Sexgewerbe-Demo: Dümmer hätte es nicht laufen können

Es wurde wie befürchtet zu einem bizzaren Auftritt: Ein paar Sexarbeiterinnen gingen mit Werbern und Immobilienbesitzern auf die Strasse und verspielten dabei sehr viel Glaubwürdigkeit. Dabei gäbe es durchaus berechtigte Anliegen, sagt Basels Fachfrau für Prostitution.

Dynamischer Marsch durch die Steinenvorstadt: Immobilienbesitzer Hardy Kaiser führt den Zug an.

Immerhin 20 Frauen waren erschienen. Mit Plakaten und drei Forderungen zogen sie am Mittwoch als Demonstrationszug durch die Innenstadt, um sich für mehr Transparenz im Sexgewerbe stark zu machen. Erschienen war auch Marco Block, Geschäftsführer und PR-Chef des Werbeportals «6navi». Er war es, der die Medien zum Protest geladen hatte. Endlich durfte er die Früchte seines Aktivismus ernten.

Aber zum Ernten schien er dann gar nicht in der Stimmung. Die TagesWoche hatte im Vorfeld die Hintergründe recherchiert, hatte die Fakten und Widersprüche hinter dem Anlass zusammengetragen und war zum Schluss gekommen: Da benutzt einer die durchaus vorhandenen Missstände im Basler Gewerbe als Feigenblatt für eigene Businessinteressen. Sein Demonstrationszug? Eine PR-Aktion im Herzen der Stadt.

So dreist muss man erst mal sein. So erfolgreich aber auch. Zu den 20 Sexarbeiterinnen gesellten sich an diesem kühlen Mittwochmorgen mindestens ebenso viele Medienvertreter, die Notizblöcke im Anschlag, die Kameras geschultert. Am Ausgangs- und Endpunkt der Demo hatte Block Autos mit dem Slogan seines Portals postiert, die Frauen trugen T-Shirts und Schlüsselanhänger mit dem Emblem der Plattform.

Auf den Schildern der Frauen stand: «Wir fordern bewilligte sichere Arbeitsplätze.» Inwiefern bewilligte Arbeitsplätze in Basel verloren gehen, wo doch die Prostitution grundsätzlich erlaubt ist, blieb im Ungefähren.

Denn ausser einer der Frauen wollte sich aus dem Kreis der Demonstranten niemand so recht exponieren. Zuallerletzt Block. Der trug eine dunkle Sonnenbrille, reagierte unwirsch auf Reporterfragen und hatte offenkundig miese Laune wegen der «unrichtigen» und «einseitigen» Reportage der TagesWoche.

Die Demonstration kommt am Barfüsserplatz zum Stillstand. Marco Block, ganz rechts, hatte auch dort nicht wirklich viel zu sagen.

Dafür redete ein anderer: Hardy Kaiser, Immobilienbesitzer. Er klagte eloquent über die Situation auf dem Dreispitz, wo die Christoph Merian Stiftung (CMS) als Bodenbesitzerin und Baurechtsgeberin den Einzug des Rotlichtmilieus verhindere.

Die CMS erklärte auf Anfrage: «Es gibt bei der Christoph Merian Stiftung keinen Grundsatz, der die Nutzung von Immobilien fürs ‹Milieu› verbietet.» Die Nutzungsabsichten auf dem Dreispitz entsprächen aber nicht der Zweckbestimmung im Baurechtsvertrag.

Ein lukratives Geschäft

Kaiser gibt sich damit nicht zufrieden. Warum solidarisiert sich ein Immobilienbesitzer mit den Anliegen der Demonstration? «Das Rotlicht hat bei uns schon so oft angefragt, wir wollen dem einfach mal eine Chance geben», sagt Kaiser. Und gibt zu: «Natürlich ist das auch ein lukratives Geschäft.»

Eine kurze Recherche führt zu mehreren Liegenschaften, die Hardy Kaiser und seiner Dreispitz Gewerbeliegenschaften AG auf dem Dreispitz gehören. Alle stehen auf Grund und Boden der CMS. Zum Beispiel das Haus an der Lyon-Strasse 14, wo sich im zweiten Stock der «Sexclub Dreispitz» eingemietet hat.

«Wir wollen den Mietern aus dem Milieu auch mal eine Chance geben» – Hardy Kaiser.

Kaiser verdient also bereits Geld mit Mietern aus dem Gewerbe, aber offenbar kann er an das bestehende Geschäft nicht anknüpfen. Darum steht er jetzt auf dem Barfüsserplatz und denkt laut darüber nach, ob nicht vielleicht die Stadt etwas Druck auf die CMS ausüben könne, damit die ihre Baurechtsverträge überarbeite. «Das ist doch absurd», rutscht es einem Journalisten heraus. Kaiser widerspricht, wenn auch nur zaghaft.

Ein Immobilienbesitzer, der sein Geschäft mit dem hohen Mietzins retten will. Ein Werber, der den Arbeitsmarkt seiner Werbekunden stabilisieren möchte. Und dazwischen einige Demonstrantinnen, die zu all dem lieber nichts sagen wollten, garniert mit einer verwirrten Schar Journalisten: Die Demonstration war der erwartet bizzare Auftritt geworden.

