Die Fixie-Szenies haben es zu bunt getrieben. Jetzt rollen Cyclocrosser den starren Eingängern den Rang ab – robuste Off-Roader, perfekt für die Stadt.
«Der Dichtestress verbannt uns in die Nacht», erklärt Christian Berra grinsend. Der Velomech mit eigenem Shop gehört zum harten Kern der Basler Cyclocrosser. Ihre hellen Lampen lichtern dienstagabends im Allschwiler Wald zwischen Weiher und Wasserturm durch Bäume und Büsche.
Frühling ist Velozeit: Die TagesWoche hat sich einige Veloläden herausgepickt und stellt sie vor. Bisher erschienen:
Good Feeling: Der Quartier-Velomech mit dem Plus
Obst & Gemüse: Der Spezialist für Lastdrahtesel
Wolf & Wolf: Beim Bauen des eigenen Velos ins Schwitzen kommen
Lustig zu beobachten, doch warum zur Hölle brettert man in der Dunkelheit über Wurzeln und Geäst? Und das mit Velos, mit denen man in kupiertem Gelände viel schneller fährt als mit einem Mountainbike – und die erst noch nicht einmal Lenkfehler schluckende Federelemente haben? Trainings-Initiator Frank Hillger findet: «Mit unserem Lampen sieht man genug, fokussiert vielleicht sogar einfacher auf die Fahrlinie. Ausserdem müssen wir tagsüber arbeiten, und in der Naherholungszone Basels hat es dann viele Waldnutzer: Jogger, Spaziergänger, Hündeler.» Nachts hört man von Weitem nur das Gebell vom Schäferhunde-Club. Kommt ein Halter in die Nähe der Cyclocrosser, auch sein Gefluche.
Stumpenraucher an der Ackerpiste
Früher, als Cyclocross noch Radquer hiess, hätten bodenständige Bürger wie die Hündeler den schlammverschmierten Velölern wohl zugeklatscht. Querrennen waren auf dem Land ein Volksfest. Rössli-Stumpen, Rugeli und Regenstiefel zierten den Zuschauer. Die Bauern liessen im Winter ihre brachen Felder von Velofahrern umpflügen und verkauften den schlotternden Zuschauern zum Aufwärmen ihren Schnaps. Die Schweizer waren eine Grossmacht im «Querfeldein» der 70er- und 80er-Jahre, allen voran der fünfmalige Weltmeister Albert Zweifel.
Die grossen Strassenfahrer nutzten die Querrennen nicht nur, um im Winter die Saisonpause zu überbrücken. Beat Breu lancierte seine Karriere im Dreck. Auch Pascal Richard holte 1988 – lange vor Olympia-Gold und Tour-de-Suisse-Sieg – seinen ersten Weltmeister-Titel im Radquer. 20’000 Zuschauer säumten 1995 im st.-gallischen Eschbach die Schlammpiste, als Dieter Runkel den letzten Schweizer WM-Titel holte. Die nächste Generation um Beat Wabel und Thomas Frischknecht sattelten wie die Hobby-Fahrer um auf das Mountainbike, den neuen Trend aus den USA.
Velokuriere als Trend-Überbringer
Von dort kommt nun auch das Cyclocross-Revival. Die einstige Freak-Disziplin Mountainbike wird mit stets neuen Federvarianten immer technischer und damit auch teurer. Nicht nur für die Kunden. Findige Velobauer, die mit ihren Innovationen den Mountainbike-Sport entwickelten, können längst nicht mehr mit den Entwicklungsbudgets der grossen Firmen mithalten. Doch während die Global Player versuchen, den Velofans glaubhaft zu machen, dass sie teure Hightech brauchen, kennen die kleinen Buden die Bedürfnisse ihrer Kundschaft. Die will sich längst nicht mehr nur in Steilhänge stürzen, und um flott übers Land zu flitzen, sind die wuchtigen Dämpfer definitiv zu stark.
Darum sah man in den letzten Jahren auf einschlägigen Bike-Nerd-Blogs immer öfter schöne Quer-Velos kleiner Manufakturen – sorry: Cyclo-Cross Cycles, gerne auch mit X in der Mitte. Im Sattel sitzen Kerle mit Bärten, jedoch deutlich mehr Hipster-Style denn Öhi. Entsprechend präsentiert sich das Renn-Ambiente mit Afterparty. Klar wird geschwitzt, geschlammt und gelitten. Doch mit dem offiziellen Weltverband UCI haben diese alternativen Velo-Afficionados etwa so viel gemein wie die Alternativkicker der Basler «Unseri Liga» mit der Fifa.
Die Basler Velokuriere, auch was Fahrrad-Trends angeht, stets schnelle und zuverlässige Überbringer, organisierten letzten Dezember in den Langen Erlen ein Quer-verwandtes «Glühwein-Rennen». Diesen Februar folgte ein Cyclocross-Biathlon auf dem Hof eines ehemaligen Kuriers oben auf dem Bruderholz, bei dem man nebst Fahrgeschick und Geschwindigkeit auch ruhige Finger beweisen musste beim Zielscheibenschiessen mit einem Luftgewehr.
