhöhen und Jordanien die Westbank sowie Ostjerusalem, alles in allem ein Gebiet dreimal grösser als Israel. Gewinn von Siedlungsraum war auf israelischer Seite aber kein Kriegsziel. Ein Ziel hätte allenfalls darin bestehen können, eine erweiterte Sicherheitszone zur besseren Verteidigung des schmalen Landstreifens am Mittelmeer zu gewinnen.
«Am heiligsten unserer heiligen Orte»
Es stellte sich die Frage: Was anfangen mit den eroberten Gebieten? Für das in den Jahren 1948–1967 geteilte Jerusalem galt, was der Verteidigungsminister Moshe Dayan am 7. Juni 1967 erklärte: «Wir haben Jerusalem, die geteilte Hauptstadt Israels, wiedervereint. Wir sind zum heiligsten unserer heiligen Orte zurückgekommen, um uns nie wieder von ihm zu trennen.»
Der Golan wurde 1981 de facto annektiert. Der 1956 schon einmal eroberte Sinai wurde nach 1979 im Tausch gegen Frieden in Etappen wieder an Ägypten zurückgegeben. Der Gazastreifen wurde anfänglich kolonisiert und dann in ein bis heute bestehendes grosses Gefängnis umgewandelt. Die Westbank blieb Besatzungsland und ist trotz Anpassungen noch immer einem unmenschlichen Besatzungsregime unterworfen.
Der Sechstagekrieg ist – auch in der Schweiz und speziell in der Schweiz – als ein ungleicher Kampf zwischen dem israelischen David und dem arabischen Goliath wahrgenommen worden. Mit 1967 kehrte sich jedoch das Verhältnis trotz der erneuten Gefährdung von 1973 im 4. Nahost-Krieg um: Israel war fortan – aber nicht zu seinem Vorteil – der Goliath.
Darum konnten die im Namen Israels handelnden Regierungen in den letzten 50 Jahren rücksichtslos die Lebensbedingungen in den besetzten Gebieten bestimmen und völlig einseitig die Bedingungen für einen allfälligen Friedensschluss diktieren. Dessen ist neben den sechs Kriegstagen jetzt ebenfalls zu gedenken.
Israel lässt sich weder von der internationalen Staatengemeinschaft noch von den ihm eng verbundenen USA vorschreiben, wie dieser Friede auszusehen hat, und beharrt auf «direkten Gesprächen» in völlig asymmetrischen Machtverhältnissen am Verhandlungstisch.
Israel versucht die Anerkennungsfrage zu monopolisieren und zu verhindern, dass Palästina durch andere Staaten anerkannt wird.
Gegenstand solcher Gespräche sollte mit der Formel der «Zweistaatenlösung» die unter sehr restriktiven Bedingungen allenfalls möglich erscheinende Anerkennung eines palästinensischen Staates neben dem 1948 ausgerufenen Staat Israel sein.
Israel versucht die Anerkennungsfrage zu monopolisieren und zu verhindern, dass Palästina durch andere Staaten anerkannt wird. Entsprechend harsch fiel die Reaktion aus, als 2012 eine UNO-Mehrheit das palästinensische Reservat leicht aufwertete und ihm den Beobachterstatus zuerkannte.
Wie schon 2011 bei der Einräumung der Vollmitgliedschaft in der Unesco reagierte die israelische Regierung mit Strafmassnahmen, indem sie im Rahmen eines ohnehin bestehenden Planes auch 2012 den Bau weiterer Siedlungen in der Westbank ankündigte. Im früheren Fall kam als Strafe die Blockierung von Steuergeldern hinzu, die Israel im Namen der palästinensischen Behörden einzieht und die unter anderem für die Bezahlung der palästinensischen Polizeikräfte benötigt werden.
Zweistaatenlösung auf der Kippe
Das Selbstverständnis der israelischen Regierung, nach eigenem Gutdünken «Strafen» selbst für die blosse Nutzung diplomatischer Möglichkeiten verhängen zu dürfen, zeigt die bestehenden Kräfteverhältnisse und die Arroganz der Übermächtigen. Auch ohne Zuhilfenahme des Strafarguments werden auf palästinensischem Privatbesitz errichtete Aussenposten nachträglich legalisiert (zuletzt im Februar 2017).
Die früher hochgehaltene Zweistaatenlösung steht auf der Kippe. Von den erstarkten rechtsnationalen Kräften – die ein Gross-Israel anstreben und in der 1967 eroberten Westbank ein vor Tausenden von Jahren von Gott dem Erzvater Jakob geschenktes Gebiet sehen – ist sie ohnehin nie akzeptiert worden.
Erschwert wird eine Zweistaatenlösung speziell durch die Siedler. 1977 gab es erst 5000, inzwischen ist ihre Zahl (ohne die 200’000 in Ost-Jerusalem) auf über 400’000 angewachsen. Die Zweistaatenlösung hat darum seit einiger Zeit nur noch die Funktion einer Hinhalteparole, um den Siedlungsprozess in der Westbank weitertreiben zu können. Es erstaunt nicht, dass Regierungschef Netanyahu in der Sondersitzung der Knesset aus Anlass des 50. Jahrestages des Sechstagekrieges die «Stärkung des Siedlungswerks» in Aussicht gestellt und erklärt hat, Israel sei mit der Besetzung der Westbank «berechtigterweise in unser Heimatland» zurückgekehrt.
Gegen Völkerrecht und Eigeninteressen
Die Debatte um die stets weiter ausgreifende Inanspruchnahme der Westbank dreht sich vor allem um zwei Punkte: dass sie einen gravierenden Verstoss gegen das Völkerrecht bedeutet und dass sie, was auch den wohlverstandenen Interessen Israels widerspreche, die Bildung eines palästinensischen Staates verunmögliche.
Dabei tritt ein anderer Gesichtspunkt viel zu wenig in Erscheinung: die tagtäglichen Verletzungen der Menschenrechte, die unter Berufung auf die Sicherheitsfrage vom Besatzungsregime und von den bestens beschützten extremistischen Siedlern begangen werden. Darauf wird zwar immer wieder hingewiesen, auch und insbesondere von jüdischen Friedensaktivisten, schon früher und gerade in diesen Tagen etwa in Haifa.
Das ist etwas, an das auch wir uns noch lange erinnern sollten, wenn wir den Sechstagekrieg jetzt kurz vorgesetzt bekommen. Erinnerungshilfe liefert Nir Barams Buch «Im Land der Verzweiflung. Ein Israeli reist in die besetzten Gebiete». Es sind Erinnerungen an die Gegenwart und die Zukunft.