So dreist ist die Warmduscher-Kampagne der SVP gegen die neue Energiestrategie

Die Argumente, mit denen die Gegner unter Schriftleitung der SVP die Energiestrategie bekämpfen, erreichten an Ostern alle Haushalte. Der Faktencheck zeigt: Die Partei hat einen grossen Erfindergeist.

Starkes Bild, aber vor allem stark verzerrend: Die Kampagne gegen die neue Energiestrategie strotzt vor Fehlinformationen.

(Bild: Keystone/Anthony Anex)

Mehrkosten von 200 Milliarden Franken, Attacke gegen alle Büezer, unglaubliche Vorschriften: Die Argumente, mit denen die Gegner unter Schriftleitung der SVP die Energiestrategie bekämpfen, erreichten an Ostern alle Haushalte. Der Faktencheck zeigt: Die Partei hat einen grossen Erfindergeist.

«3200 Franken mehr bezahlen … und erst noch kalt duschen»: Mit diesen Worten wirbt das Überparteiliche Komitee gegen das Energiegesetz, c/o SVP Schweiz für ein Nein am 21. Mai und verschickte vor Ostern eine zwölfseitige Abstimmungszeitung an alle Haushalte (herunterladen als PDF).

Uns Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern rieselt ein kalter Schauer über den Rücken. Und so fragen wir uns, ob alles, was in dieser Warmduscher-Kampagne steht, wirklich stimmt. Also haben wir die sechs wichtigsten Argumente für ein «Nein zum Energiegesetz» einem Faktencheck unterzogen:

1. Mehrkosten?

An die Spitze ihrer Propaganda stellt die SVP die «enormen Mehrkosten für uns alle», nämlich «3200 Franken zusätzlich für einen vierköpfigen Haushalt pro Jahr». Bei diesem Betrag stützt sie sich auf die bundesrätliche Botschaft. Diese rechne bis 2050 mit total «rund 200 Milliarden Franken». 

«Mehrkosten» von 200 Milliarden Franken sucht der fleissige Leser in der 197-seitigen Botschaft des Bundesrats vergeblich. Stattdessen erfährt die Leserin dort auf Seite 168, dass sich die Gesamtkosten für Bau, Unterhalt und Betrieb der Schweizer Kraftwerke von 2010 bis 2050 auf 193 Milliarden Franken summieren. Aber, so steht weiter: «Ein Grossteil dieser Kosten fallen unabhängig von der Energiestrategie an.» Die volkswirtschaftlichen Kosten der neuen Energiestrategie hingegen beziffert der Bundesrat auf «minus 0,1 bis plus 0,0 Prozent» im Vergleich zur unbeeinflussten Entwicklung.

2. Strom und Benzin teurer?

Unter dem Zwischentitel «Attacke gegen alle Büezer» schreibt die SVP: «Das neue Energiegesetz wird teureren Strom mit sich bringen (Erhöhung der KEV in einem ersten Schritt von heute 1,5 auf 2,3 Rp. pro kWh, später auf 4,5 Rp. pro kWh), teurere Heizkosten, teureres Benzin und teurere Mietkosten.»

Fakt ist: Wenn das Volk der Revision des Energiegesetzes zustimmt, wird der Netzzuschlag, mit dem die Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) für Ökostrom finanziert wird, vorübergehend tatsächlich um 0,8 Rappen pro kWh erhöht. Das ergibt pro Jahr einen Mehrbetrag von 480 Millionen; davon profitieren neu auch grosse Wasserkraftwerke. Pro Vierpersonen-Haushalt mit üppigem Stromkonsum von 5000 kWh/Jahr ergibt das jährliche Mehrkosten von bloss 40 Franken.

Völlig aus der Luft gegriffen ist aber der zusätzliche Aufschlag «später auf 4,5 Rp. pro kWh». Wahr ist das Gegenteil: Stimmt das Volk der Energievorlage zu, wird die KEV befristet und der Netzzuschlag langfristig abgeschafft. Folgt das Volk hingegen der SVP, fällt diese Befristung weg, und der Netzzuschlag bleibt ewig bei 1,5 Rappen/kWh. Ebenso falsch ist, dass nach einem Ja am 21. Mai Benzin- und Heizkosten weiter steigen. Denn die Revisionsvorlage ändert nichts an der bestehenden CO2-Abgabe auf fossilen Brennstoffen, und sie enthält auch keinerlei Abgaben auf Treibstoffen.

