Geht es nach dem Kanton und den SBB, bleibt auf dem Lysbüchel-Areal kein Stein auf dem anderen. Das Gewerbe- und Industriegebiet im äusseren St. Johann soll zu einem neuen Stadtteil herausgeputzt werden. Eine Übersicht.
Als vor sieben Jahren mit dem Bau des markanten Backsteingebäudes «VoltaWest» begonnen wurde, ahnten die Inhaber der rund 25 Gewerbe- und Industriebetriebe hinter dem Bahnhof St. Johann noch nicht, dass der Neubau ein Vorbote ihrer Verdrängung sein würde. Die sogenannte Aufwertung des St. Johann ist noch nicht zu Ende und soll auf dem Lysbüchel-Areal ihre Fortsetzung finden: Die 11,6 Hektaren Industriezone zwischen Bahnhof St. Johann, Schlachthofstrasse und Elsässerstrasse sollen in den nächsten Jahren gemischt genutzt werden – Schrottplätze und Lagerhallen werden Wohnungen und Büros Platz machen. So will es der Kanton gemeinsam mit den SBB, denen das Lysbüchel-Areal grösstenteils gehört.
Der Basler Baudirektor Hans-Peter Wessels (SP) sieht das Projekt Lysbüchel-Areal/VoltaNord als grosse Chance für die Entwicklung Basels: «Zahlreiche Interessenten möchten in Basel investieren, um mehr Wohnraum und neue Arbeitsplätze zu schaffen – entsprechendes Bauland ist jedoch äusserst knapp. Das stark unternutzte und nach dem Auszug von Coop zum Teil brachliegende Lysbüchel-Areal bietet die Möglichkeit, mehr Gewerbe als bisher sowie neue Arbeitsplätze im nördlichen Bereich und zahlreiche neue Wohnungen im Süden aufzunehmen», sagt er.
Kein richtiger Lärm mehr möglich
Gegen diese Entwicklung wehren sich die dort angesiedelten Betriebe, unterstützt werden sie dabei vom Gewerbeverband Basel-Stadt. «Jetzt können wir hier richtig Lärm machen und stören niemanden dabei. Wenn Wohnungen und andere Bauten dazukommen, wird das unmöglich für uns», sagt etwa Jean-Marc Wallach von der IG Lysbüchel und Chef des Recyclingunternehmens Schmoll AG. Für eine Mischnutzung des Areals braucht es eine Bewilligung des Grossen Rates. Die Gewerbler erhoffen sich viel von diesem politischen Prozess und versuchen derzeit intensiv, die Grossrätinnen und Grossräte auf ihre Seite zu ziehen.
Wessels will nicht noch mehr Öl ins Feuer giessen und zeigt Verständnis für die Situation des Gewerbes: «Als Kanton halten wir die SBB dazu an, den betroffenen Betrieben bei Interesse Ersatzflächen auf dem Areal anzubieten. Für die betroffenen Gewerbler ist die Situation dennoch schwierig, weil es nahezu unmöglich ist, gleich günstige Ersatzflächen an derart zentraler Lage zu finden.» Für einige Betriebe könnte das vom Kanton und dem Gewerbeverband gemeinsam geplante Gewerbehaus an der nahe gelegenen Neudorfstrasse eine Option sein, schlägt er vor.
Hinter dem Bahnhof St. Johann spielt sich also ein Seilziehen um eines der letzten zusammenhängenden Industriegebiete des Stadtkantons ab. Immer mehr gerät das bisher unbekannte Gebiet in den Fokus der Öffentlichkeit – Zeit für eine Übersicht, was sich alles auf dem Lysbüchel-Areal verändern soll, und wer die Player sind.
Durch Klicken auf die Areale erfahren Sie mehr über die Grösse, die heutige Nutzung und die geplanten Projekte. Das Gebiet der SBB ist gelb eingefärbt, dasjenige des Kantons türkis und dasjenige der Stiftung Habitat orange.
Den SBB gehören insgesamt 65’000 Quadratmeter auf dem Lysbüchel-Areal. Momentan sind gemäss den SBB 40 Prozent dieses Geländes überbaut. Für die Zukunft wollen sie eine Nutzung, die mehr Geld abwirft: Die Planung für das Areal Lysbüchel sieht vor, einen Teil des Areals in der Industrie- und Gewerbezone zu belassen, einen Teil zu einem gemischt genutzten Stadtquartier zu entwickeln und dazwischen als «Pufferzone» ein Gebiet für mässig störende Betriebe – wie zum Beispiel Büros – einzurichten.
