Seit sie bei der Polizei ist, haben sich die Notrufe versechsfacht

Die Polizei gilt in der Ukraine als besonders korrupt. Die Regierung will das mit einer neuen Strassenpolizei ändern, die jung und fotogen ist. Die Kiewer feiern die Polizisten wie Popstars.

Seit dem 4. Juli 2015 sind in den Strassen Kiews etwa 2000 neue, äusserst fotogene Polizisten und Polizistinnen im Einsatz – wie Ljudmila Milewitsch.

(Bild: Simone Brunner, n-ost)

Die Polizei gilt in der Ukraine als besonders korrupt. Die Regierung will das mit einer neuen Strassenpolizei ändern. Sie soll zum Vorbild für die gesamte Ukraine werden. Die Kiewer feiern die Polizisten wie Popstars.

Wenn Ljudmila in ihrer Uniform durch die Strassen Kiews geht, wird sie ständig angehalten. «Ihr seid super!», hebt ein Junge den Daumen im Vorbeigehen. «Darf ich ein Foto mit Ihnen machen?», fragt ein junger Mann. «Natürlich!», strahlt Ljudmila und streicht ihre langen, schwarzen Haare über der Uniform glatt. Knips.

Ljudmila Milewitsch, braun gebrannt, schlank, perfekter Lidstrich, ist 27 Jahre alt. Am 4. Juli wurde sie gemeinsam mit 2000 anderen zur neuen Kiewer Strassenpolizei vereidigt. «Wir haben keine Erfahrung, aber den absoluten Willen, etwas zu verändern», sagt Ljudmila, die zuvor in der juristischen Abteilung einer Bank gearbeitet hat. «Ich möchte bei den Ersten sein, die versuchen, den Staat neu aufzubauen.»

Alles neu – das ist das Motto der neuen Kiewer Polizei: Neue Uniform, neue Autos, neues Personal. Für die Stellen wurden nur Anwärter zwischen 21 und 35 Jahren angenommen. Jeder vierte Polizist ist eine Frau. Es gibt sogar einen neuen Namen: Hiessen die Einsatzkräfte bis zuletzt in sowjetischer Tradition «Miliz» (milizija), so wurden sie jetzt in «Polizei» (polizija) umbenannt.




Jung und fotogen galt auch für die männlichen Kollegen als Kriterium.

In Kiew werden die neuen Polizisten wie Popstars gefeiert. Schnell bilden sich Menschentrauben, wenn die weissen Toyota Prius mit dem Blaulicht anhalten. Auch in den sozialen Medien sorgen die neuen «Cops» für Furore: Passanten machen Selfies mit den neuen Polizisten. Auf Twitter gibt es schon Tausende Einträge unter dem Hashtag #Kyivpolice. Auch Buzzfeed titelte zuletzt zu den «neuen heissen Polizisten von Kiew», während der russische Auslandssender RT über die neue Einheit ätzte: «Zieht die ‹Police Academy› jetzt etwa in die Ukraine?»

«Ihr werdet eure Gesundheit und sogar euer Leben riskieren, aber die wirkliche Gefahr ist nicht dort, wo Kugeln fliegen, sondern wo Banknoten rascheln», sagte der Präsident Petro Poroschenko bei der Vereidigung. Die Exekutive gilt in der Ukraine als besonders korrupt. Bei einem Durchschnittsgehalt von 2500 Hrywnja (rund 110 Euro) war es üblich, zumindest mit Bestechungsgeldern ein finanzielles Auskommen zu finden. Für die neue Kiewer Polizei wurden die Gehälter auf 8000 bis 10’000 Hrywnja (umgerechnet 350 bis 435 Euro) erhöht. «Ihr seid das lebendige Beispiel dafür, dass es in unserem Land fundamentale Veränderungen gibt», so Poroschenko weiter.

Denn der Hunger nach Reformen ist gross. Laut einer aktuellen Umfrage glauben nur 12 Prozent der Ukrainer daran, dass derzeit wirklich Reformen durchgeführt werden. Dass die Kiewer derart euphorisch auf die neue Polizei reagierten, sei da nur verständlich, so der Politologe Wladimir Fesenko: «Das ist schlichtweg die erfolgreichste Reform der Regierung, die zugleich auch für die einfachen Bürger am sichtbarsten ist.»

«Das ist schlichtweg die erfolgreichste Reform der Regierung, die zugleich auch für die einfachen Bürger am sichtbarsten ist.»

Politologe Wladimir Fesenko

Die stellvertretende Innenministerin Ekaterina Sguladse hat die Polizei innerhalb von sechs Monaten auf die Beine gestellt. Sguladse ist Georgierin und hat dort bereits unter der Präsidentschaft von Micheil Saakaschwili eine viel gelobte Polizeireform verantwortet. «Wir sehen schon einen deutlichen Anstieg des Vertrauens», sagt Sguladse. So hätten etwa die Notrufe schon um das Sechsfache zugenommen. Zuletzt haben vor allem die Ereignisse am Maidan die Kluft zwischen Bevölkerung und der Exekutive noch weiter vertieft, als sich Demonstranten und Polizisten monatelang gegenüberstanden. «Wir müssen den Leuten in Uniformen wieder ihren Stolz zurückgeben, denn wir brauchen Polizisten, die sich selbst und somit auch die Bürger respektieren», sagt Sguladse.

Kamera überwacht jeden Schritt der neuen Polizisten

Stolz und Respekt bedeuten für die Polizisten derweil aber vor allem eines: Überwachung. So wird jeder Polizist über eine Kamera auf der Brust ständig gefilmt. Der Standort jedes Polizeiautos wird über GPS kontrolliert, Tablets speichern zusätzliche Informationen. Die totale elektronische Überwachung als Gegenmittel?

«Natürlich haben die Leute versucht, mir Bestechungsgelder zuzustecken», räumt Ljudmila ein. «Aber dann weise ich sie darauf hin, dass ich eine Kamera habe und sie damit gegen ein Gesetz verstossen.» Wie es sich anfühlt, im Job ständig beobachtet zu werden? Ljudmila winkt ab. «Das fällt mir gar nicht mehr auf. Und genau genommen ist es zu meinem eigenen Schutz, wie auch zum Schutz der Bürger.»

«Die Kamera ist da zu meinem eigenen Schutz, wie auch zum Schutz der Bürger.»

Ljudmila Milewitsch

Viel mehr als über die Überwachung, wurde über die Kosten diskutiert, sagt Sguladse: «Es gab Kritik daran, dass wir uns diese Instrumente mitten in einer finanziellen Krise leisten. Das sind aber keine Spielzeuge, sondern wichtige Investments, die wir brauchen, um einen neuen Standard aufzubauen.» Die Polizeireform wurde von internationalen Geldgebern wie etwa der US-Regierung (15 Millionen Dollar) oder der kanadischen Regierung (fünf Milliarden kanadische Dollar) unterstützt. Viele der Polizisten wurden zudem von Trainern aus den USA, aus Kanada oder aus Japan ausgebildet.

Die neue «polizija» soll zum Vorbild für die gesamte Ukraine werden. Neue Einheiten werden derzeit in Odessa, in Lwiw, in Charkiw, in Uschhorod und Mykolajiw aufgestellt. «Wir brauchen ein starkes Beispiel, um zu zeigen, dass wir die alten Probleme bewältigen können», sagt Sguladse.

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