Ferdinand Hodler hat 1897 den Rückzug aus der Schlacht von Marignano gemalt. Nun hat der Berner Autor Beat Sterchi hat eine fiktive Empörung von Ferdinand Hodler geschrieben. Er lässt Hodler richtig in Fahrt kommen, darum wirkt der Text am stärksten, wenn man ihn hört. Wir haben ihn auf Video aufgenommen.
Selbstleser finden den schriftlichen Text unten.
Beat Sterchi wurde 1949 in Bern geboren. Er ist Theaterautor und Spoken-Word-Performer bei Bern ist überall. Er schreibt auch Prosa, Gedichte und Reportagen. Zur Zeit arbeitet er an einem Buch über Ferdinand Hodler.
Ferdinand Hodler: Mein Rückzug
Natürlich habe ich an der Ausschreibung teilgenommen. Ich habe immer an allen Ausschreibungen teilgenommen. Il faut vivre! Aber an dieser Ausschreibung für den Waffensaal in Zürich musste ich teilnehmen! Als hätte ich keine Ahnung von Kampf und Tod! Meinen die hier in Genf sei alles nur voilà l’omelette sur l’assiette!
Die Ausschreibung machten sie am 1. August, schon im Dezember hatte ich meinen Wettbewerbsentwurf und Ende Januar gab es den ersten Preis. Dann ging es los, das Kesseltreiben.
Wer behauptet denn, die andern hätten nicht auch gearbeitet? Aber ich habe mehr gearbeitet! Wie ein armes, von Menschen geplagtes Tier habe ich gearbeitet! Keiner der Herren von Zürich hat es gemerkt. Mein Marignano! Mein Rückzug! Nie und nimmer! Ob Zweihänder oder Hellebarde, das ist keine Sache. Aber die Typen. Der Menschenschlag. Die Leute, die ich gemalt habe, das sind die Leute, die sich noch heute so schlagen würden. Das sind Leute vom Pfluge. Keine Herren!
Um für sie die richtigen Modelle zu finden, habe ich im Oberland ein Atelier eingerichtet, bin nach Uetendorf gefahren, mit der Dürerscheibe und allem und bis nach Sigriswyl hinauf bin ich gegangen. Jawohl. Und mehr als einisch. Der Kämpf, der Fuhrhalter wollte und wollte nicht anbeissen. Aber ich wollte das beste Modell und dann hatte ich ihn mon bonhomme! So einen wie den Fuhrhalter Kämpf aus Sigriswil hätte ich in Zürich jedenfalls keinen gefunden! Der steht jetzt dort rechts aussen, deckt den Rückzug wie nur einer einen Rückzug decken kann.
Und immer und immer wieder diese Änderungen! Die Kommission, der Bundesrat. Alle wollten immer wieder Änderungen. Überall habe ich gezeichnet und gemalt. Diese Berge von Zeichnungen. Im Zeughaus und in einer Scheune im Münzgraben in Bern. In Genf zu malen hatte wenigstens den Vorteil, dass ich Freunde als Modelle hatte. Der Rodo und der Trachsel, die wissen auch, was es heisst, auf das Dach zu bekommen. Künstler wissen, was es heisst, auf das Dach zu bekommen!
Meinen Gring habe ich dann auch noch hineingemalt. Gerade nur als geschlagener Hund wollte ich nicht dastehen, weil die öffentliche Meinung, ja natürlich die öffentliche Meinung ist die öffentliche Meinung. Aufgestachelt hat man sie! Aber ich bin Künstler. Bin ich Künstler, um die Stimmen zu hören, die aus dem Rudel heraus Mordio schreien? Da gibt es noch andere Stimmen. Als Künstler weiss ich doch, auf welche Stimme ich höre. Sonst könnte ich ja gleich den Malkasten zusammenpacken und die Staffelei verbrennen!
Und dieser Direktor! So einer hat immer Recht. Dabei hat er gar nicht hingeschaut, nichts hat er gesehen. Die Farbe würde mich reuen, von dem auch nur den Hosenboden zu malen. Aber das mit dem Rechthaben ist sowieso etwas anderes als das Rechtmachen. Auch wenn die das in Zürich anders sehen. Recht haben wollen ist das eine, aber es allen recht machen das andere! Faut le faire comme il faut!
Ich habe es Ihnen auch gesagt, diese Komposition passt in die Nische der Wand, wie ein Handschuh an eine Hand und 7 Meter über dem Boden! Dieser Sehwinkel! Dem muss man Rechnung tragen. Man hat nicht lange Mühe, die Szene zu verstehen.
Was mich das gekostet hat? Mehr als drei Jahre! Als würde man ewig leben.
Es ging halt wie mit der Nacht. Meine Nacht wollten sie auch nicht sehen, ich wollte ihnen die Nacht zeigen und habe sie so gemalt, dass man sieht, wie die Nacht ist, aber sie wollten sie nicht sehen, die Nacht, den Krieg wollten sie auch nicht sehen. So wie die redeten! Die wollten doch einfach wieder tapfere Ritter auf dem hohen Ross!
Ich male aber keine Ritter! Keine Feldherren! Ich male die Krieger aus dem Volk. Ich kenne diese Krieger. Diese Krieger wollten sie aber nicht, schon gar nicht mit weggeschossenen Beinen. Meinen Fähndrich fanden sie dégoûtant. Sie wollen einen schönen Krieg, die Verwundeten wollten sie nicht sehen, schon gar nicht blutüberströmt. Das finden sie roh und abstossend. Sie wollen Schönheit. Aber Krieg ist Krieg und die Wahrheit kommt vor der Schönheit. Voilà. Die Schönheit, die sie meinen! Eine schöne Schönheit!