«Damit kann Wohnraum für mehrere Tausend Personen geschaffen werden. Zum jetzigen Planungsstand gehen wir von einem Einwohnerpotenzial von 1600 bis 2500 Personen aus. Die Zahlen zu den Industriearbeitsplätzen variieren, werden aber ebenfalls deutlich grösser als die heutige Anzahl Arbeitsplätze auf dem Areal», sagt SBB-Sprecherin Lea Meyer. Von der Entwicklung betroffen sind rund 25 Betriebe, diese haben letzten April von den SBB die Kündigung erhalten. Die Firmen im nördlichen Teil des Areals müssen bis Ende 2017 raus, die Firmen im südlichen dürfen bis August 2019 bleiben. Die Verträge der SBB mit den Baurechtsnehmern laufen 2021 aus.
Die Realisierung der Mischnutzung ist ab 2018 geplant. Für jedes Baufeld wollen die SBB einen Architekturwettbewerb ausschreiben. «Aktuell gehen wir von sechsgeschossigen Gebäuden mit einzelnen höheren Gebäuden aus. Zentrum des Areals ist ein neuer Quartierplatz, welcher auch der vorgesehenen Primarschule zugutekommen soll.»
Coop schliesst 2017 sein Verteilzentrum an der Elsässerstrasse. Das fast 47’000 Quadratmeter grosse Gelände wurde im Juni 2013 an den Kanton und die Stiftung Habitat verkauft. Geplant sind ebenfalls Wohnungen, Arbeitsplätze und ein Primarschulhaus. Auf dem vom Kanton erworbenen Teil des heutigen Coop-Areals (rund 34’300 Quadratmeter) sollen laut Thomas Waltert, Projektleiter im Planungsamt, die bestehenden Liegenschaften Elsässerstrasse 209 und 215 erhalten und für gewerbliche Zwecke umgenutzt werden. Im Bau an der Elsässerstrasse 209 ist «zumindest in einem Teil des Gebäudes» eine Schulnutzung vorgesehen, bei der Elsässerstrasse 215 sollen «niederschwellige gewerbliche und/oder kulturelle Nutzungen möglich sein».
«Die übrigen Gebäude werden voraussichtlich abgebrochen und die Flächen anschliessend im Baurecht dem gemeinnützigen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt», so Waltert. Momentan geht man von 200 bis 250 solchen Wohnungen aus. Alle Grundeigentümer würden die Realisierung von erschwinglichem Wohnraum anstreben. Wohnraum im Hochpreissegment sei aufgrund der Lage nicht zu erwarten.
Der Bebauungsplan für das Lysbüchel-Areal soll «im besten Fall» bis 2017 durch den Grossen Rat beschlossen werden. «Das Areal wird wohl etappenweise entwickelt, eine Prognose zum Abschluss der Entwicklung ist heute nicht möglich. Erste Wohnbauten sollen jedoch bis 2021 realisiert sein», sagt Waltert. Eine neue Tram- oder Busverbindung für das Areal ist nicht vorgesehen. Die ÖV-Haltestellen an der Elsässerstrasse und beim Bahnhof St. Johann sollen jedoch besser zugänglich gemacht werden.
Die Stiftung Habitat hat rund 12’400 Quadratmeter Fläche von Coop erworben. Das Gebiet der Habitat liegt nicht in der Industrie- und Gewerbezone, sondern bereits in der Wohnzone. «Wir sind momentan noch dabei, das Projekt konkret zu definieren. Wir wollen uns Zeit lassen – eine sorgfältige Planung und die inhaltliche und bauliche Anbindung ans Quartier stehen für uns im Vordergrund», sagt Geschäftsführer Klaus Hubmann. Auch wolle man die Erfahrungen des im Bau befindlichen Projekts Erlenmatt Ost einfliessen lassen. «Die Wohnzone 5a auf unserem Arealteil hat Potenzial für 250 bis 300 Wohnungen. Vor 2018 wird aber sowieso nicht gebaut, da Coop bis Mitte 2017 bleibt.» Prüfen will die Stiftung Habitat laut Hubmann auch die Umnutzung des jetzigen Coop-Weinlagers in Wohnraum.