Kämpfe, Begegnungen und Bretter, die die Welt bedeuten: Auf Kulturaustausch im kurdischen Nordirak mit der Volksbühne Basel.
Romeo und Julia bei der Dohuk-Premiere von «Selam Habibi».
(Bild: Jonas Schaffter)Im Reisebus hoch über Dohuk sorgt Schauspieler Nadim Jarrar für Stimmung.
(Bild: Jonas Schaffter)«Welcome to Iraqi Kurdistan!» Gärtner in Dohuk.
(Bild: Jonas Schaffter)Strassenleben in Dohuk.
(Bild: Jonas Schaffter)Herausgeputzt für den Theaterabend.
(Bild: Jonas Schaffter)Romeo und Julia bei der Dohuk-Premiere von «Selam Habibi».
(Bild: Jonas Schaffter)Volles Haus an der Dohuk-Premiere.
(Bild: Jonas Schaffter)Auch in den lokalen Medien sorgt die Schweizer Theater-Produktion für hohe Wellen.
(Bild: Jonas Schaffter)Blick über den Stausee von Dohuk. Nicht weit dahinter beschützen 10'000 Peschmerga-Kämpfer die Region vor dem IS.
(Bild: Jonas Schaffter)Tanzen an einem der unzähligen Feste. Mittendrin Julia-Darstellerin Zeynep Yaşar.
(Bild: Jonas Schaffter)«Das wird uns alle verändern.» Anina Jendreyko sitzt im Hirscheneck und zieht an ihrer Zigarette. In knapp zwei Wochen werde ich mit der Regisseurin und ihrer 16-köpfigen Theatergruppe für ein Gastspiel nach Dohuk in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak reisen. Nordirak, das klingt nach IS, nach Enthauptungsvideos, nach Massenfluchten und Autobomben. Nordirak klingt nicht nach Kulturaustausch. Und genau darum will Jendreyko dahin: «Weil Kurdistan offiziell nie als Land anerkannt wurde, ist es für die Kurden unglaublich schwer, eine Brücke zum Rest der Welt zu schlagen. Hier wollen wir ansetzen.»
Romeo und Julia in Kurdistan
Also setzte Jendreyko an. Sie fuhr mehrere Male nach Dohuk, traf sich dort mit Vertretern des Kulturamts und Kulturschaffenden der Stadt und schmiedete mit diesen einen Plan: Jendreyko bringt das multikulturelle Ensemble der Volksbühne Basel nach Dohuk, um das Stück «Selam Habibi» aufzuführen. Die Romeo-und-Julia-Interpretation sei die perfekte Wahl für ein Gastspiel in Kurdistan, findet die Regisseurin: «‹Selam Habibi› handelt von einem Konflikt zwischen Menschen, die ganz unterschiedlich sind und doch in einer Gesellschaft zusammenleben – wie in Kurdistan, das geprägt ist von der Durchmischung von Menschen verschiedener Herkunft und Glaubensrichtungen.»
«Es ist wichtig, eine Kulturbrücke aufzubauen»: Regisseurin Anina Jendreyko im Mittelpunkt der kurdischen Medien. (Bild: Jonas Schaffter)
Nach der Einladung folgte der Spiessrutenlauf durch verschiedene Behörden und Institutionen. Das EDA riet von der Reise ab und die Schauspieler des Ensembles konnten erst nach langen Gesprächen überzeugt werden. Ausserdem musste das Stück neu geprobt werden. Das ROXY stellte Räume und Infrastruktur zur Verfügung und unterstütze die Produktion.
«Das wird total gut!», freut sich Jendreyko im «Hirscheneck» und erzählt vom Leben in Dohuk und dem nahe gelegenen Grenzstreifen zum Irak, wo Peschmerga-Streitkräfte seit einem Jahr gegen IS-Truppen kämpfen. Gefährlich sei die politische Situation schon, das bedeute aber nicht, dass man ihr deswegen den Rücken kehren solle.
