Sie können nicht wählen, nicht gewinnen – was ist bloss mit Österreich los? Ein Stimmungsbericht

Österreich kommt nicht zur Ruhe. Nach Unstimmigkeiten bei der Stimmenauszählung muss im Herbst die Bundespräsidentenwahl wiederholt werden. Allein die Fussballer hätten für gute Stimmung sorgen können, doch auch sie haben kläglich versagt.

Fans of Austria react as they watch the Euro 2016 match between Austria and Hungary at a public screening in Vienna, Austria, June 14, 2016. REUTERS/Leonhard Foeger

(Bild: REUTERS/Leonhard Foeger)

Österreich kommt nicht zur Ruhe. Nach Unstimmigkeiten bei der Stimmenauszählung muss im Herbst die Bundespräsidentenwahl wiederholt werden. Allein die Fussballer hätten für gute Stimmung sorgen können, doch auch sie haben kläglich versagt.

«Früher war sogar die Zukunft besser.» Es war zwar kein Österreicher, der selbiges festhielt, sondern der berühmte Karl Valentin aus Bayern. Doch kaum ein Satz kann die Gemütslage vieler Österreicher derzeit besser beschreiben. «Wählen können wir nicht, Fussball spielen können wir nicht, was können wir eigentlich», so lautete die bange sommerliche Conclusio. 

In den sozialen Medien und an den Stammtischen ergeht sich das Land in Selbstmitleid. Und tatsächlich, es ist kein gutes Jahr für die Alpenrepublik. Selbst in der «New York Times» schafft es Österreich in die Schlagzeilen, und die europäische Nachbarschaft blickt teils besorgt und teils belustigt nach Wien.

Besorgniserregend ist die politische Lage. Dabei sollte es vor Kurzem noch darum gehen, Gräben zuzuschütten und das Land zu einen. Diesen Auftrag wollte Alexander Van der Bellen erfüllen, nachdem er als Sieger aus der Bundespräsidentenwahl hervorgegangen war. Dann zeigte sich, dass der Sieg des früheren Grünen-Politikers ein vermeintlicher gewesen war.

Wahl 16 / Teil 2 – sie müssen nochmals ran: Alexander Van der Bellen (R) und Norbert Hofer.

Dabei hat Europa nach der Stichwahl quasi hörbar aufgeatmet. Der erste extrem rechte Präsident war dem Kontinent gerade noch, so sah es jedenfalls aus, erspart geblieben. Sogar die grosse «New York Times» hatte das kleine Österreich unter die Lupe genommen und festgehalten, dass ein «Far-Right-Candidate» verloren habe.

Am Abend des 22. Mai hatte Norbert Hofer, Kandidat der FPÖ und Mitglied einer Burschenschaft namens Marko Germania, noch knapp vor Van der Bellen gelegen, der aber dank der Briefwahlstimmen am Tag danach aufgrund von exakt 31’026 Stimmen doch noch die Oberhand behielt. Vermeintlich jedenfalls und nur bis zum Spruch der Richter am 1. Juli.

Jetzt ist das Land wieder gespalten, im Wickelwackel, wie es heisst. Neuerlich gewählt wird immerhin relativ bald, am 2. Oktober. Das Volk will alles, nur keine Wahlkampf-Wiederholung. Es ist alles gesagt und diesmal, ausnahmsweise, sogar von allen.

Aus dem Geheimfavorit Österreich wurde an der Euro 2016 ein Geh-heim-Favorit.

Gespannt sein darf man auf die Wahlbeteiligung. Im ersten Durchgang der Stichwahl lag sie bei knapp 73 Prozent. Nun wird sich zeigen, ob wegen der allgemeinen Verdrossenheit die Beteiligung sinkt, oder ob es einem der Kandidaten gelingt, auch im grossen Teich der Nichtwähler zu fischen. Abzuwarten bleibt, ob sich die beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP, deren Kandidaten im allerersten Wahlgang kläglich gescheitert waren, hinter Van der Bellen stellen werden.

Nun, da das Amt des Bundespräsidenten vakant ist, werden die Geschäfte übrigens von der Präsidentin des Nationalrats, einer Sozialdemokratin, und ihren beiden Stellvertretern von ÖVP und FPÖ geführt. Skurrilerweise hat Hofer diese Funktion für die FPÖ inne, und beinahe ebenso skurril kommt vielen vor, dass er diese Funktion nun nicht ruhend stellt. Das wäre «eine Frage des Anstands», tönt es zumindest aus der einen Landeshälfte, was die andere Landeshälfte nicht wirklich tangiert.

Die Fussballer, sie allein hätten für einen Stimmungsschwenk sorgen können. So gross waren die Hoffnungen vor der EM in Frankreich, so schnell war die EM auch wieder vorbei. In der Qualifikation hatte sich die Truppe um Bayern-Star David Alaba sensationell geschlagen, einem Remis (gegen Schweden daheim) folgten neun Siege, Schweden wurde auswärts, Russland gar zweimal besiegt.

Der Heiligenschein des Wunderwuzzi Marcel Koller leuchtet nur noch schwach.

Die Bäume wuchsen in den Himmel, Österreichs schweizerischem Teamchef Marcel Koller wurde fast schon ein Heiligenschein aufgesetzt. Doch schon in der Vorbereitung auf die Endrunde lief es plötzlich nicht mehr nach Wunsch. Die Testspiele gegen die Schweiz, die Türkei und die Niederlande gingen allesamt verloren.

Auch die EM-Bilanz las sich äusserst bescheiden: Niederlage gegen Ungarn, glückliches 0:0 gegen Portugal, Niederlage gegen Island. Österreich enttäuschte über weite Strecken, aus dem Geheimfavorit wurde ein Geh-heim-Favorit. Das Image von Koller, der lange Zeit als Wunderwuzzi galt, ist einigermassen angekratzt.

Es war seit 1998, seit der WM, die ebenfalls in Frankreich stattfand, der erste Grossevent, für den sich das ÖFB-Team aus eigener Kraft qualifizieren konnte. Nun beginnt im Herbst die Qualifikation für die WM 2018. Da wird Österreich unter anderem auf die Waliser und die Iren treffen, die bei der EM durchaus beeindruckt haben. Am 5. September geht es mit einem Heimspiel gegen Georgien los.

Zu diesem Termin werden die Österreicher, die heuer am 24. April zum ersten Mal zu den Urnen schritten, noch immer keinen neuen Präsidenten haben. Besorgniserregend und belustigend, wie gesagt. Um noch einmal mit Karl Valentin zu sprechen: «Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist.»

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Fritz Neumann ist Redaktor der österreichischen Tageszeitung «Der Standard» – derStandard.at.

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