Wunschgelände Erlenmatt
«Mein Wunschgelände für ein Cyclocross-Rennen in der Stadt wäre die Erlenmatt», schwärmt Frank Hillger. Vor der Überbauung diente das damalige nt/Areal mehrfach als Austragungsort für Kurier-Meisterschaften, bis hin zu den European Cycle Messenger Championships 2005. Die damaligen Clubs und Bars lieferten das perfekte Rahmenprogramm zu den wilden Kurierrennen.
Für Hillger zählen heute jedoch andere Argumente: «Bei den Schotterwegen dort gäbe es keine Flurschäden, und man könnte um das Rennen ein Fest für die ganze Familie veranstalten. Einen Spielplatz für die Kinder hat es ja schon.» Der Familienvater arbeitet selber in der Forschung für die Novartis und nicht als Velokurier.
«Der Rahmen ist robuster als bei einem Rennvelo, so dass man nicht gleich Angst um Haarrisse haben muss, wenn es mal umfällt.»
Dennoch fühlt sich Hillger im VC Peloton, dem letztes Jahr im Windschatten der Basler Kurierszene gegründeten Veloclub, besser aufgehoben als im Werksclub des Life-Sciences-Giganten. Beim VC Peloton ist nicht nur der Club jung, sondern auch die Mitglieder sind es, und man freut sich über neue Velo-Ideen. Das ist wohl der Hauptgrund, weshalb das Peloton (Fahrerfeld) des Clubs schnell auf über 70 Mitglieder anwuchs und der Verein bereits der zweitgrösste Veloklub Basels ist.
Robust und wendig um die Kurve
Hillger gründete gleich nach seinem Beitritt zum VC Peloton eine klubeigene Radquer-Sektion und organisiert gemeinsam mit Berra die Trainings. Berras Veloladen Chez Velo im St. Johann ist ihr Treffpunkt ausserhalb des Waldes.
In der Werkstatt schraubt Velokurier Knut Maywald an seinem Cyclocross-Rad. Maywald fährt auch bei der Arbeit ein Quer-Velo: «Mit Strassenbereifung ist es das perfekte Gerät für die Stadt. Der Rahmen ist robuster als bei einem Rennvelo, so dass man nicht gleich Angst um Haarrisse haben muss, wenn es mal umfällt oder wo anstösst. Ausserdem ist die etwas aufrechtere Sitzposition ganz angenehm und dank der wendigen Geometrie fliegt man schneller um enge Kurven.» Der Velomechaniker könnte noch ergänzen, dass man dank mehr Spiel um die Pneus bei Gabel und Hinterbau auch problemlos Schutzbleche montieren kann.
Berra ist nicht der einzige Anbieter lokaler Quer-Velos. Hilite im Gundeli, vor allem bekannt für seine Titan-Rahmen, hat ein Alu-Modell in diversen Ausführungen im Angebot. Massgeschneidert sind die Cyclocrosser von Genetix Bikes in Muttenz. Die Einmann-Manufaktur von Patrick Schmid produziert Leichtgewichtsvelos aus Alu und Karbon.
Nachfolger des Fixie-Booms
Während seiner Aktivzeit als Strassenprofi war Schmid Zimmernachbar des holländischen Cyclocross-Champions Wim de Vos. «Als ich vor zehn Jahren mit Genetix anfing, produzierte ich auch Quer-Velos, unter anderem für de Vos oder für Schweizer wie Beat Wabel. Doch dann verlagerte sich die Nachfrage und alle wollten nur noch Rennvelos oder Mountainbikes», so Schmid. «In den letzten zwei Jahren kamen nun wieder mehr Anfragen und Bestellungen. Im Herbst organisiere ich deshalb eine Testwoche für Quer-Einsteiger mit Fahrtraining und Rahmenberatung.»
Mit den von Bahnvelos zu Fixies umbenannten Starrlaufvelos eroberte bereits vor zehn Jahren ein strassenfremdes Fahrrad die Herzen urbaner Radler. Der puristische Reiz der absoluten Reduktion dieser Velos wurde hierzulande schnell von der Polizei gebremst. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn wer ein Fixie original, also ohne Bremsen fährt, dem drohen saftige Bussgelder und im schlimmsten Fall der Einzug des Velos. Ein schreckliches Szenario für Velofans, das nur noch übertroffen wurde durch die in grässlichen Farben bemalten Teile, die in der Folge des Fixie-Hypes allerlei Hipster-Velos schmückten.
Ob der Cyclocross-Trend nun zum Nachfolger des Fixie-Booms heranwächst, bleibt abzuwarten. Schon jetzt aber ist das Quer-Velo auf jedem Fall der stadttauglichste Offroader aller Zeiten.