Sechzig Kehlen für ein Halleluja

Grosse Ehre für die Knaben­kantorei Basel: Sie durfte in Rom für den Papst singen. Die TagesWoche war dabei.

Franziskus bedankt sich auf Deutsch und gibt jedem KKBler persönlich die Hand. (Bild: Matthias Oppliger)

Grosse Ehre für die Knaben­kantorei Basel: Sie durfte in Rom für den Papst singen. Die TagesWoche war dabei.

Auf den ersten Blick unterscheidet sich ein Pilger von einem welt­lichen Touristen nur wenig. Beide shoppen exzessiv Souvenirs, beide kleiden sich bunt gemustert und ­atmungsaktiv, beide werden ausfällig, wenn sie irgendwo in einer langen Schlange anstehen müssen. Einzig die Motivation ist unterschiedlich. Während der Tourist auszieht, um seinen Hunger nach kultureller, sozialer und – profaner – gastronomischer Nahrung zu stillen, dürstet es den Pilger nach geistlichen Erlebnissen.

Nun aber zu etwas Handfestem: Mit blanken Fäusten erkämpft sich eine Pilgergruppe mit gelben Francesco-Halstüchern ein Halleluja in der wartenden Menge vor dem ­Petersplatz in Rom. Der spirituelle Gewinn verlangt vollen Körpereinsatz. Das kann ins Auge gehen, zum Beispiel in das eines jungen Sängers der Knabenkantorei Basel (KKB). Das Anstehen für die Generalaudienz des Heiligen Vaters Papst Franziskus entwickelt sich in der heissen Phase zu einem mittleren Gerangel, was bei einigen der jüngsten KKBlern für ­Tränen sorgt. Wenige Meter vor den Toren, eigentlich Detek­toren, wird auch die frommste Nonna zur Furie. Wär ja gelacht, wenn ein paar Touristen die besseren Plätze vor Gottes Gnaden ergattern würden.

Konzert vor 100’000 Menschen

Die KKB ist auf Besuch in Rom, es ist der letzte und gleichzeitig prestigeträchtigste Tag ihrer Konzertreise. Gesungen haben die Knaben und Männer in verschiedenen Kirchen, in der Petersbasilika und in der Schweizer Botschaft. Und heute singen sie für den Papst. Vor über 100’000 Leuten auf dem Petersplatz unter einem strahlend blauen Himmel.

Während sich die rüpelhafte Nonna von vorhin weit hinten auf ihrem Platz mit Francesco-Wimpel und Wasserflasche einrichtet, rücken die KKBler etwa zwanzig Meter vom päpstlichen Sitz entfernt ihre Stühle zurecht. Die Plätze sind formidabel. So nahe dran, dass sich links und rechts diverse Anzugträger mit Knopf im Ohr und Pistole am Gürtel postieren.

FCB-Trikot und Läckerli für Franziskus

Die gut gekleideten Herren scheinen alle genau zu wissen, was sie ­erwartet. Anders die KKB. Dirigent Markus Teutschbein hat keine Ahnung, wann der Chor singen darf oder für wie lange. Obwohl sie das Programm nicht kennen, sind die Knaben recht entspannt. Einer beschäftigt sich mit seinem Sandwich, ein anderer mit einem Spiel auf seinem Smartphone. Ein dritter klagt darüber, dass ihm warm sei in seinen Konzertkleidern (burgunderfarbene Plüschpullover, weisse Kragen, schwarze Hosen).

Irgendwann fragt ein junger Blonder nach, ob man sich denn nicht einsingen wolle. Dirigent Teutschbein rät zur Gelassenheit. Chormanager Stephan Schöttli wühlt derweil in seinem Rucksack nach den Geschenken für Franziskus: Ein FCB-Trikot mitsamt allen Unterschriften der Spieler, dazu klassisch eine Schachtel Basler Läckerli.

Franziskus wird durch die Menge gefahren, winkend und lächelnd.

Dann kommt Bewegung in die Massen, Rufe erklingen, Fähnchen und Transparente werden geschwenkt, Babys hochgehalten. Da und dort entschweben Gläubige in Sphären, die getrost als hysterisch bezeichnet werden dürfen.

Der Papst erscheint, auf dem Papamobil wird er durch die Menge gefahren, winkend und selig lächelnd. Der Petersplatz wurde in verschiedene Sektoren unterteilt, die Besucher der päpstlichen Audienz entsprechend aufgeteilt. So bleiben breite Durchfahrtswege für das Papamobil und alle kommen in den Genuss des passierenden Papstes. Auch wenn sich Franziskus gerade nicht in Sichtweite befindet, seine Position lässt sich an der Blickrichtung der Teleobjektive der unzähligen Foto- und Fernsehjournalisten jederzeit ablesen.

Der weisse Mercedes taucht auf aus den Massen und erklimmt mit Franziskus an Bord die Stufen zum Vorplatz des Petersdoms, Geländegängigkeit sei Dank. Der Papst nimmt im Schatten Platz, rechts von ihm sitzen in mehreren Reihen die Bischöfe (violette Bauchbinde) und einige wenige Kardinäle (rot).

Nach dem Vaterunser gilts ernst

Franziskus spricht in seiner Katechese vom Jüngsten Gericht und davon, dass uns dieses Ansporn sein soll, ein besseres Leben zu führen. Einige der Bischöfe übersetzen und fassen seine Predigt zusammen.
Nach dem Vaterunser gilt es ernst für die weitgereisten Basler Sängerknaben: Einer der Anzugträger lässt Teutschbein wissen, dass die KKB nun singen dürfe.

Der Dirigent springt auf, die Sänger erheben sich, die Teleobjektive schwenken auf die weinrote Truppe. Das Surren der Kameras wird vom hellen Gesang des Soprans übertönt, Bass und Alt mischen sich ein, geben den Klängen Tiefe und Sub­stanz. ­Lateinische Zeilen kommen zu Hause an.

Den Papst dürften die schönen Klänge gerade noch erreichen, die Pilgermassen aber müssen sich mit den Bildern auf den Grossleinwänden begnügen. Ein kleines – um nicht zu sagen klägliches – Mikrofon auf einem wackligen Ständer soll den Gesang einfangen und verstärken, was ein frommer Wunsch bleiben dürfte.

Franziskus bedankt sich auf Deutsch und gibt allen die Hand.

Ein anderer Wunsch dagegen geht in Erfüllung. Chormanager Schöttli sagte vor der Abreise: «Ich hoffe, wir dürfen Franziskus unsere Geschenke persönlich überreichen.» Und tatsächlich gelingt es zwei der Knaben, bis zum Papst vorgelassen zu werden. Franziskus steigt vom Papamobil, nimmt die Geschenke in Empfang und bedankt sich auf Deutsch für den schönen Gesang. Auch wenn die Schweizergardisten langsam nervös werden, lässt es sich der Papst nicht nehmen, jedem der Knaben einzeln die Hand zu geben. Innert Sekunden ist der weissgewandete höchste ­Katholik von den Jungen in ihren ­roten Pullovern umringt. Kameras klicken, Smartphones filmen, die Knaben und ihre Begleiter können es kaum fassen.

Beim Verlassen des Petersplatzes werden SMS getippt und Scherze ­gemacht, die Aufregung legt sich langsam. Ein Achtjähriger bringt es auf den Punkt, abgeklärt, reines Understatement: «Das war doch mal etwas anderes.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.05.13

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