 Sonja Roest: «Es braucht diese Debatte»

Einige Strassen weiter, an der Spiegelgasse 6, wartet Sonja Roest vergeblich auf die Chance, sich persönlich ein Bild von der Situation zu machen. Sie wolle sich die Demonstration vor dem Büro anschauen, hatte sie im Vorfeld gesagt. Obwohl: «Dass im Rahmen einer Demonstration ein konstruktives Gespräch stattfinden kann, bezweifle ich.» Bis zum Justiz- und Sicherheitsdepartement drang der Zug dann aber nicht vor.

Sonja Roest ist Vorsitzende des Runden Tischs Prostitution, der verschiedene staatliche und nicht-staatliche Akteure rund um das Thema Sexarbeit versammelt. Zuletzt tagte der Tisch am 3. September, es war eine Premiere: Zum ersten Mal waren Vertreterinnen des Milieus eingeladen, die sonst von Fachorganisationen wie der Anlaufstelle Aliena vertreten werden. Die Debatte fand statt in den Büros des JSD im Saal einer Beiz statt.

«Ich würde ein Fragezeichen hinter den Vorwurf setzen, dass die Bewilligungspraxis prekäre Arbeitsbedingungen schafft» – Sonja Roest.

Es war ein Experiment. «Wir wussten nicht, ob überhaupt jemand erscheint», sagt Roest. Es kamen 14 Personen, Salonbetreiber, Wohnungsvermieter, Barbetreiberinnen, Hausbesitzerinnen. Und die Debatte war heftig, es wurde gepoltert, geschimpft, geklagt. «Es war eine Gelegenheit zur ‹Kropfleerete›, und sie wurde genutzt», sagt Roest.

Der runde Tisch existiert seit 17 Jahren. Dass das Milieu bislang nur indirekt mit von der Partie war, wurde immer wieder kritisiert.

Roest hat die Demonstration verpasst. Grundsätzlich findet sie es aber gut, dass sich etwas bewegt. «Wir brauchen diese Debatte, wir brauchen vor allem verlässliche Ansprechpartner aus dem Milieu.» Der runde Tisch sucht zwar den Dialog, aber «es gibt da keine Vereinigung oder Organisationsstruktur, die einen Vertreter schicken könnte».

Das Fachreferat will besseren Schutz für die Frauen

Im Milieu gilt das Prinzip: Alle gegen alle. Der kleinste gemeinsame Nenner lautet: Alle wollen Geld verdienen. «Das wurde an dieser Sitzung am 3. September nochmal deutlich», sagt Roest. Aber gerade in dieser Hinsicht fühlen sich einige von der Stadt benachteiligt, wie die TagesWoche im Gespräch mit Salonbetreiberinnen erfuhr.

Roest sagt: «Ich würde ein Fragezeichen hinter den Vorwurf setzen, dass die Bewilligungspraxis prekäre Arbeitsbedingungen schafft.» Ihr Ziel sei der bessere Schutz der Frauen, kein Lobbyismus für Salonbetreiber. Die stünden erstmal selber in der Verantwortung, bevor sie von der Stadt bessere Standortbedingungen fordern dürften. «Den Frauen wäre zum Beispiel geholfen, wenn wirklich sauber Buch geführt würde. Wenn man wüsste, wie hoch oder tief die Löhne und wie hoch die Abgaben an die Betreiber sind. Es würde helfen, wenn man per Richtlinien sicherstellte, dass die Frauen keine risikoreichen Sexualpraktiken ausüben müssen.»

Verbindliche Richtlinien innerhalb des Gewerbes existieren nicht, in dieser Hinsicht spielt der freie Markt. Dass sich die Betreiber wegen der Umnutzungsbewilligungen beklagten, ist in den Augen des Fachreferats eine zynische Volte. Roest sagt: «Wenn das Milieu wie jedes andere Gewerbe behandelt werden will, ohne moralische Vorverurteilung, dann soll es sich auch an die üblichen Bedingungen halten.»

Neues Meldeverfahren für bessere Kontrolle

Wie ernst es den Salonbetreibern mit dem seriösen Geschäft sei, werde sich bald zeigen, meint Roest. Die Stadt ist dabei, ihre Meldepraxis für Sexarbeiterinnen zu verändern. Neu sollen Prostituierte, die sich im Online-Meldeverfahren registrierten, ihre Meldebestätigung in den Räumen der Anlaufstelle Aliena persönlich abholen. Bislang taten das die Vermieter und Salonbetreiber. Und die verschacherten die Bestätigung unter Umständen nochmal an die Frauen, obwohl die dafür bereits eine Gebühr entrichtet hatten. Mit dem neuen Verfahren hört diese Praxis auf. Ausserdem stünden die Frauen so mindestens einmal mit den Behörden in Kontakt, sagt Roest.

Es ist ein kleiner Schritt, der den Arbeiterinnen zugute kommen soll. Am Raumproblem ändert er nichts, da müssten die Blocks und Kaisers dieser Stadt schon konkrete Massnahmen ergreifen, um an den Verhältnissen zu rütteln.

Die Demonstration dürfte sich politisch als wenig durchschlagkräftig erweisen. Die Medienvertreter hatten ihre Irritation über den Umzug bald in Worte gefasst, dann war Schluss. Ein Passant wurde von einer der Frauen mit einem Schlüsselanhänger beschenkt. Es wirkte fast wie ein Trostpreis für die ausgebliebene Show.

Mehr zum Thema

https://tageswoche.ch/form/reportage/basler-salons-wehren-sich-gegen-ihr-verschwinden/
https://tageswoche.ch/form/bildstoff/in-diesem-bordell-verlieren-frauen-nicht-nur-ihre-hoffnung-sondern-auch-den-boden-unter-den-fuessen/

Nächster Artikel