Strenge Kontrollen und Bilder von Barzani
Zwei Wochen später landen wir in Sirnak in der Südtürkei, wo uns ein Auto über die Grenze in den Irak bringen soll. Inmitten von grünen Hügeln steigen wir in drei Wagen und fahren los. Dreimal müssen wir aussteigen, uns in kargen Wartehallen mit pastellfarbenen Plastikbänken den Behörden zeigen, während unser Fahrer die Pässe stempeln lässt.
Als wir auf der kurdischen Seite angekommen sind, hängen überall Poster, die einen bärtigen Mann mit rotweissem Turban zeigen. «Masud Barzani, der Präsident von Kurdistan» sagt Orhan Müstak, der den Romeo spielt, und macht ein Foto mit seinem Smartphone. Die Barzani-Poster und omnipräsenten Kurdistan-Flaggen sind für ihn eine Neuheit – in der Südtürkei, wo seine Familie herkommt, sind solche kurdischen Identitätsbekundungen undenkbar. Er lacht glücklich. «Ich bin in meiner Heimat angekommen.»
Grenzübergang Südtürkei-Kurdistan: Kein Innenraum ohne Poster des kurdischen Präsidenten Masud Barzani, oder, wie hier, seinem Vater Mustafa Barzani. (Bild: Jonas Schaffter)
Spät in der Nacht kommen wir in Dohuk an, es gibt Pide und Fleischspiesse, man redet über die Ehrfurcht, hier zu sein und über den Krieg, der hinter den grünen Hügeln nur rund 60 Kilometer entfernt wütet.
«Nachdem die Existenz gesichert ist, geht das Leben weiter. Und dann ist es wichtig, Kultur in die Flüchtlingslager hineinzutragen», sagt mir Anina. Es ist ein grosses Bedürfnis vorhanden, da ist sich die Regisseurin sicher. Wie dieses Bedürfnis aussieht, zeigt sich in der Vorstellung: Bereits nach ein paar Minuten sind alle Plätze im kleinen Innenhof der Primarschule von Domiz besetzt. Immer mehr Menschen strömen herein, die Kinder setzen sich auf die Bühne, der Zuschauerkreis um die Schauspieler herum wird immer enger, bis sie bei ihren Abgängen kaum mehr durch die Massen kommen.
Es herrscht ein so grosser Lärm, dass man die Schauspieler selbst wenn sie schreien, nicht mehr versteht. Farhad Payar, der den Pater Lorenzo spielt, kommt nach einer Szene strahlend in die kleine Baracke hinter der Bühne und ruft: «Mitten in meiner Szene hat jemand ein Selfie mit mir gemacht! Wo kriegst du das sonst je als Schauspieler?» Orhan Müstak lacht heiser: «Das ist kein Theater mehr, das ist ein Event!» Als das Stück zu Ende ist, sind alle erschöpft, haben krächzende Stimmen und Tränen in den Augen. Sie sei noch nie so stolz auf ihren Beruf gewesen wie in diesem Moment, meint Dalfogo später im Hotel.
Volles Haus, im wahrsten Sinne des Wortes: Aufführung in im Domiz Flüchtlingslager. (Bild: Jonas Schaffter)
Theater soll und darf vieles, auch einem bestimmten Kreis vorbehalten sein, ein Segment bedienen oder wie das Kino auf seinen Unterhaltungsfaktor reduziert werden. Aber es kann auch mehr. Es kann zeigen, dass den Brettern, die die Welt bedeuten, die Welt noch nicht egal geworden ist. Als die sieben Tage vorbei sind und wir uns von den Leuten, die uns begleiteten, verabschieden, haben alle Tränen in den Augen. «Wir werden als Kurden nach Hause gehen!», ruft Payar. Jendreyko lächelt. Diese Reise würde uns alle verändern, hatte sie im «Hirscheneck» gesagt. Sie hat recht behalten.
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Die Volksbühne Basel veranstaltet am Samstag den «Selam-Habibi-Abend», an dem die Beteiligten mit Fotos und Videos über ihre Gastspielreise nach Kurdistan berichten.
11. April, 20 Uhr, Theater Roxy.