3. Sanierungszwang?

Weiter behauptet die SVP, die Revision des Energiegesetzes bringe «zwingende Gebäudesanierungen», den «Ersatz bestehender Fahrzeugflotten und Heizungen» sowie ein «Verbot von Ölheizungen». All das stimmt nicht: Gebäudesanierungen bleiben ebenso freiwillig wie der Ersatz von Fahrzeugen oder Heizungen. Strengere Vorschriften betreffen nur neue Fahrzeuge oder neue Gebäude. Und das revidierte Energiegesetz sieht auch kein «Verbot von Ölheizungen» vor.

4. Beschränkung des Konsums?

Unter dem Titel «Attacke gegen die Konsumenten» schreibt die Partei mit dem grossen Erfindergeist: «Was wir heute noch kaum glauben, wird schon bald Tatsache sein. Nämlich Vorschriften, wann wir noch waschen, duschen und staubsaugen dürfen.»

Auch diese Drohungen sind Erfindungen. Richtig ist das Gegenteil: Die Energiestrategie des Bundesrates setzt gezielt auf Effizienzsteigerung, verzichtet aber bewusst auf Verhaltensvorschriften, neudeutsch «Suffizienz». So schrieben die Verfasser der Energieperspektiven: «Solange technologische Optionen zur Verfügung stehen, werden Suffizienzstrategien als nicht akzeptabel angesehen.» Und Doris Leuthard betont immer mal wieder: «Ich will keine asketische Gesellschaft.»

5. Zurück ins Jahr 1966?

In einer Grafik unter dem Titel «Zurück in die Steinzeit» stellt die SVP die Zunahme des Energiekonsums in der Schweiz von 1910 bis 2010 dar und markiert, dass dieser gesamte Verbrauch 1966 halb so gross war wie im Spitzenjahr 2010 (seither ist er wieder gesunken, was die SVP-Grafik unterschlägt). In der Grafik behaupten die Kampagnenverfasser: «Mit dem Energiegesetz dürfen wir 2035 nur noch soviel Energie verbrauchen wie 1966!»

Diese grafisch gestützte Behauptung enthält vier Fehler:

  1. Das Energiegesetz schreibt eine Halbierung des Energieverbrauchs nicht vor, sondern nennt einen «Richtwert». 
  2. Dieser Richtwert sieht bis 2035 eine Reduktion von 43 Prozent vor – und nicht 50 Prozent.
  3. Diese Reduktion gilt nicht für den dargestellten Gesamtverbrauch, sondern für den Konsum pro Person. 
  4. Bei diesem Pro-Kopf-Vergleich ist das Jahr 1966 die falsche Vergleichsgrösse, weil die Bevölkerungszahl seither stark gestiegen ist, das heisst: Selbst wenn wir den Richtwert (minus 43 Prozent) pro Person erreichen, werden wir 2035 insgesamt mehr Energie konsumieren als 1966.

6. Mehr Import und verschandelte Landschaft?

«Die Stromversorgung wird als Folge der eingeschlagenen Strategie von zusätzlichen Stromimporten aus dem Ausland abhängig», schreibt die SVP einerseits. Anderseits beklagt sie: «Zusätzlich wird insbesondere mit den geplanten über 1000 Windrädern unsere schöne Landschaft verschandelt.»

Es mag sein, dass die Schweiz künftig mehr Strom importieren muss. Das liegt aber nicht an der neuen Energiestrategie, sondern daran, dass die alten Atomkraftwerke früher oder später das Lebensende erreichen. Ohne neue Energiestrategie wird die Abhängigkeit von Stromimporten dann aber nicht kleiner, sondern grösser. Denn mit «tausend Windrädern» liesse sich zumindest ein Teil des wegfallenden Atomstroms ersetzen. Wenn die SVP nun beklagt, dass solche Windräder «unsere schöne Landschaft verschandeln», so ist das heuchlerisch. Denn nur dank ihren Stimmen entschied die Parlamentsmehrheit, neue Energieanlagen auch in schützenswerten Landschaften (BLN-Gebiete) zu erlauben.

Fazit

Die Warmduscher-Kampagne der SVP gegen die neue Energiestrategie strotzt vor Fehlinformationen.

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