Alexis Tsipras hat geschafft, was viele Griechen wünschten – und viele fürchteten. Der einstige Bürgerschreck hat sich auf dem Weg an die Macht wandlungsfähig gezeigt. Doch pflegt er bis heute einige Eigenheiten.
Tsipras polarisiert. Seine Anhänger verehren ihn als Hoffnungsträger – nicht nur in Griechenland sondern auch in anderen Krisenländern. In Tsipras‘ Windschatten hofft die spanische Podemos-Bewegung auf Stimmengewinne bei den Wahlen im Herbst. Kritiker hingegen sehen in Tsipras einen «Euro-Schreck» oder gar den «gefährlichsten Politiker Europas».
Tsipras als Regierungschef der Hellenischen Republik beim nächsten EU-Gipfel: Das wird der vorläufige Karriere-Höhepunkt des politischen Senkrechtstarters. Als 16-Jähriger Gymnasiast schloss er sich der Jugendorganisation der stalinistischen Kommunistischen Partei Griechenlands an und organisierte Schulbesetzungen gegen die Bildungspolitik der damaligen konservativen Regierung. Als Tsipras 2008 den Vorsitz bei Syriza übernahm, rangierte die Partei bei fünf Prozent. Heute hat sich ihr Stimmenanteil mehr als versechsfacht.
Ein Bürgerschreck auf dem Athos
Entsprechend hoch ist nun aber auch die Fallhöhe. Tsipras selbst hat im Wahlkampf Erwartungen geweckt, die er kaum erfüllen kann. Enttäuschungen sind programmiert, nicht nur bei den Syriza-Wählern, sondern auch innerhalb der Partei. Das könnte die Partei einer Zerreissprobe aussetzen.
Tsipras ist wandlungsfähig. Er hat die Öffnung zur politischen Mitte längst eingeleitet. Mit Besuchen bei den Mönchen auf dem Heiligen Berg Athos und einer Visite bei Papst Franziskus im Vatikan versuchte er, das Image des Bürgerschrecks abzustreifen. Als engster Vertrauter gilt sein Stabschef Nikos Pappas (39). Die beiden sind seit 1995 befreundet. 2008 holte Tsipras seinen Freund, der damals bereits elf Jahre in Schottland lebte, als Leiter seines Büros nach Athen zurück. Inzwischen gilt Pappas als das politische Alter Ego des Syriza-Chefs. Der ruhende Pol in Tsipras‘ Leben ist seine Jugendliebe Peristera Baziana, mit der er zusammenlebt und zwei Söhne hat. Seine Familie hält Tsipras konsequent aus der Öffentlichkeit heraus.
Der 40-Jährige ist redegewandt, wirkt jugendlich und kommt charmant rüber. Er geniesst bei seinen Kundgebungen das Band in der Menge, schüttelt Hände, verteilt Umarmungen und Küsschen. Im Wahlkampf sah man ihn meist mit seinem gewinnenden Lächeln, zunehmend aber auch in nachdenklicher, fast staatsmännischer Pose.
Tspiras pflegt seine antiautoritären Reflexe: «Für den Papst habe ich keinen Schlips angezogen, warum sollte ich es für Merkel tun?»
Tsipras hat allerdings auch seine Marotten. Dazu gehören Reflexe aus antiautoritären Tagen als Kader der stalinistischen Kommunistischen Partei, wie die revolutionär geballte Faust und der Dresscode: Der griechische Ministerpräsident in spe trägt prinzipiell keine Krawatte. Zum Staatsbankett für Bundespräsident Joachim Gauck im März 2014 erschien Tsipras ebenso im offenen Hemd wie zur Audienz bei Papst Franziskus in Rom im vergangenen September.
Angela Merkel, die er im Wahlkampf laut «Handelsblatt» beschuldigte, sie habe in Griechenland eine «humanitäre Katastrophe» angerichtet und spiele «Poker mit dem Leben der Menschen», ist er noch nicht begegnet. Im Europäischen Rat wird Tsipras, wie es die alphabetische Sitzordnung bestimmt, neben der deutschen Kanzlerin Platz nehmen – ohne Krawatte: «Für den Papst habe ich keinen Schlips angezogen, warum sollte ich es für Merkel tun?», erklärte Tsipras jetzt trotzig im TV-Sender «Skai».
Vielleicht wird man Tsipras aber doch noch mit Schlips sehen: Wenn er den geforderten Schuldenschnitt für sein Land erreiche, werde er sogar eine Krawatte anziehen, scherzte Tsipras am Tag vor der Wahl im Gespräch mit Journalisten.
Bevor er aber sein Landsleute von den Schulden befreien kann, muss er sich mit seinem Koalitionspartner, den «Unabhängigen Griechen» einigen. Und dafür müssen die beiden Partner einige Differenzen überwinden. Was es mit den «Unabhängigen Griechen» auf sich hat, erfahren Sie hier.