So feiert sich die «illegale» Party ganz legal

Der Regentanz im Zauberwald bis zur Morgensonne muss gar nicht verboten sein – der Verein «Fangorn Kultur» macht’s vor. Heute Samstag bereits zum fünften Jahr in Folge.

Einfaches Leben im Zauberwald (Bild: Martina Berardini)

Der Regentanz im Zauberwald bis zur Morgensonne muss gar nicht verboten sein – der Verein «Fangorn Kultur» macht’s vor. Heute Samstag bereits zum fünften Jahr in Folge.

«Es läuft wieder mal überhaupt nix am Wochenende!» und «Verdammt, das ist mir einfach zu teuer!»: Mit Langeweile und Geldmangel, diesen zwei den allermeisten mehr als geläufigen Frust-Faktoren der Jugendjahre, und den obigen, ebenso gängigen, entnervten Ausrufen begann vor bald sechs Jahren auch die «Zweitkarriere» von TagesWoche-Verlagsassistentin Martina Berardini (27). Gemeinsam mit ihrer Freundin Celine beschloss die junge Dame daraufhin, nicht länger faul und vergeblich auf die Erlösung vom Nichtstun, der lethargischen Starre des Herumhängens und Nicht-wissen-was-tuns die Stirn zu bieten. 

Kurzentschlosen riefen die beiden Mädels vom Lande den «Kulturverein Fangorn» ins Leben, und stellten mit «Waking Up» ihr erstes Mini-Wald-Openair in Zunzgen auf die Beine. Wie so oft: eine turbulente wie unvergessliche Erfahrung, aber ein finanzieller Abschiffer. Denn so enden viele, wenn nicht die meisten Versuche motivierter Jugendlicher: Als «chaotische Schwergeburt» mit niederschmetterndem Loch auf dem Sparkonto, und einer ernüchternden «postnatalen Depression», wie auch die Fangorn-Mädels auf ihrer Website lakonisch kommentieren. Doch was nun, was tun? Zurück in die hinter sich geglaube Apathie schien keine Lösung. Gemeinsam nahmen Martina und Celine einen zweiten Anlauf, nun unterstützt von drei männlichen Kollegen und einer Handvoll befreundeten Bands, und retteten den bedrohten Verein mit einem Soli-Abend voller Benefiz-Konzerte in Basel.

Keine Spuren

Aus dem ersten erfolgreich über die Bühne gebrachten Open-Air ist mittlerweile ein über die Region hinaus bekanntes Goa-Party-Kollektiv geworden, das getreu der bis in die frühen 90er Jahre zurückreichenden Tradition von Psy-Trance- und Techno-Feten mindestens einmal pro Jahr das Waldstück ob dem Weiler Roggenburg, an der Grenze zwischen Schwarzbubenland und Jura, in einen «Zauberwald» verwandelt. Das heisst: Es wird die Nacht zum Tag, der Tag zur Nacht gebaut und insgesamt meistens fast rund 24 Stunden irgendwo in Abgeschiedenheit getanzt und gefeiert.

Die diskrete bis clandestine Szene gilt mit ihrem weltumspannenden Netzwerk als Paradebeispiel für das Gelingen «illegaler Partys», die trotz teils zehntausenden von Festivalbesuchern kein Aufsehen erheben und kaum Spuren hinterlassen. Das Geheimnis ist der Kodex der Goa-Bewegung, die sich spirituell stark mit Natur und ihren Kräften verbunden fühlt: Man respektiert die Flora und Fauna, Landschaft und Tiere, genauso wie die Mitmenschen. Alles Leben ist heilig und möglichst nichts soll für den hedonistischen Spass leiden oder gar geopfert werden müssen.

Reinigende Prozeduren

Gezeltet wird darum meist mit einfachsten Mitteln und Ausrüstung auf abgeschiedenem, unwegsamen Gelände, gern in spektakulärer Kulisse, aber auf möglichst einfachem Level. Kleine Feuer spenden Wärme, getrunken wird Chai Tee statt Alkohol, das Essen ist meist vegan, alle giftigen Zigarettenstummel werden gesammelt, oder gar mit kompostierbarem Drehtabak ersetzt. Die zur Stromgewinnung benötigten Generatoren für das Soundsystem samt wummernden Subwoofern, gehören sorgfältig in Badewannen platziert, um auslaufendes Öl zu verhindern. Extrem aufwändige und oft in monatelanger Heimarbeit gebastelte Dekorationen werden in Bäume und Büsche gehängt.

Nach Ende der reinigenden Prozedur stundenlangen gemeinsamen, tranceartigen «Stampfens», konkret: Barfuss die Fersen im Takt wuchtig auf Gras und Erde des Waldbodens oder Lichtung hauens, bis alle negativen Gedanken und Gefühle von einem abfallen und eine meditiative Ruhe unter den Teilnehmern entstehen lass. Danach ruht das OK sich gemeinsam mit allerlei freiwilligen Helfern solange zu filzen und von Relikten und Rückständen zu reinigen, bis ausser etwas plattem Gras keine Spuren bleiben.

Niemanden stören

Eine Philosophie, mit der sich Martina durchaus identifizieren kann: «Die Natur zu respektieren ist uns sehr wichtig. Wir haben insgesamt rund 20 Helfer beim Festivalauf- und Abbau und ein komplexes Abfallkonzept. Das beste am Ganzen: «Fangorns Zauberwald-Open-Air» arbeitet im Gegensatz zu vielen Outdoor-Partynetzwerken konsequent legal.

Doch wie funktioniert hier, was in der benachbarten Stadt Ordnungshüter und Behörden vor so grosse Probleme stellt? «Wir stören niemanden und räumen nachher alles wieder auf», lautet Berardinis erstaunlich simple Begründung. Ein abgelegenes Gelände zu finden, wo keine Nachbarn in Hörweite leben, sei hier in der Umgebung kein Problem. Schwieriger sei, dass man trotzdem gute Strassen für einen Shuttlebus-Service und idealerweise einen ÖV-Anschluss in der Nähe habe. Besucher, die mit eigenem Auto anreisen, werden zu Fahrgemeinschaften angehalten – dass man nüchtern bleit oder erst nach ausgeschlafenem Feierrausch hinters Steuer sitzt, ist Ehrensache. 

Ländlich gelassen

Das jetzige Gelände, auf das man bei der Suche nach Pfadi-Lagern gestossen wäre, sei dafür ideal. Und der Besitzer? Ein Bauer, der sein Land günstig verpachtet, weil er Freude am jungen Unternehmergeist hat. Die Gemeinde hat gegen geringe Gebühren ohne zu murren eine Freinacht- und Ausschankgenehmigung erteilt, das junge OK wacht über günstige Essen- und Getränkepreise – und darüber, dass trotz illustrem Line-Up mit den deutschen Szenegrössen Kularis und Bassforscher sowie der Basler Drum’n’Bass-Formation Kitchen nicht mehr als 300 Tickets verkauft werden, damit Überblick und Sicherheit jederzeit gewahrt werden.

Zur perfekten 5-Jahr-Jubiläums-Party, die erst noch bei Vollmond über die Bühne geht, fehlt nur noch eins: Dass der Zauber- sich nicht als Regenwald entpuppt, die Sause nicht in einer Schlammpartie endet. Denn auf ein Ausweichedatum hat Berardinis Fangorn-Verein bewusst verzichtet: «Nach einigen kompletten Duschen in den letzten Jahren kann es gar nicht mehr schlimmer kommen. Und dass uns dies den Spass nicht verdirbt, haben wir bereits bewiesen.» Ob dieser gesunden Portion ländlicher Gelassenheit könnten sich manche Städter eine grosse Scheibe abschneiden.

Zauberwald Goa-Openair. 2814 Roggenburg. Sa, 5. bis So, 6. Mai, ab 17 Uhr durchgehend. Mit Kularis (Live), Bassforscher, Kitchen, Alice Hänsenberger. Letzte Tickets sind für 30 Franken an der Abendkasse erhältlich, weitere Infos und Anfahrtsplan unter: www.fangornkultur.ch  Facebookeinladung hier

 

Quellen

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